OGH 8Ob124/23b

OGH8Ob124/23b11.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei S* AG, *, vertreten durch die Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch die Weinhäupl Edtbauer Tremel Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, wegen 553.031,57 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 18. September 2023, GZ 1 R 114/23z‑69, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00124.23B.0111.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin beauftragte die Beklagte am 25. 8. 2017 mit der Durchführung von Bohrarbeiten. Als Fertigstellungszeitpunkt wurde der 30. 6. 2018 „angestrebt“. Vereinbart war, dass die Beklagte für die geleisteten Arbeiten monatliche Abschlagsrechnungen legt, die als anerkannt gelten, wenn die Klägerin nicht innerhalb von 14 Tagen Einwendungen erhebt. Die Arbeiten verzögerten sich vor allem dadurch, dass es aufgrund der geologischen Gegebenheiten immer wieder zu Nachfällen kam, sodass Zement in das Bohrloch eingebracht und neuerlich gebohrt werden musste. Die weitere Vorgehensweise wurde von der Klägerin und der Beklagten wiederholt gemeinsam festgelegt, wobei die Klägerin noch am 15. 10. 2018 die von der Beklagten erstellte Kostenschätzung akzeptierte. Nachdem am 30. 10. 2018 eine Tiefe von 395 m erreicht worden war, führte die Beklagte entgegen der Anweisung der Klägerin keine zusätzliche Zementierung mehr durch, sondern räumte die Baustelle und forderte die Bezahlung mehrerer bereits gelegten Abschlagsrechnungen von insgesamt 289.827,83 EUR sowie eine Sicherheitsleistung nach § 1170b ABGB. Die Klägerin erklärte daraufhin am 27. 11. 2018 den Rücktritt vom Vertrag.

[2] Die Klägerin begehrt 553.031,57 EUR sA an Mehrkosten, die ihr durch die Beauftragung eines anderen Unternehmens, das die Bohrung fertiggestellt habe, entstanden seien.

[3] Die Beklagte wendet unter anderem ein, dass sie die Arbeiten einstellen habe dürfen, weil sich die Klägerin in Zahlungsverzug befunden habe.

[4] Das Erstgerichtstellte nach Abweisung eines Teilbetrags von 22.600,26 EUR sA fest, dass das darüber hinausgehende Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Beklagte habe mitunter falsche Tiefenangaben gemacht, eine ungeeignete Fräs-Kalibrierrohr-Garnitur verwendet und beim unsachgemäßen Ausbau von Rohren einen Schaden von 35.579,22 EUR verursacht. Darüber hinaus sei sie mit dem Bohrstrang auf- und abgefahren, was aufgrund der Sogwirkung den Nachfall begünstigen hätte können. Die Klägerin sei deshalb nicht nur wegen des Verzugs der Beklagten, sondern auch aufgrund des Vertrauensverlusts zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt gewesen.

[5] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die Beklagte habe die Arbeiten einstellen dürfen, weil sich die Klägerin mit drei Abschlagsrechnungen in Zahlungsverzug befunden habe. Die Verzögerung bei den Arbeiten sei auf die geologischen Gegebenheiten zurückzuführen und nicht von der Beklagten zu verantworten. Da die unrichtigen Tiefenangaben sogleich richtiggestellt worden seien, auf einer Baustelle mitBeschädigungen gerechnet werden müsseund weder das Auf-und Abfahren des Bohrgeräts noch die Verwendung einer ungeeigneten Fräs-Kalibrierrohr-Garnitur nachteilige Folgen gehabt habe, wäre der Klägerin die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zumutbar gewesen. Die Klägerin sei deshalb nicht zum Rücktritt berechtigt gewesen.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

[7] 1. Die von der Klägerin unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit und des Verfahrensmangels bekämpfte Annahme des Berufungsgerichts, dass die Verzögerung der Arbeiten auf die geologische Bodenbeschaffenheit zurückzuführen sei, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, weil das Erstgericht feststellte, dass die Nachfälle, auch wenn deren geologische Ursache nicht feststellbar war, nicht durch ein Fehlverhalten der Beklagten verursacht wurden.

[8] 2. Die Klägerin meint, dass sie aufgrund der „Vorleistungspflicht“ der Beklagten nicht zur Bezahlung der Abschlagsrechnungen verpflichtet gewesen sei, sodass die Beklagte die Arbeiten nicht einstellen hätte dürfen.

[9] Richtig ist, dass der Werklohn nach § 1170 ABGB erst nach Vollendung des Werks beansprucht werden kann, sodass die damit verbundene Vorleistungspflicht des Werkunternehmers das Leistungsverweigerungsrecht nach § 1052 erster Satz ABGB ausschließt (RIS‑Justiz RS0019881; RS0020092). Wird allerdings die Verrechnung von Abschlagszahlungen nach Baufortschritt vereinbart, so hat sich der Werkbesteller zu einem Vorschuss auf den Werklohn verpflichtet, auch wenn die Verjährung der Werklohnforderung erst später beginnt (9 Ob 32/16w). Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine solche Vorschusspflicht (Abschlagszahlung) dazu führt, dass dem Werkbesteller selbst im Fall einer mangelhaften Leistung die Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrags nach § 1052 ABGB verwehrt ist (10 Ob 10/10h; 4 Ob 105/12p; 9 Ob 44/16k). Dass ein so unverbesserbares mangelhaftes Werk vorgelegen wäre, dass damit die Unbrauchbarkeit verbunden ist (vgl Kietaibl in Schwimann/Neumayr ABGB5 § 1170 Rz 6), wurde nicht dargestellt. Die Klägerin hat auch nicht vorgebracht, dass sie innerhalb der 14‑tägigen Einwendungsfrist dies geltend gemacht hätte. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Beklagte die Arbeiten einstellen durfte, weil sich die Klägerin mit den Abschlagszahlungen in Verzug befunden hat, ist damit von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt.

[10] 3. Nach ständiger Rechtsprechung besteht ein Rücktrittsrecht nach § 918 Abs 2 ABGB auch, wenn die Interessen eines Vertragsteils durch Nichterfüllung, Verletzung von Schutzpflichten oder deliktischen Handlungen so erheblich beeinträchtigt werden, dass ihm die Aufrechterhaltung des Vertrags aufgrund des eingetretenen Vertrauensverlusts nicht mehr zugemutet werden kann (RS0018286; RS0111147). Das Rücktrittsrecht wegen Verlust des Vertrauens bleibt erhalten, wenn sich der Vertragspartner selbst in Leistungsverzug befindet und die Aufrechterhaltung des Vertrags unzumutbar ist (RS0018286 [T6]). Aufgrund einer schweren Erschütterung des Vertrauens in die Person des Vertragspartners bedarf der Rücktritt auch keiner Nachfrist (RS0018286 [T8]; RS0111147 [T2]).

[11] 4. Ob derartig wichtige Gründe vorliegen, die zu einer sofortigen Vertragsaufhebung berechtigen, ist allerdings stets eine Frage des Einzelfalls, der keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt (RS0018286 [T9]). Das Nichtbefolgen der Anweisung der Klägerin und das Verlassen der Baustelle kann schon deshalb keinen Vertrauensverlust rechtfertigen, weil die Beklagte aufgrund des Zahlungsverzugs der Klägerin dazu berechtigt war. Im Übrigen lässt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach der Klägerin die Fortsetzung des Vertrags trotz einzelner Fehlleistungen der Beklagten zumutbar war, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erkennen.

[12] 5. Die Revision war daher zurückzuweisen, ohne dass es einer weiteren Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

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