OGH 2Ob69/23w

OGH2Ob69/23w25.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 16.524,86 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Februar 2023, GZ 8 R 10/22g‑39, womit das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 19. März 2022, GZ 6 Cg 77/20p‑33, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00069.23W.1025.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 2. 5. 2016 um 18.500 EUR einen V*, in dem ein Dieselmotor Typ EA189 verbaut war. Nach Aufspielen eines Software‑Updates ist (immer noch) ein Thermofenster vorhanden, das die Wirksamkeit der Abgasrückführung herabsetzt, wenn bestimmte Umgebungszustände vorliegen.

[2] Der Kläger begehrt die Zahlung von 16.524,86 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, wobei er sich ein Benützungsentgelt von 1.975,14 EUR anrechnet. Die Beklagte habe ihn arglistig getäuscht. Das Update habe nicht zur Herstellung eines gesetzeskonformen Zustands geführt. Das nach dem Update vorhandene Thermofenster führe dazu, dass die Abgasrückführung lediglich in einem Temperaturfenster zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius voll funktioniere, was in Österreich einem Zeitraum von vier bis fünf Monaten pro Jahr entspreche. Das Thermofenster sei damit eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der VO (EG) 715/2007 . Dem Kläger sei schon deswegen ein Schaden entstanden, weil er ein Fahrzeug besitze, das nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Er habe jedenfalls ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug erwerben wollen. Der Kläger habe erst am 27. 5. 2020 erfahren, dass das nach dem Update vorhandene Thermofenster nicht gesetzeskonform sei, sodass seine Ansprüche nicht verjährt seien.

[3] Die Beklagte wendet Verjährung ein, weil der Kläger spätestens am 20. 10. 2015 und damit mehr als drei Jahre vor Einbringung der Klage gewusst habe, dass das Fahrzeug von der „EA189‑Thematik“ betroffen sei. Dem Kläger sei kein Schaden entstanden, weil das Fahrzeug verkehrs‑ und betriebssicher sei und über eine aufrechte Typengenehmigung verfüge. Die Beklagte habe keine Täuschungshandlungen gesetzt. Nach dem Update liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Das Thermofenster diene dem Bauteilschutz und entspreche dem technischen Standard. Im Hinblick auf das Thermofenster habe die Beklagte nicht sittenwidrig gehandelt, weil es ihr an Schädigungsabsicht gefehlt habe.

[4] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren ab, weil der vorhanden gewesene Sachmangel durch das Update vollständig behoben worden sei.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen reichten zur abschließenden Beurteilung, ob es sich beim nach dem Update vorhandenen Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle, nicht aus.

[6] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu Schadenersatzansprüchen gegen Hersteller eines vom „Abgas‑Skandal“ betroffenen Fahrzeugs nach der Entscheidung des EuGH zu Rs C‑145/20 noch nicht Stellung genommen habe.

[7] Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, der Oberste Gerichtshof möge selbst in der Sache entscheiden; hilfsweise möge dem Berufungsgericht eine Entscheidung in der Sache aufgetragen werden.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[9] Der Rekurs ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Der Kläger beschäftigt sich im Rekurs nicht mit der vom Berufungsgericht formulierten Zulassungsfrage. Es genügt daher der Hinweis, dass der Oberste Gerichtshof in 10 Ob 2/23a (Endurteil vom 25. 4. 2023) und 10 Ob 16/23k nach Vorliegen der Entscheidung des EuGH vom 21. 3. 2023, C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, zu den Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch gegen den Hersteller eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, ausführlich Stellung genommen hat. Demnach kann ein Verstoß gegen Art 5 VO (EG) 715/2007 den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis mit dem Käufer steht. Weiters ist grundsätzlich geklärt, dass ein Thermofenster, aufgrund dessen ein emissionsmindernder Betriebsmodus zwar im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, das allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius voll wirksam ist, als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren ist, die nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO (EG) 715/2007 zulässig ist (vgl Teilurteil 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 55 ff).

[11] 2. Der Kläger erblickt eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens darin, dass das Berufungsgericht zu Unrecht nicht davon ausgegangen sei, dass die Beklagte das Bestehen einer Abschalteinrichtung zugestanden habe. Das Berufungsgericht hätte sogleich in der Sache selbst entscheiden können.

[12] 2.1. Die Auslegung von Prozessvorbringen ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung grundsätzlich – vom Fall unvertretbarer Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Bedeutung zukommt und die daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (RS0042828). Daher hängt auch die Frage, ob ein Vorbringen als Geständnis iSd § 266 ZPO zu werten oder mangels substanziellen Bestreitens ein schlüssiges Tatsachengeständnis anzunehmen ist (§ 267 ZPO), immer von den Umständen des Einzelfalls ab und erlaubt im Allgemeinen nicht die Anrufung des Obersten Gerichtshofs (RS0040078 [T4]; RS0042828 [T41]).

[13] 2.2. Im Anlassfall ist dem Kläger allerdings zuzustimmen, dass die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren die von ihm genannten Temperaturgrenzen sogar ausdrücklich zugestanden hat. Davon ist erkennbar auch das Berufungsgericht ausgegangen. Unter Zugrundelegung dieses unstrittigen Temperaturbereichs ist davon auszugehen, dass die volle Abgasrückführung nur in einem Zeitraum von vier oder fünf Monaten aktiv ist (vgl 3 Ob 140/22t Rz 45), sodass es nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob die Abschalteinrichtung dem Motorschutz dient (3 Ob 77/23d Rz 9; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 62). Im fortgesetzten Verfahren ist davon auszugehen, dass das im Fahrzeug vorhandene Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist.

[14] 2.3. Entgegen den Ausführungen im Rekurs ist die Rechtssache ungeachtet der Qualifikation des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung nicht entscheidungsreif. Es fehlen Feststellungen zu den tragenden Klagsbehauptungen, insbesondere ob die Beklagte sittenwidrig und mit Vorsatz ihrer Organe und leitenden Angestellten gehandelt hat. Ebenso besteht keine Sachverhaltsgrundlage, die eine Beurteilung erlauben würde, ob das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach (vgl dazu die Erwägungen und Aufträge zu 10 Ob 16/23k Rz 38 ff [insb Rz 42 ff]). Schließlich fehlen Feststellungen zur Frage der Berechnung des (allenfalls vorhandenen) Schadens.

[15] 3. Die Verjährungsfrage lässt sich derzeit ebenfalls nicht beurteilen, weil das Erstgericht zu dieser Frage überhaupt keine Feststellungen getroffen hat. Da die Prozessbehauptungen zum Kenntnisstand des Klägers für den Gegner nicht offenbar leicht widerlegbar sein mussten, kommt insoweit auch die Annahme eines schlüssigen Geständnisses (§ 267 ZPO) nicht in Betracht (RS0039927).

[16] 4. Da sich die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils schon wegen Vorliegens sekundärer Feststellungsmängel als erforderlich erweist, kommt es nicht (mehr) entscheidend darauf an, ob eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Erstgerichts auch zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung geboten war (vgl 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 69, wonach der Umstand, dass der EuGH die Rechtsansicht des Klägers zur Umkehr des Regel‑Ausnahme‑Verhältnisses bei verbotenen Abschalteinrichtungen teilte, keinen Erörterungsbedarf nach den §§ 182, 182a ZPO begründet).

[17] 5. Insgesamt war dem Rekurs damit nicht Folge zu geben.

[18] 6. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf §§ 50, 52 ZPO.

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