OGH 12Os127/23b

OGH12Os127/23b11.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Drach in der Strafsache gegen * F* wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 2 StGB, AZ 21 HR 194/23b des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag der Genannten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00127.23B.0111.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Die Staatsanwaltschaft Graz führte zu AZ 4 St 35/23k gegen * F* ein Ermittlungsverfahren wegen dem Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 2 StGB subsumierter Taten.

[2] In diesem Verfahren hat die Staatsanwaltschaft mittlerweile einen Strafantrag erhoben (vgl ON 28 in AZ 3 Hv 118/23i des Landesgerichts für Strafsachen Graz).

[3] Die Genannte steht im Verdacht, sie habe in G* und an anderen Orten ab April 2022 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz T* O* und * W* durch die gegenüber dem (von ihr bevollmächtigten) Erbenmachthaber Mag. * S* und dem Gerichtskommissär Mag. * L* im Zusammenhang mit der Todesfallaufnahme im Verlassenschaftsverfahren nach Mag. G* O* (AZ * des Bezirksgerichts Graz-West) getätigten wahrheitswidrigen Angaben zu den Nachlassaktiva, nämlich durch das Verschweigen von Sparbüchern, Goldbarren, Goldmünzen, Uhren und allfälligen anderen Wertgegenständen, sohin durch Täuschung über Tatsachen, zur Unterlassung der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zu verleiten versucht, wodurch die Genannten in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt werden sollten.

[4] Das gegenständliche Ermittlungsverfahren wurde aufgrund einer Sachverhaltsdarstellung des T* O* (Sohn des Verstorbenen) eingeleitet. Zum Beweis seines Vorbringens hatte der Anzeiger Fotos von im Zuge der Todesfallaufnahme nicht bekanntgegebenen Sparbüchern, Goldmünzen und anderen Wertgegenständen, Google‑Suchanfragen und Bewegungsprofile (zB Bankbesuche) der Beschuldigten vorgelegt, die er aus der Google-Cloud der * F* und des Mag. G* O* ausgelesen hatte. Die Zugangsdaten zu den beiden Google-Konten habe er seiner Darstellung nach vom Verstorbenen erhalten; zudem habe auch * F* im Jahr 2020 im Zusammenhang mit einer „WIZZ“-Buchung die Zugangsdaten des Mag. G* O* an den Anzeiger übergeben.

[5] Mit Beschlüssen vom 13. April 2023 (ON 9 und 10 in AZ 4 St 35/23k der Staatsanwaltschaft Graz) bewilligte der Haft- und Rechtsschutzrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz die Anträge der Staatsanwaltschaft Graz auf Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte hinsichtlich der Öffnung des Bankschließfachs Nr * der Beschuldigten bei der S* und Sp* AG und Erteilung sämtlicher Auskünfte betreffend die Beschuldigte im Zusammenhang mit der Geschäftsbeziehung gemäß §§ 109 Z 4, 110 Abs 1 Z 1, 2 und (ersichtlich gemeint) 3, 116 Abs 1 und 2 Z 1, 2 und 3, 117, 119 Abs 1 StPO (ON 9) und auf Durchsuchung der Wohnräumlichkeiten der Beschuldigten sowie der dieser zuzuordnenden Fahrzeuge gemäß „§§ 117 Z 2, 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO“ (ON 10).

[6] Anschließend ordnete die Staatsanwaltschaft (gemäß § 110 Abs 1 Z 1, 2 und 3 StPO) die Sicherstellung des Inhalts des Schließfachs und der im Zuge der Durchsuchung vorgefundenen beweisrelevanten Gegenstände (Sparbücher, Goldmünzen, Goldbarren, Uhren, Bargeld, Fotos, Unterlagen, Aufzeichnungen und sonstige Gegenstände, die Rückschlüsse auf die Tat zulassen oder sonst als Beweismittel dienen könnten) an.

[7] Den gegen die genannten Beschlüsse vom 13. April 2023 erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 27. Juli 2023 (AZ 10 Bs 151/23s, 10 Bs 152/23p) nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[8] Dagegen richtet sich der – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte – Antrag der * F* auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO, in dem sie Verletzungen in ihren Grundrechten auf Datenschutz (§ 1 DSG), auf ein faires Verfahren (Art 6 MRK) und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) behauptet. Danach hätten sich die Gerichte auf private „Ermittlungsergebnisse“ des T* O* gestützt, die dieser rechtswidrig erlangt habe. Insbesondere habe der Genannte ohne ihre Zustimmung auf ihre Google‑Zugangsdaten zugegriffen und dort abgespeicherte Lichtbilder, Schriftstücke, Standortdaten und weitere personenbezogene Daten ausgelesen. Die ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen hätten daher (allein) auf diese Beweisergebnisse nicht gestützt werden dürfen.

[9] Der Antrag schlägt fehl.

[10] Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, bei dem alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß gelten (RIS-Justiz RS0122737).

[11] Voranzustellen ist, dass im Erneuerungsverfahren der Verstoß gegen nicht in der MRK oder in ihren Zusatzprotokollen normierte Grundrechte nicht geltend gemacht werden kann. Das auf § 1 DSG bezogene Vorbringen hat daher auf sich zu beruhen (vgl RIS-Justiz RS0132365; zu § 1 DSG siehe T1).

[12] Darüber hinaus ist die Verwertung privater Beweismittel in einem Ermittlungs- oder Hauptverfahren nicht nach den Maßstäben des Art 8 MRK zu prüfen (EGMR 12. 7. 1988, Nr 10862/84, Schenk/Schweiz Rz 53; Madl,HB Wirtschaftsstrafrecht2, Unternehmensinterne Untersuchungen im Wirtschaftsstrafverfahren, Rz 22.93 mwN).

[13] Soweit sich der Antrag hilfsweise auf Art 6 MRK beruft, fehlt es ihm wiederum am Zulässigkeitskriterium der Ausschöpfung des Rechtswegs (Art 35 Abs 1 MRK), weil eine Verletzung dieses Grundrechts in der zum oben angesprochenen Beschluss des Oberlandesgerichts führenden Beschwerde (ON 14) nicht behauptet wurde.

[14] Damit war aber auch der Frage, ob aus Art 6 MRK überhaupt staatliche Gewährleistungspflichten abzuleiten sind, die zu einem Verbot von durch Privatpersonen rechtswidrig (nicht durch Folter im Sinn des Art 3 MRK; vgl dazu EGMR 5. 11. 2020, Nr 31454/10, Ćwik/Polen) erlangten Beweisen führen können (zum Diskussionsstand eingehend Madl,HB Wirtschaftsstrafrecht2, Unternehmensinterne Untersuchungen im Wirtschaftsstrafverfahren, Rz 22.84 ff, 22.92), nicht weiter nachzugehen.

[15] Der Antrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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