OGH 8ObA73/23b

OGH8ObA73/23b13.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Andreas Schlegel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ö* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S* K*, vertreten durch die Haider/Obereder/Pilz Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, wegen nachträglicher Zustimmung zur Entlassung, hilfsweise Zustimmung zur zukünftigen Entlassung, hilfsweise zur Kündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Oktober 2023, GZ 15 Ra 38/23k‑27.2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00073.23B.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der bei der Klägerin beschäftigte Beklagte wurde am 11. 10. 2022 in der Betriebsversammlung als Mitglied des Wahlvorstands für die Vorbereitung und Durchführung der Wahl des Betriebsrats und der Behindertenvertrauensperson gewählt. Die Klägerin entließ ihn am 28. 10. 2022 aufgrund eines Vorfalls am Vortag und brachte die aufgrund der genannten Funktion des Beklagten notwendige Klage auf nachträgliche gerichtliche Zustimmung zur Entlassung nach § 122 Abs 3 (iVm Abs 1 Z 2) ArbVG am 10. 11. 2022 ein.

[2] Die Vorinstanzen wiesen die Klage mit der Begründung ab, sie sei entgegen der Rechtsprechung nicht unverzüglich erhoben worden.

[3] Die Klägerin gesteht in ihrer außerordentlichen Revision zu, dass die Rechtsprechung die unverzügliche Einbringung einer solchen Klage verlangt, vertritt aber die Ansicht, diese Rechtsprechung sei verfehlt und daher das Rechtsmittel zwecks Abgehens von ihr iSd § 502 Abs 1 ZPO zulässig. Bei der bereits ausgesprochenen Entlassung bestehe kein Sinn, die Klage unverzüglich einzubringen, wisse der Arbeitnehmer doch, dass der Arbeitgeber das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar betrachte, sodass er vernünftigerweise aus dem weiteren Geschehen nicht mehr konkludent eine Verzeihung oder einen Entlassungsverzicht ableiten könne.

Rechtliche Beurteilung

[4] Richtig ist, dass auch bei Vorbringen gewichtiger Gründe gegen die Richtigkeit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, an welcher sich das Berufungsgericht orientierte, die Revision zulässig ist, wenn der Oberste Gerichtshof eine Änderung seiner Rechtsprechung in Erwägung zieht (A.Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] § 502 Rz 15; Lovrek in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 IV/1 [2019] § 502 Rz 36 ZPO). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor:

[5] Nach der – von der Beklagten abgelehnten – ständigen Rechtsprechung trifft den Arbeitgeber nicht nur die Obliegenheit, ihm bekanntgewordene Entlassungsgründe unverzüglich geltend zu machen, sondern auch jene, ehestens die Klage auf nachträgliche Zustimmung des Gerichts zur Entlassung nach § 122 Abs 3 ArbVG einzubringen (9 ObA 141/89; RIS‑Justiz RS0028954; iglS bereits die Rsp des Einigungsamts Wien [R 91/47 = Arb 4950] und des VwGH [Zl 1059/51 = VwSlg 2242/A = Arb 5305; Zl 1263/56 = VwSlg 4543/A = Arb 6804; Zl 1422/67 = Arb 8532; Zl 1797, 1798/77 = ZAS 1979/8 {zust Wachter}]). Diese Rechtsprechung wird von der Literatur geteilt (zB Floretta in Floretta/Strasser, ArbVG [1975] 835; Winkler in Tomandl, ArbVG [2010] § 122 Rz 20; Trost in Jabornegg/Resch, ArbVG [2018] § 122 Rz 87; Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 120 ArbVG Rz 65 und § 122 ArbVG Rz 79; Schneller in Gahleitner/Mosler, ArbVG6 [2020] § 122 Rz 2).

[6] Anerkanntermaßen ist – was auch die Revision nicht in Zweifel zieht – die vor der Zustimmung des Gerichts wegen einer strafbaren Handlung iSd § 122 Abs 1 Z 2 ArbVG oder einer Ehrverletzung iSd § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG ausgesprochene Entlassung bis zur Erteilung der notwendigen Zustimmung des Gerichts nach § 122 Abs 3 ArbVG schwebend rechtsunwirksam und bleibt während des Schwebezustands das Arbeitsverhältnis und das Betriebsratsmandat (oder im vorliegenden Fall die Mitgliedschaft im Wahlvorstand – § 120 Abs 4 Z 2 ArbVG) aufrecht (RS0051218; Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 [2018] § 122 ArbVG Rz 82; Schneller in Gahleitner/Mosler, ArbVG6 [2020] § 122 Rz 31 ua). Dass die Rechtsprechung die unverzügliche Klage auf nachträgliche gerichtliche Zustimmung verlangt, beruht auf der Erwägung, dass der Arbeitgeber alles zu tun hat, um den Schwebezustand so kurz wie möglich zu halten (zB 9 ObA 141/89). Es gilt eine der Funktion der Belegschaftsvertretung äußerst abträgliche Rechtsunsicherheit tunlichst hintanzuhalten (vgl 9 ObA 25/95 = DRdA 1996/4 [Eypeltauer]). § 122 Abs 3 ArbVG will dem Arbeitgeber nicht das Recht einräumen, die Einholung der Zustimmung auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben (so bereits Arb 4950).

[7] Entgegen der Ansicht der Revision kann somit das ohne vorherige Zustimmung des Gerichts entlassene Betriebsratsmitglied (oder hier Mitglied des Wahlvorstands – § 120 Abs 4 Z 2 ArbVG) aus dem Umstand, dass der Arbeitgeber der Entlassung nicht unverzüglich die Klage auf nachträgliche gerichtliche Zustimmung zur Entlassung folgen lässt, sehr wohl schließen, dass seine Entlassung vom Arbeitgeber nicht weiter verfolgt wird.

[8] Ob im Einzelfall die Klage auf gerichtliche Zustimmung rechtzeitig erhoben wurde, ist eine Frage des Einzelfalls, der grundsätzlich – abgesehen von einer hier nicht gegebenen groben Fehlbeurteilung – keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt. Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen des dem Berufungsgericht zustehenden Ermessensspielraums (vgl 8 ObA 78/99z: Verspätung, wenn die Klage erst 14 Tage nach der Entlassung bei Gericht einlangte).

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