European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00187.23F.1113.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Das Berufungsgericht erkannte die beklagte Gemeinde schuldig, ob einer ihr gehörenden Liegenschaft in die grundbücherliche Einverleibung des Eigentumsrechts zu Gunsten der Klägerin einzuwilligen.
Rechtliche Beurteilung
[2] Mit ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[3] 1.1 Die Beklagte begründet die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision zunächst mit der aus ihrer Sicht korrekturbedürftigen Annahme des Berufungsgerichts, dass der Bürgermeister bei den Verhandlungen über den Baurechtsvertrag von der Referatsleiterin vertreten worden sei.
[4] 1.2 Das Berufungsgericht hat im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung unter anderem selbst festgehalten, dass die Referatsleiterin bei den Gesprächen mit der Klägerin nicht bevollmächtigt war, verbindliche Erklärungen – insbesondere über die Möglichkeit des Ankaufs der Baurechtsliegenschaft spätestens nach 20 Jahren – für die Beklagte abzugeben.
[5] Unabhängig davon ist für den Anlassfall maßgebend, dass das Berufungsgericht seine Beurteilung letztlich auf die Auslegung des Gemeinderatsbeschlusses vom 15. 12. 2000, des Schreibens der Beklagten vom 3. 4. 2001 und des Baurechtsvertrags vom 17. 9. 2002/11. 11. 2002 stützt. Auf die Frage nach der Befugnis (Bevollmächtigung oder Anscheinsvollmacht) der Referatsleiterin, für den Bürgermeister rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben, kommt es daher nicht an.
[6] 2.1 Als erhebliche Rechtsfrage moniert die Beklagte zudem, dass das Berufungsgericht von der Rechtsprechung abgewichen sei, wonach eine von einem erforderlichen Gemeinderatsbeschluss nicht gedeckte Willenserklärung des Bürgermeisters dem Erklärungsempfänger gegenüber wirkungslos sei. Außerdem sei das vom Berufungsgericht erzielte Auslegungsergebnis, dass der Klägerin kein Vorkaufsrecht, sondern ein Ankaufsrecht (im Sinn einer Kaufoption) eingeräumt worden sei, unhaltbar.
[7] 2.2 Gemäß § 35 Z 22 NÖ GemO ist der Erwerb, die Veräußerung, die Verpfändung oder sonstige Belastung von unbeweglichem Vermögen dem Gemeinderat zur selbständigen Erledigung vorbehalten. Gemäß § 37 Abs 1 leg cit vertritt der Bürgermeister die Gemeinde nach außen. Ist der Abschluss eines Rechtsgeschäfts einem anderen Organ vorbehalten, so obliegt dem Bürgermeister die Vollziehung der vom zuständigen Kollegialorgan gefassten Beschlüsse. Das Berufungsgericht hat insoweit zutreffend beurteilt, dass im Anlassfall zwischen der Willensbildung der Gemeinde in Form eines Gemeinderatsbeschlusses einerseits und der Vertragserklärung des Bürgermeisters andererseits zu unterscheiden ist.
[8] Ist für den Abschluss eines Rechtsgeschäfts eine Beschlussfassung durch den Gemeinderat erforderlich, so ist das ohne eine solche Beschlussfassung vom Bürgermeister abgeschlossene Rechtsgeschäft nach ständiger Rechtsprechung für die Gemeinde nicht verbindlich (10 Ob 18/21a mwN). Damit sind jene Bestimmungen der Gemeindeordnungen, die bestimmte Rechtsgeschäfte dem Gemeinderat vorbehalten, keine bloß internen Organisationsvorschriften, sondern eine Beschränkung der allgemeinen Vertretungsbefugnis des Bürgermeisters (RS0014664; vgl auch RS0031238). Dies bedeutet, dass die Vertragserklärung des Bürgermeisters zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von einem Gemeinderatsbeschluss gedeckt sein muss. Dabei kann sich die Ermächtigung des Bürgermeisters entweder auf ein konkretes Rechtsgeschäft oder allgemein auf eine ausreichend bestimmte Art von Rechtsgeschäften beziehen (vgl 10 Ob 18/21a).
[9] 2.3 Ein Gemeinderatsbeschluss ist objektiv nach dem Aussagewert des Textes, also dem Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und im Zusammenhang mit dem zugrunde gelegenen Geschäftszweck auszulegen (7 Ob 108/17h; 8 ObA 22/21z; 3 Ob 327/21k).
[10] Demgegenüber ist auch bei der Auslegung eines vom Bürgermeister abgeschlossenen Vertrags grundsätzlich zunächst vom Wortlaut des schriftlichen Vertragstextes oder vom Wortsinn der mündlichen Vertragserklärungen auszugehen, aber nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der Wille der Parteien zu erforschen. Wird kein – vom Vertragstext oder Wortsinn abweichender oder diesen präzisierender oder ergänzender – übereinstimmender Parteiwille behauptet oder festgestellt, so ist für die Auslegung der objektive Erklärungswert des Vertragstextes bzw der Erklärungen mit Rücksicht auf den Geschäftszweck maßgebend (4 Ob 171/20f; 3 Ob 184/21m; vgl auch RS0017915; RS0017797).
[11] Bezieht sich die Ermächtigung des Bürgermeisters im zugrunde liegenden Gemeinderatsbeschluss – wie hier – auf ein konkretes Rechtsgeschäft und setzt die Vertragserklärung des Bürgermeisters den Wortlaut des Gemeinderatsbeschlusses um, so ist der Gemeinderatsbeschluss schon bei der Auslegung der Vertragsbestimmungen zu berücksichtigen.
[12] 3.1 Nach der Rechtsprechung wirft die Vertragsauslegung im Einzelfall keine erhebliche Rechtsfrage auf, weshalb die Revision nur dann zulässig ist, wenn das Berufungsgericht von den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen abgewichen und zu einem unvertretbaren Auslegungsergebnis gelangt ist (vgl RS0042776; RS0042936; RS0042555).
[13] Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
[14] 3.2 Im Anlassfall setzte der mit der Klägerin abgeschlossene (neue) Baurechtsvertrag den Wortlaut des zugrunde liegenden Gemeinderatsbeschlusses um. Außerdem wurde ein übereinstimmender abweichender Wille der Vertragsparteien nicht festgestellt. Die Auslegung hat daher nach dem Wortlaut der einschlägigen Vertragsbestimmungen unter Bedachtnahme auf den Gemeinderatsbeschluss vom 15. 12. 2000 zu erfolgen.
[15] In diesem Gemeinderatsbeschluss wird in Pkt 2. der Abschluss eines neuen Baurechtsvertrags mit einer Laufzeit von 20 Jahren unter Einräumung eines „Vorkaufsrechts“ und in Pkt 3. die Möglichkeit des Ankaufs der Baurechtsgrundstücke zu einem bereits festgelegten Quadratmeterpreis vorgesehen. Die Ankaufsmöglichkeit bezieht sich nicht nur auf den sofortigen Ankauf, sondern zumindest auch auf den Fall des vorherigen Abschlusses eines neuen Baurechtsvertrags, weil die Indexsicherung des bereits festgelegten Quadratmeterpreises nur für diesen Fall Bedeutung hat. Dies ergibt sich auch aus der Bezugnahme auf die vertragsgegenständliche Baurechtsliegenschaft im Schreiben der Beklagten vom 3. 4. 2001 (Ankauf „ihrer“ Baurechtsliegenschaft), von der die Beklagte wusste, dass diese nach dem Vorhaben der Klägerin nicht sofort, sondern (spätestens) nach Ablauf von 20 Jahren gekauft werden sollte.
[16] Daraus folgt, dass das in Pkt 2. des Gemeinderatsbeschlusses erwähnte Vorkaufsrecht als Möglichkeit zum Ankauf im Sinn des Pkt 3. zu verstehen ist. Dieses Auslegungsergebnis gilt auch für die – dem Gemeinderatsbeschluss folgende – Vertragsbestimmung in Pkt IV. des Baurechtsvertrags. Darüber hinaus spricht auch Pkt V. des Baurechtsvertrags für dieses Auslegungsergebnis. Darin ist nämlich vorgesehen, dass die Beklagte das ihr von der Klägerin am Bauwerk eingeräumte Vorkaufsrecht löschen lässt, wenn die Klägerin die Liegenschaft kauft. Dieser Kauf der Liegenschaft durch die Klägerin ist nur während des Laufes des Baurechtsvertrags denkbar, weil bei Erlöschen des Baurechtsvertrags das Bauwerk in das Eigentum der Beklagten fällt und das Vorkaufsrecht der Beklagten am Bauwerk damit obsolet wird. Dazu passt ins Bild, dass das „Vorkaufsrecht“ in Pkt IV. und jenes in Pkt V. des Baurechtsvertrags unterschiedlich bezeichnet ist. Während in Pkt IV. (sowie im Gemeinderatsbeschluss) lediglich allgemein der Begriff „Vorkaufsrecht“ verwendet wird, ist in Pkt V. spezifisch von „Vorkaufsrecht gemäß den §§ 1072 bis 1097 ff ABGB“ die Rede.
[17] 3.3 Das vom Berufungsgericht erzielte Auslegungsergebnis, dass sich die der Klägerin eingeräumte Möglichkeit des Ankaufs ihrer Baurechtsliegenschaft zum bereits festgelegten und wertgesicherten Kaufpreis auf die Zeit während des bestehenden Baurechts beziehe und daher von der Einräumung eines Ankaufsrechts der Klägerin für die Dauer des Baurechtsvertrags auszugehen sei, hält sich im Rahmen der dargelegten Auslegungsgrundsätze.
[18] Die außerordentliche Revision war daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
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