OGH 10ObS121/21y

OGH10ObS121/21y13.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Raffaseder Haider Rechtsanwälte OG in Freistadt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Heimopferrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 8. Juni 2021, GZ 12 Rs 46/21 b‑14, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133025

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der 1962 geborene Kläger war von 1972 bis 1976 Schüler einer vom Orden der * geführten Bildungseinrichtung. Als direkt aus * stammender Schüler sowie aus Kostengründen übernachtete er nicht in der Schule im Internat, sondern besuchte die Einrichtung als Ganztagsschule/Halbinternat wochentags zwischen ca 8:00 Uhr bis ca 16:00 Uhr/16:30 Uhr. Der Kläger erlitt während seiner Schulzeit physische und psychische Gewalt und auch sexuellen Missbrauch. Im Jahr 2014 erhielt der Kläger von der Stiftung Opferschutz der Katholischen Kirche eine Entschädigungszahlung im Sinn des § 1 Abs 1 HOG als Einmalbetrag von 10.000 EUR. Seit Februar 2017 bezieht der Kläger eine Eigenpension.

[2] Mit Bescheid vom 11. 12. 2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 13. 11. 2020 auf Zuerkennung einer Heimopferrente ab.

[3] Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zuerkennung einer Heimopferrente ab dem 1. 12. 2020.

[4] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass beim Kläger keine stationäre Unterbringung im Sinn des § 1 Abs 1 HOG vorgelegen sei.

[5] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Der Kläger sei kein „Heim‑“ oder „Pflegekind“ im Sinn dieser Bestimmung gewesen. Die Gewalt, die der Kläger unstrittig erfahren habe, habe er als Schüler, nicht aber „im Rahmen einer Unterbringung in Kinder‑ oder Jugendheimen“ erlitten.

[6] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[7] 1.1 § 1 Abs 1 des Heimopferrentengesetzes (HOG) in der hier anwendbaren Fassung BGBl I 2018/49 (§ 20 Abs 6 HOG) lautet auszugsweise (Hervorhebung durch den Senat):

„§ 1. (1) Personen, die eine pauschalierte Entschädigungsleistung wegen nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 erlittener Gewalt im Rahmen einer Unterbringung in Kinder‑ oder Jugendheimen, …, in entsprechenden Einrichtungen der Kirchen … von einem … Träger der vergleichbaren Einrichtung beziehungsweise den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen erhalten haben, haben ab dem Zeitpunkt und für die Dauer der Zuerkennung einer Eigenpension, spätestens aber mit Beginn des Monats, der auf die Erreichung des Regelpensionsalters (§§ 253 und 617 Abs. 11 ASVG) folgt, Anspruch auf eine monatliche Rentenleistung nach diesem Bundesgesetz.“

[8] 1.2 Internate waren weder in der Stammfassung des § 1 Abs 1 HOG (BGBl I 2017/69) genannt, noch sind sie in der geltenden Fassung genannt. Allerdings heißt es in den Erläuterungen zur Stammfassung (2155/A 25. GP  7, Hervorhebung durch den Senat): „Personen, die als Opfer von Gewalt in Kinder‑ und Jugendheimen (wozu auch Internate zählen) des Bundes, der Länder und der Kirche eine pauschalierte Entschädigungsleistung … erhalten haben, sollen eine Rentenleistung erhalten. …“.

[9] 2.1 Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs hat der Gesetzgeber den Kreis der nach § 1 Abs 1 HOG anspruchsberechtigten Personen eng umschrieben. Er hat die Gewährung einer Heimopferrente als besondere Fürsorgeleistung und spezifische Reaktion auf ein Unrecht geschaffen, das typischerweise und in besonderer Intensität sogenannten „Heimkindern“ bzw „Pflegekindern“ widerfahren ist. Er stellt daher auf kindliche und jugendliche Opfer von Gewalt ab, die solcher Gewalt im Rahmen einer regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege, der sie sich nicht entziehen konnten, ausgesetzt waren. Er stellt diese nicht allen anderen Opfern von Gewalt gleich. Da der Gewährung einer Fürsorgeleistung wie der Heimopferrente keine Gegenleistung des Anspruchsberechtigten gegenübersteht und keine sonstige Verpflichtung des Staats zugrunde liegt, hat der Gesetzgeber durch diese enge Umschreibung des Kreises der anspruchsberechtigten Personen nicht den ihm zustehenden weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum verletzt (VfGH G 189/2018 VfSlg 20.278/2018; G 226/2018).

[10] 2.2 Beruhend darauf hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass der Tatbestand der „Unterbringung“ im Sinn des § 1 Abs 1 HOG im Fall einer Klägerin nicht erfüllt ist, die als „Lehrling“ in einem Kloster beschäftigt – und dort in einem Zimmer mit zwei weiteren weiblichen Beschäftigten untergebracht – war, in dem auch ein Knabeninternat untergebracht war. Denn die damalige Klägerin hatte – anders als „Heim“‑ oder Pflegekinder – zumindest rein rechtlich die Möglichkeit, das Autoritätsverhältnis selbst zu beenden (10 ObS 148/20t; RIS‑Justiz RS0133504).

[11] 3. Die auf dieser Rechtslage beruhende und mit der dargestellten Rechtsprechung übereinstimmende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass dem Kläger Gewalt nicht im Rahmen einer Unterbringung im Sinn des § 1 Abs 1 HOG zugefügt wurde, ist nicht korrekturbedürftig. Es steht außer Frage, dass der Kläger im Rahmen des Schulbesuchs Gewalt erlitt. Anders als in dem zu 10 ObS 148/20t entschiedenen Sachverhalt fehlt es jedoch im vorliegenden Fall schon räumlich an einer „regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege“ (VfGH G 226/2018) des Klägers, wie sie zB bei der Aufnahme in ein Heim oder in einer Pflegefamilie vorliegt (womit allenfalls die Aufnahme in ein „Vollinternat“ vergleichbar wäre, vgl Wimberger in Gappmayer, Handbuch Opferrechte, 11. Kapitel [Stand 1. 9. 2020, rdb.at] Rz 11.19). Denn die Bildungseinrichtung wurde als Ganztagsschule bzw Halbinternat geführt, der Kläger kehrte täglich und an den Wochenenden nach Hause zurück. Er befand sich in der Bildungseinrichtung daher nicht in „Fremdpflege“. Auch aus der in der Revision betonten Schulpflicht des Klägers in den Jahren 1972 bis 1976 lässt sich keine „Unterbringung“ im Sinn des § 1 Abs 1 HOG ableiten.

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