European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00141.23Y.1017.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei deren mit 27.792,20 EUR (darin 1.362,67 EUR USt und 19.616 EUR Barauslagen) bestimmte Kosten derRechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Streitteile schlossen am29. 12. 2020 nach einem öffentlichen Ausschreibungsverfahren einen Baurechtsvertrag in Bezug auf zwei Liegenschaften in Wien. Die Klägerin war Baurechtsgeberin, die Beklagte Bauberechtigte. Vereinbart wurde ein jährlicher Baurechtszins von 960.000 EUR. Dem Ausschreibungsverfahren lag ein Mustervertrag zugrunde, in dem zur Fälligkeit des Baurechtszinses Folgendes vorgesehen war: „Die BAUBERECHTIGTE ist verpflichtet, ab Übergabe des BAURECHTSGEGENSTANDES, spätestens jedoch ab dem nach beidseitiger Unterfertigung dieses Vertrages zweitfolgenden Monat, einen jährlichen Baurechtszins in der Höhe von EUR• zuzüglich Umsatzsteuer in gesetzlicher Höhe zu bezahlen.“ Die gegenständlichen Liegenschaften standen zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch im Eigentum einer dritten Gesellschaft, was offengelegt wurde. Da – entgegen der ursprünglichen Zeitplanung – die Verbücherung des Eigentumsrechts der Klägerin an den beiden Liegenschaften dann doch erst nach Abschluss des Baurechtsvertrags mit der Beklagten erfolgte, sollte darauf aber bei der Fälligkeit des Baurechtszinses Rücksicht genommen werden.
[2] Die Klägerin stellte im Rahmen der Ausschreibung klar, dass die Vergabe beider Liegenschaften im Rahmen eines einzigen Baurechtsvertrags vorgesehen sei. Der Beklagtenvertreter, der bereits im Ausschreibungsverfahren für die Beklagte einschritt, schlug vor, den Baurechtszins aufzuteilen, da seines Erachtens sonst die Gefahr bestünde, dass die Baurechte aufgrund dieses Baurechtsvertrags nicht verbüchert werden könnten, weil es an der Bestimmtheit der Gegenleistung fehlen könnte. Dieses Ansinnen lehnte die Klägerin ab und vertrat die Ansicht, die Verbücherung eines einheitlichen Baurechts auf zwei Liegenschaften sei zulässig. Der Beklagtenvertreter fragte mit Schreiben vom 30. 11. 2020 bei der Klägerin nach der Möglichkeit der Vereinbarung der Fälligkeit der Bauzinszahlung erst nach Eintritt der Verbücherung des Baurechts. Diese Anfrage lehnt die Klägerin ab, wobei es ihr wichtig und auch eine klar deklarierte Forderung gegenüber der Beklagten war, dass die Fälligkeit des Baurechtszinses von der Eintragung des Baurechts unabhängig sein solle. Dieser Punkt wurde in der Folge – ebenso wie die Zweifel des Beklagtenvertreters an der Verbücherungsfähigkeit mangels Aufteilung des Baurechtszinses – zwischen den Vertretern der Streitteile besprochen, wobei der Standpunkt der Klägerin unverändert blieb und der Beklagtenvertreter dazu festhielt, dass die Beklagte keine Verantwortung dafür trage, ob das Baurecht aufgrund des Vertrags tatsächlich einverleibt werden könne, die Beklagte aber bereit sei, den Vertrag noch im Dezember 2020 abzuschließen.
[3] Am 21. 12. 2020 sandte der Beklagtenvertreter der Klägerin den Baurechtsvertrag mit einer von ihm vorgenommenen Anpassung: wonach im Punkt 7.1 der Beginn der Fälligkeit des Baurechtszinses wörtlich wie folgt geregelt wurde:„Die BAUBERECHTIGTE ist verpflichtet, ab Übergabe des BAURECHTSGEGENSTANDES, spätestens jedoch ab dem der Rechtskraft des Beschlusses des Grundbuchsgerichts über die Einverleibung des Eigentums des BAURECHTSGEBERS ob dem BAURECHTSGEGENSTAND (der Stammliegenschaften des Baurechts) zweitfolgenden Monat, einen jährlichen Baurechtszins in der Höhe von EUR 960.000 zuzüglich Umsatzsteuer in gesetzlicher Höhe zu bezahlen.“
[4] In dieser Fassung wurde der Baurechtsvertrag am 29. 12. 2020 von den Parteien unterschrieben. Die Verbücherbarkeit des Vertrags wurde seitens der Klägerin dabei nicht zugesichert.
[5] Mit Beschluss vom 9. 2. 2021 wurde das Eigentumsrecht der Klägerin im Grundbuch eingetragen und die Beklagte am 10. 2. 2021 davon verständigt. Daraufhin stellte der Beklagtenvertreter beim Grundbuchsgericht einen Antrag auf Eröffnung einer gemeinsamen Baurechtseinlage für die beiden Liegenschaften und Einverleibung des Baurechts der Beklagten ob dieser neu eröffneten Baurechtseinlage. Dieser Grundbuchsantrag wurde rechtskräftig abgewiesen, wobei sieben Abweisungsgründe vorlagen. Einer davon lautete: „Das Baurecht muss sich regelmäßig auf den ganzen Grundbuchskörper beziehen, sodass nur ein Baurecht pro Liegenschaft begründet werden kann.“ Die vom Beklagtenvertreter geforderte Aufsplittung des Baurechtszinses wurde vom Grundbuchsgericht weder thematisiert, noch zum Grund für die Abweisung gemacht.
[6] Die Parteien diskutierten in der Folge verschiedene Möglichkeiten, das Problem der Verbücherung zu beheben. Der Beklagtenvertreter vertrat in diesen Gesprächen den Standpunkt, die Beklagte schulde den Baurechtszins erst ab Verbücherbarkeit des Baurechts, was die Klägerin ablehnte und auf den bereits geschlossenen Vertrag verwies. Die Klägerin entschloss sich dann dazu, die beiden Liegenschaften grundbücherlich zusammenzulegen, um das Problem der Verbücherung zu lösen. Letztlich schlossen die Streitteile am 15. 7. 2021 einen Nachtrag zum Baurechtsvertrag, der in seinem Punkt 1. auf die Zuschreibung im Grundbuch Bedacht nahm. Dieser Nachtrag enthält keine neuen Bestimmungen betreffend die Fälligkeit des Baurechtszinses. In seinem Punkt 8. regelt der Nachtrag die Weitergeltung des Baurechtsvertrags: „Soweit dieser Nachtrag nicht ausdrücklich Abweichendes vorsieht, bleiben die Bestimmungen des Baurechtsvertrags aufrecht.“
[7] Die Beklagte hatte nach Abschluss des Bieterverfahrens bis zur formalen Übergabe der Liegenschaft bei Bedarf Zutritt zu den Objekten, wofür ihr ein Schlüssel ausgehändigt wurde. Die formale Übergabe des Baurechtsgegenstands erfolgte am 1. 10. 2021.
[8] Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung des Baurechtszinses von 1. 5. 2021 bis 1. 10. 2021. Ihr Eigentum sei im Februar 2021 verbüchert worden; dies sei nach Ablauf der 30-tägigen Rekursfrist rechtskräftig geworden, womit die Fälligkeit des Baurechtszinses laut Punkt 7.1 des Baurechtsvertrags mit 1. 5. 2021 eingetreten sei.
[9] Die Beklagte bestritt die Zahlungspflicht vor 1. 10. 2021, weil die Einverleibung des Baurechts aufgrund des von der Klägerin verfassten Baurechtsvertrags nicht möglich gewesen sei. Erst der Nachtrag zum Baurechtsvertrag sei die Grundlage für die Eröffnung der Baurechtseinlage und der Einverleibung des Eigentums an der Baurechtseinlage für die Beklagte gewesen. Die Grundbuchsbeschlüsse über die Zusammenlegung der beiden Liegenschaften und der Einverleibung des Baurechts der Beklagten seien erst im September 2021 ergangen. Erst mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Grundbuchsbeschlusses, mit dem der Klägerin die Zusammenlegung der Liegenschaften, auf die sich das Baurecht beziehen habe sollen, bewilligt worden sei, habe sie die grundbücherlichen Voraussetzungen für die Begründung des Baurechts geschaffen. Erst ab diesem Zeitpunkt habe die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des Baurechtszinses bestanden. Für den Fall des Zu-Recht-Bestehens der Forderung der Klägerin wendete die Beklagte compensando einen eigenen Schaden in Höhe von zumindest des Klagsbetrags ein. Der Beklagtenvertreter habe mehrfach die rechtliche Undurchführbarkeit des Vertragsentwurfs thematisiert; dennoch habe die Klägerin auf ihrem eigenen Standpunkt beharrt. Damit habe sie gegenüber der Beklagten bestehende Schutz-, Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten rechtswidrig und schuldhaft verletzt, wodurch es ursächlich zu Verzögerungen bei der Eintragung des Baurechts gekommen sei.
[10] Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung mit 480.000 EUR zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und erkannte daher die Beklagte für schuldig, der Klägerin 480.000 EUR sA zu zahlen. Nach der eindeutigen Fälligkeitsbestimmung im Baurechtsvertrag sei die Fälligkeit des Baurechtszinses an die Rechtskraft der Einverleibung des Eigentumsrechts am Baurechtsgegenstand geknüpft, der mit den beiden Liegenschaften definiert sei. Diese Auslegung ergebe sich bereits aus dem eindeutigen Wortsinn der Vertragsbestimmung; ein gegenteiliger übereinstimmender Parteiwille habe nicht festgestellt werden können. Es liege weder eine undeutliche Regelung noch eine Vertragslücke vor; für ergänzende Vertragsauslegung verbleibe daher kein Raum. Im Übrigen stamme die Formulierung in Punkt 7.1 des Baurechtsvertrags vom Beklagtenvertreter selbst; der Nachtrag habe an dieser Fälligkeitsregel nichts verändert, sondern ausdrücklich vorgesehen, dass der ursprüngliche Vertrag aufrecht bleibe, soweit nicht anders vereinbart worden sei.
[11] Die Gegenforderung bestehe nicht zu Recht, weil die Klägerin vertretbar davon ausgegangen sei, dass eine Verbücherung in der von ihr ursprünglichen gewählten Vertragskonstruktion möglich sei. Die Einwände des Beklagtenvertreters hätten sich auch auf eine andere Problematik als die des einheitlichen Baurechts bezogen. Daher hätten auch die Umsetzung dieser Einwände kein anderes Ergebnis beim ersten Versuch der Verbücherung gebracht, ganz abgesehen davon, dass auch mehrere andere Abweisungsgründe vorgelegen hätten, die auch der Sphäre der Beklagten zuzurechnen gewesen seien. Die Beklagte habe überdies die Möglichkeit gehabt, bereits vor der formellen Übergabe am Baurechtsgegenstand Vorbereitungen zu treffen.
[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Klage ab. Es ging davon aus, dass die gegenständliche Vertragsklausel zur Fälligkeit des Baurechtszinses an die Verbücherbarkeit des Baurechts anknüpfe. Da sich herausgestellt habe, dass ein Baurecht an zwei Liegenschaften nicht begründet habe werden können, habe sich im Hinblick auf den Baurechtszins eine Vertragslücke ergeben. Zu deren Schließung habe auf den hypothetischen Parteiwillen zurückgegriffen werden können, der sich aus dem Verständnis der Fälligkeitsregel anknüpfend an eine Verbücherbarkeit ergebe. Diese habe aber erst nach der Zusammenlegung der beiden Liegenschaften vorgelegen.
[13] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem (erkennbaren) Antrag auf Wiederherstellung des klagsstattgebenden Urteils des Erstgerichts; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[14] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[15] Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil dem Berufungsgericht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist.
[16] 1. Eine für den Verfahrensausgang relevante Mangelhaftigkeit oder Aktenwidrigkeit liegt – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[17] 2.1. Maßgebliche Auslegungskriterien des § 914 ABGB sind der Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und die Absicht der Parteien (RS0017915). Unter der „Absicht der Parteien“ ist die dem Erklärungsgegner erkennbare und von ihm widerspruchslos zur Kenntnis genommene Absicht des Erklärenden zu verstehen (RS0017915 [T27, T31]). Es ist dabei das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen (RS0017915 [T29, T44]). Der Wortlaut der Vereinbarung ist allein maßgeblich, wenn keine abweichende Absicht festgestellt werden kann (RS0017915 [T35]; RS0017831; RS0017833). Für die Auslegung einer zwischen den Parteien schriftlich getroffenen Vereinbarung ist damit der Wortlaut maßgeblich, solange nicht behauptet und bewiesen ist, dass aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände sich ein übereinstimmender Parteiwille oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung ergibt (RS0043422 [T6, T13]).
[18] 2.2. Hier wurde nicht nur kein vom Wortlaut abweichender gemeinsamer Parteiwille festgestellt; die Klägerin hat nach den Feststellungen auch mehrfach deutlich darauf hingewiesen, dass die Fälligkeit des Baurechtszinses von der Verbücherung des Baurechts unabhängig geregelt werden solle. Das hat die Beklagte auch so verstanden, hat sie doch mehrfach versucht, eine andere Regelung durchzusetzen, was ihr allerdings nicht gelungen ist. Letztlich wurde die Fälligkeit des Baurechtszinses in Punkt 7.1 des ursprünglichen Vertrags eindeutig von der Verbücherung des Eigentumsrechts des Baurechtsgebers – der Klägerin – am Baurechtsgegenstand – definiert als die Stammliegenschaften,und damit bereits im Plural – als spätester Fälligkeitszeitpunkt abhängig gemacht. Diese Regelung ist in ihrem Wortlaut eindeutig und wurde vom Beklagtenvertreter selbst formuliert. Dass hier an die Verbücherbarkeit des Baurechts angeknüpft werden soll, lässt diese Regelung nicht erkennen. Mit dem Nachtrag zum Baurechtsvertrag wurde die Fälligkeit des Baurechtszinses gerade nicht neu geregelt, weshalb – nach der ausdrücklichen Bestimmung im Nachtrag – die ursprüngliche Fälligkeitsregelung aufrecht geblieben ist. Die Fälligkeit des Baurechtszinses ist damit gemäß Punkt 7.1 des Baurechtsvertrags im zweiten Monat nach der rechtskräftigen Verbücherung des Eigentumsrechts der Klägerin an den beiden Liegenschaften eingetreten.
[19] 3. Ein Schadenersatzanspruch der Beklagten scheidet bereits mangels Kausalität des der Klägerin vorgeworfenen Verhaltens aus, weil die vom Beklagtenvertreter thematisierte Problematik nach den Feststellungen nicht zum Hindernis für die Verbücherung geworden ist. Dass für den Fall des Eingehens der Klägerin auf die Forderung des Beklagtenvertreters nach der Aufteilung des Baurechtszinses auf die beiden Liegenschaften eine Verbücherung schneller erfolgt wäre, zeigt die Beklagte nicht auf.
[20] 4. Der Revision war damit Folge zu geben und das klagsstattgebende Ersturteil wiederherzustellen.
[21] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Berufungsbeantwortung steht der Klägerin lediglich Kostenersatz auf Basis des Streitwerts von 480.000 EUR zu.
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