European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00108.23Y.0109.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * L* der Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, § 148 erster Fall StGB (I) sowie des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse nach § 153 Abs 1 und 3 erster und zweiter Fall StGB (II) und nach § 153d Abs 2 und 3 erster und zweiter Fall StGB (III) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei abgesondert verurteilten Mittätern gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 1 und 3 erster Fall StGB)
I/ mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, Mitarbeiter der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Vorgabe, die zur Sozialversicherung angemeldeten und bei der BUAK gemeldeten Arbeitnehmer seien bei den jeweils in der Anmeldung und der Meldung genannten Unternehmen beschäftigt, zu Unterlassungen, nämlich zur Abstandnahme von der Geltendmachung und Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge und Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und AbfertigungsG (BUAG) beim wirklichen Dienstgeber, der G*gmbH, verleitet, welche die WGKK und die BUAK im 300.000 Euro übersteigenden Ausmaß von insgesamt 1.289.137,02 Euro am Vermögen schädigten, wobei sie in arbeitsteiliger Vorgangsweise die als Dienstgeber vorgegebenen „Scheinunternehmen“ („Anmeldevehikel“) als faktische Geschäftsführer leiteten, und zwar
A/ von Anfang Juni 2013 bis zum 4. März 2014 hinsichtlich der GU* GmbH in Bezug auf insgesamt 146 Arbeiternehmer bei der WGKK (Schaden: 215.800,71 Euro) und 135 Arbeitnehmer bei der BUAK (Schaden: 292.272,86 Euro);
B/ vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 2014 hinsichtlich der B* GmbH in Bezug auf insgesamt 156 Arbeitnehmer bei der WGKK (Schaden: 427.973,77 Euro) und 106 Arbeitnehmer bei der BUAK (Schaden: 353.089,68 Euro);
II/ durch die zu I/ angeführten Handlungen in Bezug auf eine größere Zahl von Personen deren Anmeldung zur WGKK in dem Wissen, dass die in Folge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig geleistet würden, vorgenommen, vermittelt oder in Auftrag gegeben, wobei die in Folge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig geleistet wurden, und zwar
A/ von Anfang Juni 2013 bis zum 4. März 2014 146 Arbeitnehmer der GU* GmbH;
B/ vom 1. Jänner 2014 bis zum 31. Dezember 2014 156 Arbeitnehmer der B* GmbH;
III/ durch die zu I/ angeführten Handlungen in Bezug auf eine größere Zahl von Personen deren Meldung zur BUAK in dem Wissen, dass die in Folge der Meldung auflaufenden Zuschläge nach dem BUAG nicht vollständig geleistet würden, vorgenommen, vermittelt oder in Auftrag gegeben, wobei die in Folge der Meldung auflaufenden Zuschläge nach dem BUAG nicht vollständig geleistet wurden, und zwar
A/ von Anfang Juni 2013 bis zum 4. März 2014 135 Arbeitnehmer der GU* GmbH;
B/ vom 1. Jänner 2014 bis zum 31. Dezember 2014 106 Arbeitnehmer der B* GmbH.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5a, 8 und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 4) scheitert schon daran, dass sie die Fundstelle zur Stellung des Antrags, dessen Abweisung sie kritisiert, in den umfangreichen Akten nicht nennt (RIS‑Justiz RS0124172).
[5] Im Übrigen ist die Abweisung des Antrags nicht zu beanstanden, weil anlässlich der Antragstellung nicht dargetan wurde, weshalb der als Zeuge beantragte * Y*, der selbst nach Aussage des Beschwerdeführers bereits Jahre vor Beginn des Tatzeitraums aus der GU* GmbH ausgeschieden war (vgl US 37 iVm ON 257 S 24 f), Auskunft darüber hätte geben sollen, dass der Beschwerdeführer nicht faktischer Geschäftsführer (der hier gegenständlichen Gesellschaften) gewesen und „mit den Dienstnehmern in keinerlei Verbindung“ gestanden sei. Das Begehren war solcherart auf im Hauptverfahren unzulässigen Erkundungsbeweis gerichtet (RIS‑Justiz RS0099189 [insbesondere T28 und T30]).
[6] Der im Rahmen der Verfahrensrüge gestellte Antrag, weitere Beweise aufzunehmen, missachtet das im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren geltende Neuerungsverbot (RIS‑Justiz RS0098978).
[7] Indem der Beschwerdeführer das weitere Vorbringen undifferenziert auf die Z 5 und 5a stützt und durch von ihm behauptete Mängel beide Nichtigkeitsgründe (zugleich) verwirklicht sieht, vernachlässigt er deren wesensmäßigen Unterschied und das Gebot, die Nichtigkeitsgründe gesondert auszuführen (RIS‑Justiz RS0115902). Davon abgesehen erschöpft sich dieses Vorbringen großteils darin, einzelnen (teils aus dem Zusammenhang gerissenen) Erwägungen des Erstgerichts eigene beweiswürdigende Überlegungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung entgegenzustellen.
[8] Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO) wird im Übrigen Nichtigkeit im Sinn der Z 5 oder 5a nicht dargetan (RIS‑Justiz RS0102162).
[9] Soweit das Vorbringen über weite Strecken Anklageschrift und Tätigkeit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren kritisiert, wird von vornherein der gesetzliche Bezugspunkt einer Mängel- oder Tatsachenrüge verfehlt (vgl RIS‑Justiz RS0099808).
[10] Davon abgesehen hat das Erstgericht eine Feststellung zu faktischer Geschäftsführerschaft des Beschwerdeführers bei der B* GmbH gar nicht getroffen (vgl US 8 f), weshalb der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) von vornherein ins Leere geht.
[11] Die Feststellung faktischer Geschäftsführerschaft des Beschwerdeführers bei der GU* GmbH wiederum (US 5 f) stützten die Tatrichter auf die Aussagen der beiden abgesondert verurteilten Mitangeklagten und zweier Zeugen sowie auf die Ergebnisse der „Telefonüberwachung“ (US 14 ff). Weshalb angesichts dessen nicht für alle relevanten Urteilsadressaten klar sei, aus welchen Gründen die kritisierte Feststellung getroffen wurde (vgl RIS‑Justiz RS0117995), vermag die Rüge nicht darzulegen. Ebenso wenig zeigt das weitere Vorbringen (der Sache nach Z 5 vierter Fall) auf, dass diese Erwägungen den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen widersprächen (RIS‑Justiz RS0118317).
[12] Überschreitung der Anklage liegt – entgegen dem aus Z 8 erstatteten Einwand – nicht vor. Eine solche wäre (vom hier nicht in Rede stehenden Unterbleiben einer Informationserteilung im Sinn des § 262 StPO abgesehen [vgl dazu RIS‑Justiz RS0121419]) nur dann gegeben, wenn Urteil und Anklage nach Maßgabe des prozessualen Tatbegriffs nicht denselben Sachverhalt erfassten (RIS‑Justiz RS0113142). Dies behauptet der Beschwerdeführer jedoch (im Übrigen zu Recht) nicht, indem er – gestützt auf eine aus dem Zusammenhang gerissene Passage der Anklagebegründung zur Vorgangsweise der Angeklagten vor dem inkriminierten Tatzeitraum (ON 211 S 4 f) – fehlende Klarheit der Anklageschrift in der Frage, „welche Unternehmen nun als 'begünstigte Gesellschaften' und welche als 'Anmeldevehikel' eingestuft werden sollen“, bemängelt (vgl im Übrigen aber die unmissverständlichen Ausführungen auf ON 211 S 10).
[13] Das weitere Vorbringen (nominell Z 8, der Sache nach Z 9 lit a), es fehlten Feststellungen dazu, dass der Beschwerdeführer in die Vorgänge im Zusammenhang mit der B* GmbH (Punkte I/B, II/B und III/B) „in irgendeiner Weise“ (als faktischer Geschäftsführer) „involviert wäre“, übergeht prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) die dazu getroffenen Urteilsannahmen (US 8 ff).
[14] Gleiches gilt für die Subsumtionsrüge (Z 10), die das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Schuldspruch wegen betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse in Abrede stellt, dabei jedoch die dazu getroffenen Feststellungen (US 8 ff) übergeht. Weshalb (unmittelbare) Täterschaft des Beschwerdeführers dessen – von ihm bestrittene – Stellung als (faktischer) Geschäftsführer bei allen beteiligten Gesellschaften voraussetze, erklärt die Rüge davon abgesehen nicht (vgl im Übrigen Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 153d Rz 4 ff; Bugelnig, SbgK § 153d Rz 41).
[15] Das gegen den Verfallsausspruch gerichtete Vorbringen entzieht sich einer inhaltlichen Antwort, weil es (übrigens auch ohne einen Nichtigkeitsgrund nominell anzuführen) inhaltlich keinen Nichtigkeit begründenden Sachverhalt aufzeigt.
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[17] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
[18] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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