OGH 9ObA25/95

OGH9ObA25/9522.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Mag.Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Gerhard S*****, vertreten durch Dr.Helga Hofbauer-Goldmann, Rechtsanwältin in Wien, wider die Beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei I***** Gesellschaft AG, Zweigniederlassung Wien, ***** vertreten durch Dr.Alfred Strommer und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, Unterlassung und einstweiliger Verfügung (Streitwert 300.000 S), infolge Revisionsrekurses der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Dezember 1994, GZ 33 Ra 152/94-7, womit infolge Rekurses der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4.Oktober 1994, GZ 16 Cga 185/94f-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antrag der klagenden und gefährdeten Partei auf Zuspruch von Kosten des Revisionsrekursverfahrens wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die klagende und gefährdete Partei (im folgenden Kläger genannt) ist seit 27.April 1976 bei der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei (im folgende beklagte Partei genannt) beschäftigt, und zwar zunächst als Buffetverkäufer, dann als Liegewagenbegleiter und schließlich als Schlafwagenschaffner. Am 16.März 1988 wurde der Kläger zum Betriebsratsmitglied gewählt, kurz darauf von der beklagten Partei vom Dienst freigestellt. Im Mai 1988 wurde der Kläger zum Vorsitzenden des Zentralbetriebsrates und Arbeiterbetriebsrates der beklagten Partei bestellt und sodann zweimal durch Wiederwahl in dieser Funktion bestätigt. Am 14. September 1994 sprach Michael L***** namens der beklagten Partei die Entlassung des Klägers aus, weil dieser einen Arbeitskollegen im Zusammenhang mit einer Zeugenaussage vor Gericht als unglaubwürdig bezeichnet hatte.

Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Bestandes seines Dienstverhältnisses und die Verpflichtung der beklagten Partei, jegliche Handlungen zu unterlassen, die den Kläger in der Ausübung seiner Funktion als Vorsitzender des Zentralbetriebsrates und des Arbeiterbetriebsrates (Fahrdienst) und bei seiner Tätigkeit als öffentlich-rechtlicher Mandatar beschränkten und ihm den Zutritt zu sämtlichen Räumen ihrer Betriebe ohne zeitliche und örtliche Beschränkung insoweit zu gestatten, wie dies zur Ausübung des öffentlich-rechtlichen Mandates erforderlich sei. Die Entlassung sei zu Unrecht erfolgt. Dem bei der beklagten Partei angestellten Kontrollor Leopold K***** sei in einem von einer ehemaligen Bistro-Kellnerin gegen die beklagte Partei angestrengten Entlassungsanfechtungsverfahren vom Gericht kein Glauben geschenkt worden. Der Kläger habe darauf am 11.September 1994 lediglich scherzhaft angespielt und in der dem Ausspruch der Entlassung vorangehenden Besprechung vom 14.September 1994 erklärt, falls sich Leopold K***** trotz der Klarstellung, daß ihn der Kläger keiner falschen Zeugenaussage bezichtigte, in seiner Ehre berührt fühle, werde er sich in aller Form für das offenkundige Mißverständnis entschuldigen. Mit Schreiben vom 15.September 1994 habe die beklagte Partei dem Kläger mitgeteilt, daß ihm das Betreten der Betriebsräumlichkeiten nicht mehr gestattet sei.

Mit dieser Klage verband der Kläger den Antrag, der beklagten Partei mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es zu unterlassen, dem Kläger den Zutritt zu den Betriebsräumlichkeiten zur Ausübung seiner Betriebsratstätigkeit zu untersagen, um eine Hintanhaltung jeglicher Beschränkung seiner Funktionen als Vorsitzender des Zentralbetriebsrates und des Arbeiterbetriebsrates (Fahrdienst) zu gewährleisten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Sicherungsantrages. Der Kläger habe schon beträchtliche Zeiten zuvor nicht die üblichen Umgangsformen eingehalten und die von der beklagten Partei beabsichtigte Umstrukturierung des Betriebes behindert. Der Kläger habe versucht, durch Polemiken und Diskreditierung von Mitarbeitern und leitenden Angestellten deren Autorität zu untergraben und eine Störung des Betriebsklimas herbeizuführen. Am 11.September 1994 habe der Kläger dem gerade mit der Abrechnung von Umsätzen beschäftigten Leopold K***** in Gegenwart zweier Arbeitskollegen vorgeworfen, daß er vor dem Arbeitsgericht eine falsche Zeugenaussage gemacht habe, dies als Kontrollor der Firma und daß es der Kläger aus diesem Grund bezweifle, daß er der richtige Mann für eine Kassatätigkeit sei. Daraufhin sei am 14.September 1994 die Entlassung des Klägers gemäß § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG ausgesprochen worden. Gemäß § 122 Abs 3 ArbVG sei diese Entlassung sofort wirksam, bedürfe aber der nachträglichen Zustimmung des Gerichtes. Lediglich für den Regelfall gehe der Gesetzgeber davon aus, daß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Betriebsratsmitgliedes nur nach vorheriger gerichtlicher Zustimmung erfolgen könne. Von diesem Grundsatz lasse er in den Fällen des § 122 Abs 1 Z 2 und 5 ArbVG eine Ausnahme zu. Diese von der sonstigen Gesetzessystematik abweichende Regelung wäre sinnlos, wollte der Gesetzgeber nicht auch unterschiedliche Rechtsfolgen bewirken.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Aus der die Fälle des § 122 Abs 1 Z 2 und 5 ArbVG getroffenen Ausnahmsregelung lasse sich nicht die sofortige Wirksamkeit einer nach diesen Tatbeständen ausgesprochenen Entlassung erschließen. Unterschiedliche Rechtsfolgen ergäben sich bereits daraus, daß der Arbeitgeber bei Ausspruch der Entlassung erst nach Einholung der gerichtlichen Zustimmung anders als in den beiden Ausnahmsfällen den Arbeitnehmer bis dahin weiterbeschäftigen und bezahlen müsse. Dem Gesetzgeber, der insbesondere durch den besonderen Bestandschutz für Betriebsratsmitglieder erkennen lasse, daß er dem Betriebsrat einen hohen Stellenwert im Rahmen der Arbeitsverfassung zubillige, könne nicht unterstellt werden, daß er in den Ausnahmsfällen die Entlassung bis zur Entscheidung des Gerichtes als schwebend wirksam ansehe, da in diesem Fall die Stellung der einzelnen Betriebsratsmitglieder sowie der Bestand des Betriebsrates durch die enorm erleichterte Möglichkeit des Mißbrauches erheblich gefährdet wären. Gerade die Notwendigkeit der unverzüglichen Klagsführung durch den Arbeitgeber auf nachträgliche Zustimmung zur erfolgten Entlassung zeige, daß die Wirksamkeit der Entlassung durch die nachfolgende Genehmigung aufschiebend bedingt sei. Lediglich in besonders schwerwiegenden Fällen - wenn der Betriebsrat durch sein Verhalten die betrieblichen Interessen erheblich gefährde und dem Arbeitgeber daher die Gestattung des Zutrittes zu den Betriebsräumen unzumutbar sei - habe der Arbeitgeber (unabhängig davon, ob er den Arbeitnehmer sofort entlasse oder die gerichtliche Zustimmung vorweg einhole) die Möglichkeit, seinerseits dem Arbeitnehmer mit einstweiliger Verfügung das Betreten sämtlicher oder bestimmter Betriebsräumlichkeiten zu untersagen. Mit der Verhinderung des Zutrittes zu den Betriebsrämlichkeiten habe die beklagte Partei daher gegen das Beschränkungsverbot des § 115 ArbVG verstoßen.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes im Provisorialverfahren 50.000 S nicht übersteige und daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes, daß die Entlassung nach § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Zustimmung schwebend unwirksam sei; die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu dieser Frage sei aber uneinheitlich, weshalb gemäß § 46 Abs 1 Z 1 iVm § 47 Abs 1 ASGG die Zulässigkeit des Revisionsrekurses auszusprechen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Die Sonderbestimmungen des ASGG über das Rechtsmittelverfahren - insbesondere § 47 Abs 1 ASGG - sind im Verfahren über einstweilige Verfügungen, auch wenn diese im Rahmen des Verfahrens über eine Arbeitsrechtssache beantragt werden, nicht anzuwenden (siehe DRdA 1994/46 mwH). Gemäß den §§ 402 Abs 4, 78 EO ist daher der Revisionsrekurs im Falle des § 528 Abs 2 Z 1 ZPO jedenfalls unzulässig (die weitere Rechtsmittelbeschränkung des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO ist gemäß § 402 Abs 1 EO idF BGBl 1992/756 hingegen im Verfahren über einstweilige Verfügungen nicht anzuwenden). Da der Oberste Gerichtshof gemäß § 526 Abs 3 ZPO iVm § 500 Abs 2 Z 1 und 3 und Abs 4 ZPO sowie § 508a Abs 1 ZPO zwar an die Bewertung durch das Rekursgericht, nicht aber an dessen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses gebunden ist, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Eine Anregung zu einer allfälligen Berichtigung des Ausspruches über den Wert des Streitgegenstandes erachtete der Oberste Gerichtshof als entbehrlich, weil zu der hier relevierten Frage der schwebenden Unwirksamkeit der Entlassung ohnehin eine ständige, im wesentlichen einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt und die Vorinstanzen dieser Rechtsprechung gefolgt sind.

Der Oberste Gerichtshof hat in den jeweils die nachträgliche Zustimmung zur Entlassung eines Betriebsratsmitgliedes betreffenden Verfahren Arb 9872 = ZAS 1981/15 (zust Wachter) = DRdA 1983/6 (krit Löschnigg); Arb 10.185; 9 Ob A 14/93 (= ARD 4458/14/93) und 9 ObA 244/93 (= ecolex 1994, 246 = DRdA 1994/46 [krit Eypeltauer]) jeweils unter Berufung auf Floretta (in Floretta/Strasser HandKomm ArbVG 821 und 826) übereinstimmend ausgesprochen, daß die Entlassung bis zur Erteilung der nachträglichen Zustimmung schwebend unwirksam ist. Lediglich in der eine Entlassung nach § 31 Abs 3 DO.B betreffenden Entscheidung Arb 10.107 hat der Oberste Gerichtshof im Rahmen eines nicht näher begründeten obiter dictum auch zu § 122 Abs 3 ArbVG dahin Stellung genommen, daß die Entlassung - ebenso wie in den Fällen des § 122 Abs 1 Z 2 und 5 ArbVG - nur im Fall der nachträglichen Bestätigung durch ein Disziplinarerkenntnis rechtswirksam bleibe, also vorher nur schwebend wirksam sei.

Die Ausführungen Marholds (Aufsichtsratstätigkeit und Belegschaftsvertretung, 125 ff) vermögen nicht zu überzeugen; gerade der Vergleich mit den Fällen des allgemeinen Kündigungs- und Entlassungsschutzes nach den §§ 105 und 106 ArbVG zeigt, daß im Falle des § 122 Abs 3 ArbVG von einer schwebenden Unwirksamkeit der Entlassung auszugehen ist. Während im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes die Auflösungserklärung wirksam bleibt, wenn der Arbeitnehmer bzw der Betriebsrat nicht durch unverzüglich einzubringende Rechtsgestaltungsklage nachträglich ihre Unwirksamerklärung erwirken, bleibt im Falle des § 122 Abs 3 ArbVG die Entlassung unwirksam, wenn nicht der Arbeitgeber durch unverzüglich zu erhebende Rechtsgestaltungsklage die nachträgliche gerichtliche Zustimmung erlangt. Soweit Marhold vermeint, der auch von ihm erkannten Gefahr des Mißbrauches der Entlassungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber könne dadurch begegnet werden, daß dann, wenn nicht einmal der Anschein des vom Arbeitgeber behaupteten Entlassungsgrundes nach § 122 Abs 1 Z 2 oder 5 ArbVG gegeben sei, eine "Nicht-Entlassung" anzunehmen sei, ist ihm zu erwidern, daß die von ihm vorgeschlagene Lösung nicht nur zu einer mit der auf Gewährleistung eines möglichst effizienten Schutzes für Betriebsratsmitglieder gerichteten Absicht des Gesetzgebers unvereinbaren und der Funktion der Belegschaftsvertretung äußerst abträglichen Rechtsunsichtheit führen würde, sondern darüber hinaus dem entlassenen Arbeitnehmer die Beweislast für den offenbaren Mißbrauch des Entlassungsrechtes aufbürdet. Dasselbe gilt für den Lösungsvorschlag Eypeltauers (in der Besprechung der Entscheidung DRdA 1994/46), dem Arbeitnehmer im Falle des Mißbrauches des Entlassungsrechtes durch den Betriebsinhaber das Recht zur Erwirkung einer einstweiligen Verfügung einzuräumen.

Da der Kläger auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses nicht hingewiesen hat, waren ihm Kosten der Rekursbeantwortung nicht zuzuerkennen.

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