OGH 10ObS22/24v

OGH10ObS22/24v12.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*, geboren * 1965, *, vertreten durch Dr. Wulf Kern, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Heimopferrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 2024, GZ 10 Rs 117/23 h‑21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00022.24V.0312.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der 1965 geborene Kläger wurde von seinen Pflegeeltern mit Wirksamkeit vom 19. März 1971 an Kindes Statt angenommen. Im 11. Lebensjahr wurde er massiv durch mehrere Kirchenangehörige (Priester und katholische Aufsichtserwachsene) missbraucht. Weiters musste er an einem von der Kirche organisierten 14‑tägigen Zelturlaub teilnehmen, während dessen er von verschiedenen Priestern und katholischen Aufsichtserwachsenen wiederholt schwerst missbraucht wurde. Nachdem der Kläger diese Vorkommnisse zufällig auf der Straße anwesenden Gendarmeriebeamten erzählt hatte, wurde er von der Adoptivmutter verprügelt.

[2] Mit Bescheid vom 7. März 2023 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 19. Dezember 2022 auf Zuerkennung einer Heimopferrente ab.

[3] Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zuerkennung einer Heimopferrente ab 1. Jänner 2023.

[4] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass beim Kläger keine stationäre Unterbringung in öffentlichen, kirchlichen oder privaten Einrichtungen oder in Pflegefamilien iSd § 1 Abs 1 HOG vorgelegen sei.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Die „Urlaubsunterbringung“ des Klägers stehe einer stationären Unterbringung in einer kirchlichen Einrichtung gleich, in der übrigen Zeit seiner Jugend sei der Kläger bei einer Pflegefamilie untergebracht gewesen, sodass auch die Voraussetzung des § 1 Abs 1 HOG gegeben sei.

[6] Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Der Kläger falle als adoptiertes Kind zum Zeitpunkt der ihm widerfahrenen außerordentlichen Gewalt aus dem geschützten Personenkreis, unabhängig davon, dass ein 14‑tägiger Zelturlaub nicht unter eine länger dauernde Fremdunterbringung zu subsumieren sei. Auch wenn man die anschließende Züchtigung der Adoptivmutter mit dem Missbrauch in einer Einheit sehe, sei dies zu einem Zeitpunkt gewesen, als der Kläger bereits adoptiert gewesen sei. Adoptivkinder seien vom Heimopferrentengesetz nicht erfasst.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[8] 1.1. § 1 Abs 1 Heimopferrentengesetz (HOG) lautet auszugsweise (Hervorhebung durch den Senat):

[9] „§ 1. (1) Personen, die eine Entschädigungsleistung wegen nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 erlittener Gewalt im Rahmen einer Unterbringung in Kinder‑ oder Jugendheimen, […], in entsprechenden Einrichtungen der Kirchen oder in Pflegefamilien von einem Heim-, Jugendwohlfahrts-, Krankenhausträger oder Träger der vergleichbaren Einrichtung beziehungsweise den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen erhalten haben, haben […] Anspruch auf eine monatliche Rentenleistung nach diesem Bundesgesetz.“

[10] 1.2. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs hat der Gesetzgeber den Kreis der nach § 1 Abs 1 Heimopferrentengesetz (HOG) anspruchsberechtigten Personen eng umschrieben. Er hat die Gewährung einer Heimopferrente als besondere Fürsorgeleistung und spezifische Reaktion auf ein Unrecht geschaffen, das typischerweise und in besonderer Intensität sogenannten „Heimkindern“ bzw „Pflegekindern“ widerfahren ist. Er stellt daher auf kindliche und jugendliche Opfer von Gewalt ab, die solcher Gewalt im Rahmen einer regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege, der sie sich nicht entziehen konnten, ausgesetzt waren (VfGH G 226/2018).

[11] 2. Beruhend darauf hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass der Tatbestand der „Unterbringung“ im Sinn des § 1 Abs 1 HOG im Fall einer Klägerin nicht erfüllt ist, die als „Lehrling“ in einem Kloster beschäftigt – und dort in einem Zimmer mit zwei weiteren weiblichen Beschäftigten untergebracht – war. Denn es bestand – anders als für „Heim“- oder Pflegekinder – zumindest rein rechtlich die Möglichkeit, dass das Autoritätsverhältnis durch die Klägerin selbst oder durch ihren gesetzlichen Vertreter beendet wird (10 ObS 148/20t Rz 27–29; RS0133504). Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 HOG wurde vom Obersten Gerichtshof überdies beim Besuch einer als Ganztagsschule bzw Halbinternat geführten Bildungseinrichtung verneint, weil es schon räumlich an einer „regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege“ fehlte (10 ObS 121/21y).

[12] 3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger Gewalt nicht im Rahmen einer Unterbringung im Sinn des § 1 Abs 1 HOG zugefügt wurde, ist nicht korrekturbedürftig. Dem Kläger ist uneingeschränkt darin zuzustimmen, dass er Gewalt von besonderer Intensität erlitt und ihm durch Angehörige der katholischen Kirche und durch die Adoptivmutter massives Unrecht widerfuhr. Die festgestellten Handlungen erfolgten jedoch zu einem Zeitpunkt, als der Kläger bereits adoptiert war, und daher nicht im Rahmen einer Unterbringung in einer Pflegefamilie. Der Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach der von der Kirche organisierte 14‑tägige „Zelturlaub“ eine im kirchlichen Kontext stehende Beaufsichtigung und nicht als länger dauernde Unterbringung in Fremdpflege anzusehen sei, setzt er nichts Substantielles entgegen.

[13] 4. Der Revisionswerber meint, was ihm widerfahren sei, sei dem Schicksal von Heim‑ oder Pflegekindern gleich zu halten und somit gleich zu behandeln, es liege eine „Gesetzeslücke“ vor. Die damit offenbar intendierte analoge Anwendung von § 1 Abs 1 HOG auf den Kläger scheitert jedoch an der aus den Gesetzesmaterialien zum HOG ersichtlichen Absicht des Gesetzgebers, nur Opfer von Gewalt in Heimen und Pflegefamilien zu erfassen (IA 2155/A 25. GP  7), was sich im Licht der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (1.2.) implizit auch aus den zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs ergibt.

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