European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00121.23K.0109.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Im Verfahren AZ 19 U 79/22x des Bezirksgerichts Klagenfurt verletzen
1/ der Beschluss dieses Gerichts vom 15. Dezember 2022 auf Fortsetzung des Verfahrens (ON 1 S 7) § 86 Abs 1 und 2 StPO;
2/ die Fortsetzung des Strafverfahrens (in Form der Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung) am 7. März 2023 ohne rechtskräftigen Fortsetzungsbeschluss § 205 Abs 2, § 209 Abs 3 iVm § 199 StPO;
3/ der in der Hauptverhandlung am 7. März 2023 erfolgte zusammenfassende Vortrag von Aktenstücken § 252 Abs 2a iVm § 458 zweiter Satz StPO, in Bezug auf darunter befindliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen und ein Sachverständigengutachten darüber hinaus § 252 Abs 1 iVm § 458 zweiter Satz StPO.
Das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 7. März 2023, GZ 19 U 79/22x‑20, wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Klagenfurt wird die neuerliche Durchführung des Verfahrens aufgetragen.
Gründe:
[1] Mit Strafantrag vom 22. März 2022 legte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt * S* ein als Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB beurteiltes Verhalten zur Last.
[2] In der Hauptverhandlung unterbreitete das Bezirksgericht Klagenfurt der Angeklagten am 30. Mai 2022 das Angebot, einen Geldbetrag von 1.035 Euro in Teilbeträgen bis einschließlich November 2022 zu zahlen (vgl §§ 199, 200 Abs 4 StPO) und vertagte die „Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit zum Durchführen der diversionellen Erledigung“ in diesem Sinn (ON 15 S 5).
[3] Am 15. Dezember 2022 fasste das Bezirksgericht Klagenfurt (ersichtlich gemeint) den Beschluss auf Fortsetzung des Strafverfahrens (vgl ON 1 S 7: „B. 1/ Forts. des Verf. wg Nichterf. der angebotenen Div“), beraumte zugleich die Hauptverhandlung für den 7. März 2023 an und verfügte die Ladung der Angeklagten unter Anschluss eines Zahlscheins mit dem Beisatz, „sollte vor der HV die angebotene Div. von insgesamt € 1035,- bezahlt sein, findet die Hv nicht statt“.
[4] In dieser in Abwesenheit der unvertretenen Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung trug der Einzelrichter „gemäß dem § 252 Abs 2“ (ersichtlich gemeint: Abs 2a) StPO mehrere Aktenstücke, darunter zwei Berichte der Kriminalpolizei beinhaltend Protokolle über die Vernehmungen der Zeugen * K* (ON 2 S 18 ff), R* B* (ON 2 S 22 ff), N* B* (ON 2 S 26 ff) und * Sa* (ON 5 S 5 ff) sowie das Gutachten eines Sachverständigen (ON 8) vor (ON 18 S 4).
[5] Mit (rechtskräftigem) Abwesenheitsurteil vom 7. März 2023, GZ 19 U 79/22x‑20, sprach das Bezirksgericht Klagenfurt S* des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB schuldig und verurteilte sie zu einer Geldstrafe.
[6] Nach Durchführung der Hauptverhandlung erlangte der Einzelrichter Kenntnis, dass der von S* überwiesene Betrag von 1.035 Euro bereits am 6. März 2023 auf dem Konto dieses Gerichts gutgeschrieben worden war (ON 17 und 19).
Rechtliche Beurteilung
[7] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, wurde das Gesetz in diesem Verfahren mehrfach verletzt:
[8] Eine Mitteilung nach § 200 Abs 4 iVm § 199 StPO stellt nicht bloß eine prozessleitende, sondern eine Bindungswirkung (§ 205 Abs 3 zweiter Satz StPO) entfaltende Verfügung dar (vgl RIS‑Justiz RS0119663 [insbesondere T6]; Schroll/Kert, WK‑StPO § 200 Rz 11/1 und § 205 Rz 1/2).
[9] Die – (hier) infolge Unterbleibens einer Zahlung des vorgeschlagenen Geldbetrags (ersichtlich) auf § 205 Abs 2 Z 1 iVm § 199 StPO gestützte – Fortsetzung des Verfahrens erfordert die Fassung eines Beschlusses im Einklang mit den (Form-)Vorschriften des § 86 Abs 1 und 2 StPO (RIS‑Justiz RS0131501).
[10] Diesen Anforderungen entspricht die hier vom Bezirksgericht am 15. Dezember 2022 auf dem Antrags- und Bewilligungsbogen form- und begründungslos beschlossene Fortsetzung des Verfahrens, welche Entscheidung den zur Beschwerde Berechtigten (Angeklagte und Staatsanwaltschaft [Schroll/Kert, WK-StPO § 205 Rz 21]) auch nicht zugestellt wurde, nicht.
[11] Der Verfahrensfortsetzung in Form der Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung am 7. März 2023 stand demnach ein durch die Mitteilung nach § 200 Abs 4 iVm § 199 StPO vom 30. Mai 2022 (ON 15 S 5) eingetretenes, für den (hier mangels Zustellung nicht eingetretenen) Fall der Rechtskraft des Beschlusses über die Verfahrensfortsetzung auflösend bedingtes, Verfolgungshindernis entgegen (RIS‑Justiz RS0128156 [T3]). Dieser Vorgang verletzt daher § 205 Abs 2 und § 209 Abs 3 iVm § 199 StPO.
[12] Der in der Hauptverhandlung vorgenommene zusammenfassende Vortrag von Aktenstücken hätte gemäß der (ersichtlich in Anspruch genommenen) Vorschrift des § 252 Abs 2a StPO die Zustimmung der Beteiligten des Verfahrens vorausgesetzt. Darüber hinaus hätte ein solcher Vortrag, soweit er die Verlesung von Protokollen über die Vernehmung von Zeugen oder des Sachverständigengutachtens substituierte, mangels Vorliegens anderer Ausnahmetatbestände nach § 252 Abs 1 Z 4 StPO das Einverständnis von Ankläger und Angeklagter erfordert. Aus dem Fernbleiben der ordnungsgemäß geladenen (unvertretenen) Angeklagten kann auf deren Einverständnis oder Zustimmung im zuvor genannten Sinn nicht geschlossen werden (RIS‑Justiz RS0117012 [insbesondere auch T2]; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 103; Ratz, ebd § 281 Rz 234).
[13] Dieser Vorgang verletzt daher § 252 Abs 2a iVm § 458 zweiter Satz StPO, hinsichtlich der Protokolle über Zeugenvernehmungen und das Sachverständigengutachten auch § 252 Abs 1 iVm § 458 zweiter Satz StPO.
[14] Neben der Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzungen sah sich der Oberste Gerichtshof in Wahrnehmung der ihm nach § 292 letzter Satz StPO zukommenden Befugnis veranlasst, das in Verletzung eines prozessualen Verfolgungshindernisses ergangene, für die Angeklagte nachteilige Abwesenheitsurteil (vgl EvBl 2022/99, 752 [Glosse zu 14 Os 123/21a, 124/21y, 125/21w]) aufzuheben und dem Bezirksgericht Klagenfurt die neuerliche Durchführung des Verfahrens aufzutragen.
[15] Von der aufgehobenen Entscheidung rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).
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