European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00127.23T.0109.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
Das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 29. September 2023, GZ 24 Hv 71/23i‑120, verletzt
1/ in den Schuldsprüchen zu Punkt I/ § 28a Abs 2 Z 2 SMG;
2/ im Schuldspruch zu Punkt II/A/ § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG;
3/ im Schuldspruch zu Punkt II/B/ § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG;
4/ in den Schuldsprüchen zu Punkt III/ § 27 Abs 2 SMG sowie
5/ im Einziehungserkenntnis betreffend „die sichergestellten Hilfsmittel zur Suchtgifterzeugung“, soweit damit „Folien zum Verschweißen“ (Standblatt ON 61, Pos. 2), mehrere Flaschen mit Salzsäure oder Rückständen derselben und zwei Einwegspritzen (Standblatt ON 102 Pos. 1) sowie 9,6 kg Koffeinpulver (Standblatt ON 102, Pos. 2) gemeint sind, § 26 Abs 1 StGB.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen zu den Punkten II/ und III/ sowie in der Subsumtion der von Punkt I/ des Schuldspruchs erfassten Taten nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG, demgemäß auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Verfallserkenntnis, ebenso aufgehoben wie der hinsichtlich M* gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefasste Beschluss und die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – * K* und * M* jeweils des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (I/) und mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (III/), M* überdies der (richtig) Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG (II/A/) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (II/B/) schuldig erkannt.
[2] Danach haben in I* und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar
I/ K* und M* am 13. April 2023 als Mitglieder einer aus ihnen und einer weiteren, im angefochtenen Urteil namentlich genannten Person, bestehenden kriminellen Vereinigung in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 31 kg Amphetaminpaste (Reinsubstanz 2.196 GrammAmphetamin), erzeugt, indem sie flüssige Amphetaminbase, Koffein, Salzsäure, Methanol und Diethylether vermengten, und weiteres Suchtgift aus diesen Zutaten zu erzeugen versucht;
II/ M* eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Menge
A/ am 4. März 2023 eingeführt, indem sie eine unbekannte Menge Kokain von Deutschland nach Österreich brachte;
B/ am 19. April 2023 anderen überlassen, indem sie „Cannabisharz“ (vgl US 10: „Haschisch“) einem unbekannten Abnehmer übergab;
III/ K* und M* bis zum 19. April 2023 zum „eigenen“ Gebrauch erworben und besessen, nämlich Kokain und Cannabiskraut (beinhaltend Delta‑9‑THC und THCA).
Rechtliche Beurteilung
[3] Dieses, lediglich von der Staatsanwaltschaft im Strafausspruch zum Nachteil dieser beiden Angeklagten angefochtene Urteil steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz mehrfach nicht in Einklang.
[4] Die zu Punkt I/ des Schuldspruchs vorgenommene Subsumtion nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG entbehrt einer ausreichenden Tatsachenbasis in Bezug auf die zeitliche Dimension des Zusammenschlusses mit krimineller Ausrichtung. Nach § 278 Abs 2 StGB muss eine kriminelle Vereinigung „auf längere Zeit“, nach ständiger Rechtsprechung demnach nicht bloß auf einige Stunden oder Tage (RIS‑Justiz RS0125232), angelegt sein. Die bloße Verwendung der verba legalia (US 9 und 14) bleibt ohne ausreichenden Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0119090) und trägt diese Subsumtion demnach nicht.
[5] Zu Punkt II/A/ des Schuldspruchs enthält das Urteil keine Feststellungen dazu, dass der Vorsatz der Angeklagten M* die Einfuhr einer die Grenzmenge übersteigenden Menge Kokain erfasst hätte (vgl US 11).
[6] Gleiches trifft auf Punkt II/B/ in Bezug auf einen das Überlassen einer entsprechenden Menge Suchtgift gerichteten Vorsatz zu. Darüber hinaus nennt das Urteil in diesem Zusammenhang keinen in der Suchtgiftverordnung angeführten Wirkstoff (vgl US 3: „Cannabisharz“ und US 10: „Haschisch“), weshalb schon die (rechtliche) Annahme, M* habe (überhaupt) Suchtgift überlassen, ohne Sachverhaltsgrundlage bleibt. Eine diesbezüglich bestehende Gerichtsnotorietät entbände im Übrigen nicht vom Erfordernis, die entscheidenden Tatsachen festzustellen (RIS‑Justiz RS0114428 [T1 und T9]).
[7] Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass § 28a Abs 4 Z 3 SMG eine Zusammenrechnung von (je für sich die Grenzmenge übersteigenden) Suchtgiftmengen nur in Bezug auf gleichartige Begehungsweisen des § 28a Abs 1 SMG zulässt, was hier auf das Erzeugen (Punkt I/), das Einführen (II/A/) und das Überlassen (II/B/) nicht zutrifft (RIS‑Justiz RS0117464 [insbesondere T2]; vgl auch RS0111410 [insbesondere T3]).
[8] Zu Punkt III/ des Schuldspruchs wiederum findet sich in den Entscheidungsgründen die Feststellung, K* und M* hätten das Suchtgift „zum eigenen“ (ersichtlich gemeint: ausschließlich zum persönlichen) „Gebrauch“ erworben und besessen (US 10; so auch das Referat der entscheidenden Tatsachen [§ 260 Abs 1 Z 1 StPO] auf US 3). Auf Basis dieses Urteilssachverhalts sind die Taten nach § 27 Abs 2 SMG privilegiert, dessen Nichtannahme den Schuldspruch mit einem Subsumtionsfehler belastet (RIS‑Justiz RS0131857).
[9] Gemäß § 26 Abs 1 StGB wurde im angefochtenen Urteil angeordnet, „die sichergestellten Hilfsmittel zur Suchtgifterzeugung wie im Standblatt ON 102 Positionen 1, 2, und 3 sowie im Standblatt ON 61 Positionen 1, 2 und 3“ einzuziehen (US 4). Dazu findet sich in den Entscheidungsgründen lediglich die Passage, die Einziehung sei als Folge „der Verurteilung bei Vorliegen aller gesetzlichen Voraussetzungen auszusprechen“ gewesen (US 18). Einziehung nach dieser Bestimmung setzt allerdings unter anderem voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an (RIS‑Justiz RS0121298). Die für deren Beurteilung erforderlichen Feststellungen sind dem Urteil in Bezug auf die im Spruch genannten Gegenstände nicht zu entnehmen.
[10] Da die (die Schuldsprüche betreffenden) Gesetzesverletzungen geeignet sind, zum Nachteil der Angeklagten K* und M* zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Punkt II/A/ war zur Gänze aufzuheben, weil Urteilsannahmen, die einen nicht erfolgten Schuldspruch nach § 27 Abs 1 fünfter Fall SMG tragen könnten, für sich allein nicht bestehen bleiben können (RIS‑Justiz RS0115884).
[11] Da anhand des Urteilsinhalts nicht beurteilt werden kann, ob der Verfallsausspruch im verbleibenden Schuldspruch Deckung findet, war auch dieser zu kassieren (vgl 14 Os 73/23a; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7).
[12] Eine Aufhebung des rechtsfehlerhaften Einziehungserkenntnisses war im Hinblick auf die von den Verteidigern in der Hauptverhandlung namens der Angeklagten abgegebenen Erklärung, dass gegen die Einziehung der genannten Gegenstände „Einwände nicht erhoben werden“ (ON 118, 15), nicht erforderlich (15 Os 53/23t; vgl RIS‑Justiz RS0088201 [T11 und T14]).
[13] Die Beseitigung des gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschlusses war Folge der Aufhebung des M* betreffenden Strafausspruchs (RIS‑Justiz RS0100194).
[14] Von der aufgehobenen Entscheidung rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).
[15] Die gegen das Urteil gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft ist zufolge Aufhebung des Strafausspruchs gegenstandslos.
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