European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00078.23P.0215.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision der erstbeklagten Partei wird nicht Folge gegeben, der Revision der zweitbeklagten Partei wird hingegen Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie lauten:
„1. Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei den Betrag von 229.243,74 EUR samt 4 % Zinsen aus 219.471,77 EUR seit 4. 9. 2019 sowie 4 % Zinsen aus 9.771,99 EUR seit 31. 3. 2020 sowie der zweitklagenden Partei den Betrag von 35.334,37 EUR samt 4 % Zinsen seit 31. 3. 2020 zu bezahlen, dies binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution.
2. Es wird festgestellt, dass die erstbeklagte Partei den klagenden Parteien für sämtliche künftigen Pflichtleistungen haftet, welche diese aufgrund des Unfalls vom 19. 10. 2016 des Q* N*, geboren am *, in Zukunft zu erbringen haben werden.
3. Die Begehren, auch die zweitbeklagte Partei für schuldig zu erkennen, der erstklagenden Partei den Betrag von 229.243,74 EUR samt 4 % Zinsen aus 219.471,77 EUR seit 4. 9. 2019 sowie 4 % Zinsen aus 9.771,99 EUR seit 31. 3. 2020 sowie der zweitklagenden Partei den Betrag von 35.334,37 EUR samt 4 % Zinsen seit 31. 3. 2020 zu bezahlen, dies binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution, und festzustellen, dass auch die zweitbeklagte Partei den klagenden Parteien für sämtliche künftigen Pflichtleistungen hafte, welche diese aufgrund des Unfalls vom 19. 10. 2016 des Q* N*, geboren am *, in Zukunft zu erbringen haben werden, werden abgewiesen.“
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz wird dem Erstgericht aufgetragen.
Die erstbeklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 3.610,68 EUR (darin 601,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Kläger sind zur ungeteilten Hand schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 17.042,78 EUR (darin 13.432,10 EUR Pauschalgebühr und 601,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1]
Der bei den Klägerinnen versicherte Q* N* erlitt am 19. 10. 2016 gegen 9:35 Uhr im Betrieb der Erstbeklagten in S* einen Arbeitsunfall, bei dem er schwerstens verletzt wurde (Querschnittlähmung). Damals war der Zweitbeklagte im Betrieb der Erstbeklagten tätig und Vorgesetzter des Verletzten.
[2] Die Klägerinnen nehmen mit ihrer Zahlungs- und Feststellungsklage die Beklagten solidarisch mit dem Vorwurf, sie hätten jeweils grobe Fahrlässigkeit zu verantworten, wie aus dem Spruch ersichtlich auf Regress nach § 334 ASVG in Anspruch.
[3] Die Beklagten bestritten – soweit im Revisionsverfahren noch von Relevanz – den Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens und beantragten die Abweisung der Klage.
[4] Das Erstgericht gab dem Leistungs- und Feststellungsbegehren hinsichtlich beider beklagten Parteien statt. Es stellte fest, dass es sich nicht um den ersten derartigen Unfall im Betrieb der Erstbeklagten gehandelt habe. Darüber hinaus ging es zusammengefasst von folgendem Sachverhalt aus:
[5] Die Erstbeklagte produziert Druckwaren, wozu entsprechende Siebdruckplatten benötigt werden. Sie bestehen aus einem Alurahmen in einer Breite von bis zu 4 cm sowie einem Siebgewebe und sind je nach Größe zwischen 15 und 36 kg schwer. Die Platten werden nach ihrer Verwendung in die Siebwäscherei verbracht, gereinigt und zwischengelagert. Bis dahin werden sie – zum Unfallszeitpunkt noch ohne Sicherung gegen das Umfallen (der Fliesenboden der Halle ist glatt) – übereinander schräg an die Wand gelehnt gelagert.
[6] Es kommt wöchentlich ein- bis zweimal vor, dass in der Druckerei ein Nachdruck erforderlich ist, weshalb ein gebrauchtes (und noch nicht gereinigtes) Sieb wieder benötigt wird. Dieses wird dann von der Zwischenlagerung – schräg an die Wand gelehnt – in der Regel von ein oder zwei Siebwäschern herausgenommen (aus dem an der Wand angelehnten Stapel herausgezogen) und neuerlich verwendet.
[7] Eine Evaluierung dieser Lagerung (sie hätte in einem „Plattenregal“ geschehen können, sodass einzelne Platten hätten herausgezogen werden können) wurde von der Erstbeklagten nicht vorgenommen. Ebenso wenig gab es Sicherheitsvorgaben für die gebrauchten Siebe. Zwischen 2010 und 2016 wurde die Erstbeklagte mehrmals vonseiten der Erstklägerin im Zuge präventivdienstlicher Betreuung besucht. Sicherheitstechnische Defizite im Bereich der Siebwäscherei wurden nicht moniert; des öfteren wies die Erstklägerin jedoch darauf hin, dass keine Evaluierungsunterlagen vorlagen bzw die vorgelegenen Unterlagen nicht mehr am aktuellen Stand waren.
[8] Grundlegend besteht bei Teilen, die nicht ordnungsgemäß gelagert sind, die Gefahr, dass sie kippen und Arbeitnehmer gefährden. Das Risiko des Umfallens von „Rahmen“ tritt nicht nur im Bereich von Siebdruckereien auf, sondern auch in ähnlichen Betrieben, wo Platten oder Ähnliches an Wände angelehnt werden, beispielhaft in einer Tischlerei oder in der Blechbearbeitung. Beim Aufeinanderstapeln von mehreren Platten erhöht sich das Risiko, weil sich das Gewicht vergrößert. Wird der Stapel nur von einer Person gehalten, kommt es – bei entsprechendem Gewicht; Anmerkung – unweigerlich zur Überschreitung der maximalen Haltekraft; der Arbeitnehmer ist dann nicht mehr in der Lage, den Stapel aufzuhalten. Selbst das Wegspringen aus dem Gefahrenbereich ist als sehr riskant anzusehen. Das Umkippen kann nicht nur durch Manipulation, sondern auch durch Anstoßen erfolgen, sodass die Gefahrenquelle „immanent“ ist. Das Risiko erhöht sich bei der Manipulation mit den Platten, etwa durch zu hohe Lasten, falsches Greifen oder glatte Oberflächen.
[9] Der Zweitbeklagte war zum Unfallszeitpunkt bereits seit 25 Jahren als Arbeiter im Betrieb der Erstbeklagten beschäftigt und als Facharbeiter eingestuft. Damals war er bereits acht Jahre als Siebbelichter beschäftigt und hatte gegenüber Q* N* eine Aufsichtsfunktion. Dieser war als Leiharbeiter bei der Erstbeklagten als Beschäftigerbetrieb tätig; teilweise als Lagerarbeiter in der Verpackung, teilweise, so auch am Unfallstag, in der Siebwäscherei, wo auch F* M* arbeitete. Eine Einschulung oder Einweisung von Q* N* auf die verfahrensgegenständliche Gefahrenquelle gab es nicht.
[10] Am Tag des Unfalls kam der Zweitbeklagte in die Siebwäscherei und gab Q* N* die Anweisung, ihm beim „Blättern“ der ungereinigten Siebdruckplatten zu helfen, da in der Druckerei ein Sieb zum Nachdruck benötigt wurde. Zum Unfallszeitpunkt waren bereits etwa 15 Siebe an die Wand der Werkshalle gelehnt, welche eine Breite zwischen 3 und 4 cm hatten und Gewichte bis zu 30 kg je Sieb aufwiesen. Um das benötigte Sieb zu entnehmen, wurden die im vorderen Bereich gelagerten Siebdruckplatten nach vorne gekippt, wobei die Aufgabe von Q* N* darin bestand, die vom Zweitbeklagten „geblätterten“ Siebplatten zu halten. Der Zweitbeklagte stand seitlich von den Sieben, Q* N* auf der gegenüberliegenden Seite etwas vor denselben, da diese aufgrund ihrer Beschaffenheit nur am Rahmen festgehalten werden konnten. Als mehrere Siebe bereits „geblättert“ waren – die Anzahl kann nicht mehr festgestellt werden –, eilte F* M* von sich aus zu Hilfe, da er die Gefährlichkeit der Situation erkannt hatte. Den Beteiligten gelang es jedoch in der Folge nicht mehr, den Stapel von Sieben, welcher aufgrund der glatten Oberfläche des Fliesenbodens und der Seitenneigung seine Stabilität verloren hatte, weiterhin aufrecht zu halten. Sowohl dem Zweitbeklagten als auch F* M* gelang es noch, auf die Seite zu springen. Q* N* schaffte es nicht, den umfallenden Platten auszuweichen und sich in Sicherheit zu bringen. Er wurde von insgesamt elf wegrutschenden Sieben erfasst, zu Boden gedrückt und dabei schwer verletzt. Unter anderem zog er sich eine Querschnittlähmung zu.
[11] Aufgrund der Schwere der Verletzung trug die Erstklägerin für die Behandlung nach dem Unfall in der Klinik Tobelbad und entsprechende „Heil- bzw Behandlungszusätze“ wie einen elektrischen Rollstuhl bis Dezember 2019 an Behandlungskosten 139.648,04 EUR, an Sachleistungen 26.899,90 EUR, an Rehabilitationsleistungen 11.402,42 EUR, an Geldleistungen (Versehrtenrente) 23.677,25 EUR und an weiteren Geldleistungen 27.616,15 EUR, insgesamt somit einen Betrag von 229.243,76 EUR. Die Zweitklägerin leistete dem Verunfallten an Pension und Pflegegeld der Stufe 4 bis Dezember 2019 einen Betrag von 35.334,37 EUR. Die Erstklägerin stellte der Erstbeklagten den Betrag bereits in Rechnung.
[12] Deren Geschäftsführer wurde vom Landesverwaltungsgericht Kärnten verurteilt. In der Entscheidung wurde festgehalten, dass der notwendige Arbeitnehmerschutz vonseiten der Erstbeklagten nicht eingehalten wurde und weder der Arbeitsvorgang überwacht noch der Verletzte eingewiesen war.
[13] Der Zweitbeklagte wurde mit Strafurteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Verletzte Q* N* strengte gegen ihn ein Schadenersatzverfahren an, welches jedoch mit einer Klageabweisung endete, da er als Vorgesetzter im Betrieb eingestuft wurde.
[14] Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Erstbeklagte habe die ihr als Dienstgeberin obliegenden Pflichten zur Unfallverhütung durch Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften in außergewöhnlicher Weise vernachlässigt. Insbesondere habe sie den konkreten Arbeitsplatz nicht hinsichtlich potenzieller Gefahrenquellen evaluiert und dementsprechend auch erforderliche Maßnahmen zur weitgehenden Verhinderung einer Gefährdung der Arbeiter unterlassen. Es sei allgemein verständlich, dass beim Arbeitsablauf, an dem der Verunfallte beteiligt gewesen sei, die Gefahr des Umkippens der Siebe bestehe. Dem Einwand, weder das Arbeitsinspektorat noch die Erstklägerin hätten bei Begehungen eine Gefahrenquelle moniert, sei entgegenzuhalten, dass die Erstbeklagte als Arbeitgeberin von sich aus eine Evaluierung (Risikobewertung) vornehmen und erkennbare Gefahren durch entsprechende Maßnahmen – im konkreten Fall etwa durch ein Gestell zum Lagern der Siebe – verringern müsse. Selbst eine Schulung des Verletzten sei unterblieben. Der Erstbeklagten sei somit grobe Fahrlässigkeit anzulasten.
[15] Der Zweitbeklagte sei gegenüber dem Verletzten als eine dem Dienstgeber gleichgestellte Person gemäß § 333 Abs 4 ASVG anzusehen. Als solcher und zudem mit einer 25‑jährigen Berufserfahrung habe er erkennen müssen, dass auf dem rutschigen Boden in Verbindung mit dem steigenden Gewicht der gekippten Siebdruckplatten eine eklatante Gefahrensituation vorgelegen sei und selbst zwei Personen die Siebe (mit einem Gesamtgewicht von mehr als 300 kg) beim Unfall nicht würden halten können. Diese Gefahr wäre bereits durch einfache Maßnahmen – etwa durch die Anordnung, die Siebe einzeln wegzustellen – vermeidbar gewesen. Somit habe auch der Zweitbeklagte einen groben Sorgfaltsverstoß zu verantworten.
[16] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der beklagten Parteien nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen mit Ausnahme der von der Erstbeklagten in der Berufung angefochtenen Sachverhaltsannahme, wonach bereits vor dem Unfallstag ab und zu in der Siebwäscherei Siebdruckplatten umgefallen seien bzw – mit den Worten des Erstgerichts an einer anderen Stelle seines Urteils – ein vergleichbarer Unfall der Erstbeklagten bereits passiert sei. Das Berufungsgericht beanstandete, dass sich das Erstgericht hier nicht mit gegenteiligen Beweisergebnissen auseinandergesetzt habe und merkte an, dass ähnliche Unfälle aus der Vergangenheit auch nur insofern relevant sein könnten, als sie der Erstbeklagten zurechenbaren Personen oder dem Zweitbeklagten tatsächlich bekannt wurden, was aber nicht feststehe. Weil auch ohne die genannte Sachverhaltsannahme die Beurteilung des Erstgerichts, beide Beklagten hätten grobe Fahrlässigkeit zu verantworten, richtig sei, könne die Berufung der Erstbeklagten insofern unerledigt bleiben.
[17] Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, die Erstbeklagte habe ihre Verpflichtung zur Gefahrenverhütung nach dem ASchG verletzt. Gefahren seien nicht nur die in § 2 Abs 7 Satz 2 ASchG ausdrücklich genannten arbeitsbedingten physischen und psychischen Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, vielmehr sei „Gefahr“ allgemein eine Situation, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Ereignisses droht, welches zur Verletzung von Rechtsgütern des Arbeitnehmers bzw eines Dritten führt. Es sei daher nicht zweifelhaft, dass die Erstbeklagte die Pflicht gehabt habe, die von der Lagerung der ungewaschenen Siebdruckplatten und der regelmäßig vorkommenden Entnahme eines „gebrauchten“ Drucksiebs aus dem zwischengelagerten Stapel ausgehenden Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen sowie darauf aufbauend Maßnahmen zur Gefahrenverhütung festzulegen, und zwar unabhängig von Beanstandungen durch die Erstklägerin oder das Arbeitsinspektorat sowie allenfalls bereits passierten Unfällen. Angesichts des damit verbundenen und leicht erkennbaren hohen Verletzungsrisikos wiege der Vorwurf gegenüber der Erstbeklagten, hier jegliche Gefahrenevaluierung und Unfallverhütungsmaßnahmen unterlassen zu haben, besonders schwer. Er werde noch dadurch verstärkt, dass die Erstklägerin mehrfach auf fehlende oder nicht mehr aktuelle Evaluierungsunterlagen hingewiesen habe und die Gefahr sehr einfach durch die Aufstellung eines Plattenregals zu beseitigen gewesen wäre. Der Erstbeklagten sei außerdem vorzuwerfen, die mit dem „Durchblättern“ des zum Waschen bereitgestellten Stapels an Druckplatten befassten Arbeitnehmer entgegen den §§ 12 und 14 ASchG nicht einmal über die damit verbundenen Gefahren bzw über einzuhaltende Sicherheitsvorkehrungen informiert zu haben. Dabei hätte zumindest festgelegt werden müssen, wie viele Arbeiter mit welchen konkreten Aufgaben an diesem Arbeitsvorgang mitwirken müssen, wie viele Druckplatten dabei maximal gehalten werden dürfen und wo die Mitarbeiter stehen müssen, um Verletzungen durch umfallende Platten möglichst zu vermeiden. Die Erstbeklagte habe selbst diese naheliegenden und einfachsten Arbeitnehmerschutzmaßnahmen unterlassen.
[18] Die Stellung des Zweitbeklagten als dem Dienstgeber gemäß § 333 Abs 4 ASVG gleichgestellte Person sei unstrittig. Er habe dem von ihm veranlassten Arbeitsvorgang nur einen weiteren Mitarbeiter beigezogen und diesen ohne irgendeinen Hinweis auf mögliche Gefahren einen Stapel von letztlich elf Siebdruckplatten mit einem Gewicht von bis zu 30 kg je Platte halten lassen, obwohl es dabei „unweigerlich“ zur Überschreitung der maximalen Haltekraft kommen habe müssen. Zudem habe er nicht auf die (zunehmende) Instabilität des Plattenstapels, welche sogar von einem am Arbeitsvorgang nicht beteiligten Mitarbeiter erkannt worden sei, geachtet. Er habe sich auch nicht darum gekümmert, dass der letztlich verunfallte und nicht eingewiesene Mitarbeiter nicht zur Gänze seitlich, sondern zum Teil vor den von ihm gehaltenen Druckplatten stand. Er habe die offenkundige Gefährlichkeit dieser Situation erkennen müssen.
[19] Gegen das Berufungsurteil richten sich die jeweils aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien mit jeweils einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungs- und hilfsweise einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
[20] Die Klägerinnen beantragen in ihrer vom Obersten Gerichtshof freigestellten (gemeinsamen) Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Rechtsmittel mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, hilfsweise den Rechtsmitteln den Erfolg zu versagen. Zudem enthält die Revisionsbeantwortung eine Verfahrensrüge.
Rechtliche Beurteilung
[21] Die außerordentliche Revision der Erstbeklagten ist – wie von ihr zutreffend in der Zulassungsbeschwerde geltend gemacht – zur Klarstellung der Auslegung des § 2 Abs 7 ASchG zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
[22] Die außerordentliche Revision des Zweitbeklagten ist unter Beachtung der fehlenden Sicherheitsvorgaben und Schulungen durch die Erstbeklagte zur Korrektur der Beurteilungder Vorinstanzen hinsichtlich der Qualifikation des den Rechtsmittelwerber treffenden Verschuldens als grob fahrlässig zulässig und folglich auch berechtigt.
I. Zur Verfahrensrüge in der Revisionsbeantwortung:
[23] Gemäß § 513 iVm § 468 Abs 2 ZPO steht es dem Revisionsgegner frei, dem Berufungsgericht unterlaufene Verfahrensfehler zu rügen (vgl RIS‑Justiz RS0119592 [T1]; RS0112020 [T9]). Die Klägerinnen rügen in ihrer Revisionsbeantwortung als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, dass das Berufungsgericht die Feststellungen, wonach es bereits vor dem gegenständlichen Unfall gleichartige Vorkommnisse im Betrieb der Erstbeklagten gab, ohne weiteres ausschied.
[24] Der behaupteten Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens kommt hinsichtlich beider beklagten Parteien keine Relevanz zu. Auch ohne die in Rede stehende Sachverhaltsannahme – das Vorliegen von vergleichbaren Geschehnissen bereits vor dem Unfall vom 19. 10. 2016 – erweist sich, wie noch auszuführen ist, die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Erstbeklagten grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, als zutreffend. Beim Zweitbeklagten wären allfällige vergleichbare Geschehnisse in der Vergangenheit deshalb ohne Bedeutung, weil gerade – worauf bereits das Berufungsgericht in seinem Urteil hinwies und wogegen in der Revisionsbeantwortung auch nichts eingewendet wird – nicht feststeht, dass der Zweitbeklagte von ihnen Kenntnisse hatte.
II. Zur Revision der Erstbeklagten:
[25] II.1. Die Erstbeklagte bestreitet in ihrer Revision, dass sie nach dem ASchG verpflichtet gewesen sei, gegen die Gefahrenquelle „Stapelung von Platten an der Wand“ vorzugehen. Sie beruft sich hierfür auf § 2 Abs 7 ASchG, wonach unter Gefahren im Sinne dieses Bundesgesetzes „arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen zu verstehen [sind], die zu Fehlbeanspruchungen führen“. Die Gefahr, welche sich hier verwirklicht habe, sei keine solche.
[26] Diese Rechtsansicht der Erstbeklagten ist nicht zu teilen:
[27] II.1.1. Gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 ASchG sind Arbeitgeber verpflichtet, für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen. Sie haben nach Satz 3 leg cit die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit sowie der Integrität und Würde erforderlichen Maßnahmen zu treffen, einschließlich der Maßnahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren, zur Information und zur Unterweisung sowie der Bereitstellung einer geeigneten Organisation und der erforderlichen Mittel. Nach § 4 Abs 1 Satz 1 ASchG sind Arbeitgeber verpflichtet, die für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bestehenden Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen. Auf Grundlage der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren sind die durchzuführenden Maßnahmen zur Gefahrenverhütung festzulegen (§ 4 Abs 3 Satz 1 ASchG).
[28] Nach Wortlaut und Systematik der §§ 3 und 4 ASchG trifft den Arbeitgeber – wie bereits vom Berufungsgericht ausgeführt – damit eine umfassende Pflicht zum Gefahrenschutz. Es liegt im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, seinen Betrieb so zu organisieren, dass es zu keinen Gefahren für die in seine Betriebsorganisation eingegliederten Arbeitnehmer kommt (RS0111032).
[29] II.1.2. § 2 Abs 7 ASchG bestimmte bis 31. 12. 2012 nur, dass unter Gefahrenverhütung im Sinne dieses Bundesgesetzes „sämtliche Regelungen und Maßnahmen zu verstehen [sind], die zur Vermeidung oder Verringerung arbeitsbedingter Gefahren vorgesehen sind“.
[30] Mit Art I Z 4 des Bundesgesetzes BGBl I 2012/118 wurde in § 2 Abs 7 der folgende zweite Satz angefügt: „Unter Gefahren im Sinne dieses Bundesgesetzes sind arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen zu verstehen, die zu Fehlbeanspruchungen führen.“ Nach den Gesetzesmaterialien handelt es sich bei dieser Änderung bloß um eine Klarstellung; bereits nach geltender Rechtslage seien die Begrifflichkeiten so zu verstehen. Die Klarstellung diene der stärkeren Betonung der Wichtigkeit psychischer Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, im Arbeitnehmerschutz, um damit den notwendigen Bewusstseinsbildungsprozess bei den Verantwortlichen in den Betrieben zu unterstützen (ErläutRV 1983 BlgNR 24. GP 6).
[31] Es entspricht daher gerade nicht – wie aber von der Erstbeklagten in ihrer Revision unterstellt – dem Willen des Gesetzgebers, dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Gefahrenverhütung nur „arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen [...], die zu Fehlbeanspruchungen führen“, betrifft und damit beispielsweise die Gefahr, von Siebdruckplatten erschlagen zu werden, nicht erfasst wäre. § 2 Abs 7 Satz 2 ASchG ist vielmehr dahin zu verstehen, dass die in ihm angeführten Belastungen auch vom Gefahrenbegriff des ASchG erfasst sind (Lechner‑Thomann in Novak/Lechner‑Thomann, ASchG [2013] § 2 Rz 47; Schneeberger in Heider/Schneeberger, ASchG7 [2017] § 2 Rz 7). Unter einer Gefahr im Sinn des ASchG ist – auch nach der Novelle BGBl I 2012/118 und so wie bei § 8 AVRAG (zum dortigen Gefahrenbegriff inhaltsgleich: Holzer/Reissner, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz2 [2006] § 8 Rz 7; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 [2017] § 8 Rz 10) – allgemein eine Situation zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Ereignisses droht, welches zur Verletzung von Rechtsgütern des Arbeitnehmers (bzw eines Dritten) führt (Schneeberger in Heider/Schneeberger, ASchG7 [2017] § 2 Rz 7). Die Gefahr, die sich am 19. 10. 2016 verwirklichte, war damit eine solche im Sinne der Gefahrenverhütungsvorschriften des ASchG.
[32] II.2. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht bzw Pflicht zur Unfallverhütung vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (RS0030644). Wenn der Arbeitgeber als Adressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften nach objektiver Betrachtungsweise ex ante ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat, so bejaht die Rechtsprechung bei ihm grobe Fahrlässigkeit (RS0085228 [T16]; idS auch RS0052197 [T7]). Das Fehlen der Beanstandung einer Gefahrensituation durch das Arbeitsinspektorat schließt – entgegen der Ansicht der Erstbeklagten in ihrer Revision – die grobe Fahrlässigkeit des Arbeitgebers nicht aus (RS0085228 [T18]). Bei Beurteilung der Pflichten eines Unternehmens sind dabei die Kriterien der Sachverständigenhaftung maßgeblich und ist somit ein erhöhter Diligenzmaßstab anzulegen (RS0026555 [T10]).
[33] II.2.1. Hiervon ausgehend teilt der Senat die – oben wiedergegebene – Begründung des Berufungsgerichts für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit der erstbeklagten Arbeitgeberin; auf sie kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
[34] II.2.2. Entgegen der Ansicht der Erstbeklagten in der Revision war auch der Eintritt eines Schadens nicht bloß als möglich, sondern als wahrscheinlich vorhersehbar, weil die Werkshalle einen glatten und damit rutschigen Fliesenboden hatte, die ungewaschenen Drucksiebe ohne jede Sicherung übereinander an die Wand gelehnt wurden und keinerlei Vorgaben an die Belegschaft vorhanden waren, wie viele Arbeitnehmer am „Blättern“ der Druckplatten mitzuwirken haben. Entgegen der Ansicht der Erstbeklagten in ihrer Revision stellte das Erstgericht nicht nur fest, dass keine Schulungsunterlagen vorhanden waren, sondern auch, dass es keine Sicherheitsvorgaben gab, weshalb deren Fehlen der Erstbeklagten verschuldensverschärfend zur Last zu legen ist.
[35] II.2.3. Abgesehen davon, dass die Erstbeklagte insofern die getroffenen Feststellungen verlässt, kann auch aus rechtlichen Gründen ihrer Ansicht, bei einer Beauftragung von Sicherheitsfachkräften iSd § 4 Abs 6 ASchG könne keinesfalls von einer groben Fahrlässigkeit des Arbeitgebers ausgegangen werden, nicht beigetreten werden. Sicherheitsfachkräfte üben Tätigkeiten aus, die der Erfüllung von Arbeitgeberpflichten dienen, und üben so Arbeitgeberfunktionen aus; sie sind gewissermaßen Gehilfen der Arbeitgeber bei Erfüllung von deren Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern im Bereich der Arbeitssicherheit (RS0127677). Ein allfälliges Versagen einer Sicherheitsfachkraft bei der Erkennung einer Gefahrenlage exkulpiert daher den Arbeitgeber nicht, vielmehr ist ihm das Versagen zuzurechnen (vgl § 83 Abs 9 ASchG).
[36] Der Revision der Erstbeklagten war daher der Erfolg zu versagen.
III. Zur Revision des Zweitbeklagten:
[37] III.1. Der Zweitbeklagte wurde rechtskräftig strafgerichtlich schuldig erkannt. Er hat ausweislich des Strafurteils am 19. 10. 2016 in S* als anordnungsbefugter Arbeiter der S* Gesellschaft m.b.H. durch Außerachtlassen der gebotenen und ihm zumutbaren Sorgfalt, indem er den Hilfsarbeiter Q* N* zum Halten mehrerer schwerer Siebdruckplatten auf einem glatten Fliesenboden ohne weitere Absicherung einteilte, die in der Folge auf diesen stürzten, fahrlässig Q* N* am Körper verletzt (multiple Knochenfraktur mit einer Querschnittslähmung) und hierdurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Deliktsfall StGB begangen.
[38] Ein strafgerichtlich rechtskräftig Verurteilter kann sich im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber nicht darauf berufen, dass er die Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe (1 Ob 612/95 [verstärkter Senat]; RS0074219). Dabei erstreckt sich die Bindung auf die den Schuldspruch notwendigerweise begründenden Tatsachen (RS0074219 [T5]). Von der Bindungswirkung ist die Feststellung umfasst, dass der Verurteilte die bestimmte strafbare Handlung begangen hat (RS0074219 [T6]). Der Zivilrichter darf daher keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen treffen (RS0074219 [T27]). Es besteht jedenfalls insoweit Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis, als davon auszugehen ist, dass die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich vom Verurteilten begangen wurde und dass dessen tatsächliche Handlungen für den Schadenserfolg kausal waren (RS0074219 [T13]). Es besteht aber keine Bindung an jede einzelne Tatsachenfeststellung des Strafurteils (RS0074219 [T3]).
[39] Dem Zweitbeklagten ist es wegen seiner strafgerichtlichen Verurteilung daher vor dem Zivilgericht verwehrt, die Fahrlässigkeit seines Verhaltens in Abrede zu stellen; insofern sind die Zivilgerichte an das Strafurteil gebunden.
[40] III.2. Die strafgerichtliche Verurteilung erfolgte aber nicht nach dem – eine grobe Fahrlässigkeit des Täters – voraussetzenden Qualifikationstatbestand des § 88 Abs 4 zweiter Deliktsfall StGB. Ob das Verhalten des Zweitbeklagten grob fahrlässig war, obliegt damit der freien Beurteilung der Zivilgerichte (vgl 8 ObA 42/17k [Pkt 2.3.]).
[41] III.3. Der Senat vermag sich nicht der Beurteilung des Berufungsgerichts, der Zweitbeklagte habe grobe Fahrlässigkeit zu verantworten, anzuschließen:
[42] III.3.1. Die erstbeklagte Arbeitgeberin hat ihre Arbeitnehmer – damit auch den Zweitbeklagten – nicht iSd §§ 12 und 14 ASchG über die Gefahr umfallender Platten informiert und unterwiesen, so auch nicht, wie viele Arbeiter mit welchen konkreten Aufgaben an diesem Arbeitsvorgang mitwirken müssen, wie viele Druckplatten dabei maximal gehalten werden dürfen und wo die Mitarbeiter stehen müssen, um Verletzungen durch umfallende Platten möglichst zu vermeiden. Weil davon auszugehen ist, dass es bisher über viele Jahre nie einen dem Zweitbeklagten bekannten Unfall durch umfallende Platten gab, kann der streitgegenständliche Unfall nur dann dem Zweitbeklagten als grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden, wenn sein Handeln am Unfallstag selbst eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) darstellte und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar war (RS0030644).
[43] III.3.2. Das Organisationsverschulden der Erstbeklagten darf man dem Zweitbeklagten bei der Beurteilung, ob sein Verhalten grob oder nur leicht fahrlässig war, jedenfalls nicht zur Last legen (idS 8 ObA 109/01i).
[44] III.3.3. Wie viele Druckplatten vom Zweitbeklagten bereits geblättert wurden, als sich der Unfall ereignete, steht nicht fest. Das Berufungsgericht legt dem Zweitbeklagten zur Last, dass es (aufgrund der Anzahl der Druckplatten) jedenfalls „unweigerlich“ zur Überschreitung der maximalen Haltekraft kommen musste. Dass der Unfall „unweigerlich“ geschah, mag sein, ist aber eine Sicht ex post. Dass der Zweitbeklagte, als er sich entschloss, eine weitere Druckplatte zu blättern, woraufhin der Stapel ins Rutschen und damit aus dem Gleichgewicht kam, es als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich ansehen musste, dass das Blättern dieser weiteren Platte zu einem Schaden führen wird, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen.
[45] III.3.4. Nach den Feststellungen des Erstgerichts waren es in der Regel ein oder zwei Siebwäscher, die das benötigte Sieb aus dem an der Wand angelehnten Stapel herauszogen. Wie viele Mitarbeiter über die vielen Jahre die Platten für gewöhnlich hielten, blieb im Dunkeln, ebenso, wie viele Druckplatten der Zweitbeklagte beim Unfallsgeschehen durchblätterte. Daraus, dass er nur einen (Hilfs-)Arbeiter zu seiner Unterstützung beim Blättern hinzuzog, kann daher noch nicht zwingend seine grobe Fahrlässigkeit abgeleitet werden.
[46] Anders als das Erstgericht im Zivilprozess stellte das Berufungsgericht im Strafprozess – nach einer Beweiswiederholung – fest, dass der (hier) Zweitbeklagte „wusste, dass beim Blättern großer Drucksiebe zumindest zwei weitere Personen hinzugezogen werden mussten, um das Gewicht der Siebe halten zu können“. An jene Feststellung im Strafurteil besteht keine Bindung, weil sie für das vom Strafgericht bejahte leicht fahrlässige (objektiv sorgfaltswidrige) Verhalten des Zweitbeklagten nicht entscheidend war. Das Strafgericht erklärte für das „Gefahrenurteil“ nämlich „vor allem relevant, dass der Angeklagte eine große Zahl von Drucksieben blätterte, insgesamt eine sehr große Zahl von solchen Sieben gelagert war und sich wegen der Beschaffenheit dieser Siebe (des großen Gewichts und der geringen Aufstandsfläche) und des nicht rutschhemmenden Bodens zwangsläufig das Risiko der Instabilität und die notwendigen Haltekräfte steigerte sowie im selben Maße auch die mit einem zu Boden fallen verbundene Gefahr vergrößerte“. Weil keine Bindung des Zivilgerichts an jede einzelne Tatsachenfeststellung des Strafurteils besteht (RS0074219 [T3]), verfängt der Hinweis in der Revisionsbeantwortung auf die in Rede stehende, aber nur vom Strafgericht getroffene Feststellung nicht.
[47] III.3.5. Aus dem Herbeieilen eines Dritten, der die Gefahr erkannte und noch helfen wollte, kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht geschlossen werden, für den Zweitbeklagten sei voraussehbar gewesen, dass wahrscheinlich (und nicht bloß möglicherweise) ein Schaden eintreten werde. Der Dritte hatte bereits aufgrund seiner Positionierung und des Zeitpunkts eine andere Perspektive und womöglich nur deshalb vor dem Zweitbeklagten die Gefahr erkannt.
[48] III.3.6. Auch der Vorwurf des Berufungsgerichts an den Zweitbeklagten, dieser hätte sich nicht darum „gekümmert“, dass der Verunfallte nicht zur Gänze seitlich, sondern vor den Platten stand, findet in den Feststellungen keine Stütze, ist doch unklar, ob der Zweitbeklagte überhaupt sah, wo der Verunfallte genau stand.
[49] III.3.7. Letztlich ist auch der weitere Verschuldensvorwurf des Berufungsgerichts an den Zweitbeklagten, dass dieser „nicht auf die (zunehmende) Instabilität des Plattenstapels [achtete]“, von den erstgerichtlichen Feststellungen nicht gedeckt. Das Berufungsgericht lässt im Übrigen offen, was der Zweitbeklagte in diesem Zeitpunkt noch hätte tun können (Frage der Kausalität fehlender „Achtsamkeit“ in statu zunehmender Instabilität des Stapels).
[50] III.3.8. Den Klägern ist es daher nicht gelungen, eine grobe Fahrlässigkeit des Zweitbeklagten – konkrete Vorhersehbarkeit der Wahrscheinlichkeit des Schadens eines Dritten – unter Beweis zu stellen. Die Klage ist ihm gegenüber – in Stattgebung seiner Revision – abzuweisen.
IV. Zu den Kostenentscheidungen:
[51] Der – von einer anderen Anwaltssozietät als die Erstbeklagte vertretene – Zweitbeklagte hat gegenüber den Klägern Anspruch auf vollen Ersatz der Kosten aller drei Instanzen. Demgegenüber haben die Kläger gegenüber der Erstbeklagten Anspruch auf vollen Ersatz ihrer Kosten aller drei Instanzen, jedoch nur mit einem Streitgenossenzuschlag von 10 % (vgl RS0090822).
[52] Weil die Kläger umfangreiche Einwendungen gegen die vom Zweitbeklagten verzeichneten erstinstanzlichen Kosten erhoben haben und auch hinsichtlich der Kostenersatzpflicht der Erstbeklagten wegen der Maßgeblichkeit eines Streitgenossenzuschlags von nur 10 % eine Neuberechnung erforderlich ist, war dem Erstgericht die wegen der Urteilsabänderung erforderliche neuerliche Entscheidung über die Kosten erster und zweiter Instanz aufzutragen (vgl RS0124588).
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