OGH 4Ob42/24s

OGH4Ob42/24s19.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische Apothekerkammer, *, vertreten durch die Dr. Holzmann Rechtsanwalts GmbH in Innsbruck, gegen den Beklagten *, vertreten ua durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek Dr. David Plasser, LL.M. Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert im Sicherungsverfahren 34.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 7. Februar 2024, GZ 6 R 11/24s‑13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00042.24S.0319.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die klagende Kammer nimmt die wirtschaftlichen Interessen der Apotheker wahr und schreitet unter anderem gegen gesetzwidriges Inverkehrbringen von Arzneimitteln ein. Der beklagte Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie betreibt Ordinationen in * und *. Er verfügt über keine Bewilligung zur Haltung einer ärztlichen Hausapotheke (§ 29 Apothekengesetz). Er hat mehreren Patienten, die an Adipositas leiden, das Medikament Ozempic, und zwar die für die gesamte Behandlung notwendige Menge zur Selbstanwendung zu Hause, mitgegeben und hierfür ein Entgelt bezogen. Dabei hat er ein Präparat zumindest einmal nicht von einer österreichischen Apotheke, sondern von einem Handelsunternehmen bezogen, wobei sich herausstellte, dass zumindest ein Präparat eine Totalfälschung war.

[2] Mit einstweiliger Verfügung untersagten die Vorinstanzen dem Beklagten, gestützt auf § 1 UWG, die Abgabe von Arzneimitteln in seiner ärztlichen Praxis, soweit diese nicht als erste Hilfeleistung in dringenden Fällen nach § 57 ÄrzteG 1998 notwendig oder im Rahmen der Abgabe von Ärztemustern nach § 58 AMG oder sonstiger Ausnahmebestimmungen zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

[3] In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs  vertritt der Beklagte im Wesentlichen den Standpunkt, durch ihn sei keine unzulässige Abgabe von Arzneimitteln erfolgt, er habe die Medikamente seinen Patienten lediglich im Zuge der konkreten ärztlichen Anwendung zulässigerweise mitgegeben. Damit macht der Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage geltend.

[4] 1.1 Dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Bestimmungen des Verwaltungsrechts fehlt, deren Verletzung einem unlauter handelnden Marktteilnehmer vorgeworfen wird, begründet für sich allein noch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn von § 528 Abs 1 ZPO (RS0123321).

[5] 1.2 Der Senat wendet diesen Rechtssatz auch im Bereich des Gesundheitsrechts bei der Prüfung des Umfangs der bestimmten Berufsgruppen vorbehaltenen Tätigkeiten an (4 Ob 55/09f; 4 Ob 11/15v).

[6] 2. Der in § 59 Abs 1 AMG verankerte Apothekenvorbehalt bedeutet ein Primat der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch öffentliche Apotheken (VwGH 81/08/0054, 82/08/0005, 83/08/0328, 83/08/0037 ua), wobei Ärzte (nur) bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen durch die Bewilligung der ärztlichen Hausapotheke in die Erfüllung dieser Versorgungsaufgabe eingebunden werden (VwGH 86/08/0125).

[7] 3. Auch Ärzte, die nicht die Bewilligung zur Haltung einer Hausapotheke besitzen, sind verpflichtet, die nach der Art ihrer Praxis und nach den örtlichen Verhältnissen für die erste Hilfeleistung in dringenden Fällen notwendigen Arzneimittel vorrätig zu halten (§ 57 Abs 1 ÄrzteG 1998). Eine Definition des Begriffs „Erste Hilfeleistung in dringenden Fällen“ ist im Gesetz nicht enthalten; dem Gesetz ist jedoch zu entnehmen, dass die besonderen Umstände des Einzelfalls nach der Art der ärztlichen Praxis und nach den örtlichen Verhältnissen berücksichtigt werden müssen und insbesondere ein dringender Fall der Abgabe eines Arzneimittels an einen Patienten immer nur dann vorliegen kann, wenn die Beschaffung des Arzneimittels aus einer öffentlichen Apotheke nicht mehr rechtzeitig möglich ist (RS0051717[zur vergleichbaren Vorgängerbestimmung des § 30 ÄrzteG 1984]). Es geht dabei ausschließlich um solche Medikamente, die den Patienten zur Leistung einer ersten Hilfe ohne Verzug verabreicht werden müssen, keinesfalls aber um Medikamente, die zur darüber hinausgehenden Therapie eingesetzt werden (VwGH 98/10/0323 [zu § 30 ÄrzteG 1984]).

[8] 4. Der Senat hat bereits ausgesprochen, dass es dem Arzt nach § 57 Abs 1 ÄrzteG nicht verboten ist, Arzneimittel vorrätig zu halten, die er zur Erfüllung eines Behandlungsvertrags benötigt (4 Ob 139/08g).

[9] 5.1 Die Vorinstanzen sind (durchaus im Sinne des Standpunkts des Beklagten) davon ausgegangen, dass eine bloße Anwendung eines Arzneimittels am Patienten durch den behandelnden Arzt mangels Abgabe an ihn nicht dem Apothekervorbehalt unterliege. Es seien dabei auch die Einschränkungen des § 57 Abs 1 ÄrzteG 1998 nicht zu beachten. Von einer solchen Anwendung sei auch eine Mitgabe von geringen Mengen eines Arzneimittels zur Selbsteinnahme umfasst, wenn der unmittelbare Zusammenhang mit der Behandlung in der Ordination und die ärztliche Überwachung gewahrt seien.

[10] 5.2 Die konkrete Abgrenzung der vom Apothekenvorbehalt umfassten Abgabe von der sonstigen Verwendung von Arzneimitteln im Rahmen der ärztlichen Behandlung (Anwendung) ist notwendigerweise stark von den Umständen des Einzelfalls abhängig und bedarf hier keiner höchstgerichtlichen Klarstellung.

[11] 5.3 Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen reichen aus, damit die Vorinstanzen die Rechtslage umfassend beurteilen konnten. Der Beklagte hat nach Ansicht der Vorinstanzen durch die Überlassung von nicht geringen Mengen (nämlich eines ganzen Monatsbedarfs) eines Arzneimittels samt Spritzvorrichtungen an die Patienten zum Zwecke einer mehrwöchigen Selbstinjektion ohne jegliche ärztliche Aufsicht rechtswidrig in den Apothekenvorbehalt eingegriffen. Im Sinn der oben dargestellten Rechtslage bedarf es keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung, die Vorgangsweise des Beklagten nicht als ärztliche Anwendung, sondern als Abgabe von Arzneimitteln zu werten, die nur unter den Einschränkungen des § 57 Abs 1 ÄrzteG 1998 zulässig ist. Dass § 57 Abs 1 ÄrzteG 1998 hier erfüllt ist, wird vom Beklagten nicht ansatzweise geltend gemacht.

[12] 6. Insoweit sich das Rechtsmittel auf die Ausführungen von Kopetzki („Ärztlicher Notapparat“ und „Ordinationsbedarf“ – Rechtsfragen der Arzneimittelabgabe durch und an Ärzte – Sonderheft Gmundener Medizinrechtskongress 2008, RdM 2009, 64 bzw Arzneimittelabgabe durch und an Ärzte: „Ärztlicher Notapparat“ und „Ordinationsbedarf“ in Aigner/Resch/ Wallner, Gmundner Mezinrechtskongress 2008 [2009] 94 ff) beruft, kann dies die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen. Auch dieser Autor geht – im Sinne der Rechtsmeinung der Vorinstanzen – nur dann von einer Anwendung aus, wenn das Aushändigen geringer Mengen von Arzneimitteln im unmittelbaren sachlichen und örtlichen Kontext einer persönlichen Behandlung unter Aufsicht eines Arztes stattfindet. Diese Voraussetzungen wurden von den Vorinstanzen jedenfalls vertretbar verneint, sodass es dahinstehen kann, ob auch bei Vorliegen der von Kopetzki für das Aushändigen von Arzneimittel vertretenen Bedingungen kein Eingriff in den Apothekenvorbehalt vorliegen würde.

[13] 7. Schließlich zeigen auch die Ausführungen im Rechtsmittel zu Medikamenten im sog off-label-Bereich keine erhebliche Rechtsfrage auf. Es ist im Anlassfall unerheblich, unter welchen Voraussetzungen die Anwendung von off-label eingesetzten Arzneimitteln im Rahmen einer ärztlichen Behandlung zulässig ist, weil die Vorinstanzen gegenständlich jedenfalls vertretbar eine solche Anwendung verneinten und vielmehr von einer unzulässigen Abgabe der Arzneimittel durch den Beklagten ausgegangen sind.

[14] 8. Schon wegen des klaren Wortlauts des § 59 Abs 1 AMG und des § 57 Abs 1 ÄrzteG 1998 (vgl RS0042656), bedarf es auch insoweit keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung, dass die Vorinstanzen die Rechtsansicht des Beklagten als unvertretbar qualifiziert haben. Die nach den konkreten Umständen des Einzelfalls vorzunehmende Klärung der Vertretbarkeit geht in ihrer Bedeutung über den Einzelfall schon grundsätzlich nicht hinaus (RS0123321 [T3]).

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