European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00051.23H.0920.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen, der im Übrigen unberührt bleibt, zur Zusatzfrage sowie das darauf beruhende Urteil im Schuldspruch, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche sowie im Kostenausspruch aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang an das Geschworenengericht des Landesgerichts Klagenfurt zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung mit dem Auftrag verwiesen, die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs der Entscheidung mit zugrunde zu legen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * Z* des Verbrechens des Totschlags nach §§ 15, 76 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er sich am 11. August 2022 in S* in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, zu versuchen, * M* vorsätzlich zu töten, indem er ihm ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von zumindest 20 cm in den linken oberen Bauchbereich stieß, wodurch dieser eine Durchtrennung des linken geraden Bauchmuskels sowie Verletzungen der linken oberen Oberbaucharterie und der Leber, verbunden mit massiven Einblutungen in den Bauchraum, erlitt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Geschworenen verneinten die nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gestellte Hauptfrage, bejahten die nach dem Verbrechen des Totschlags nach §§ 15, 76 StGB gestellte Eventualfrage (ON 111 S 101) und verneinten die Zusatzfrage (ON 111 S 103 f).
Letztere lautete:
„Hat * Z* am 11. August 2022 in S*, als er * M* ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von zumindest 20 cm in den linken oberen Bauchbereich stieß,
a) sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig war, um einen tatsächlichen oder irrtümlich angenommenen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff des * M* auf das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit seines Sohnes D* abzuwehren, oder
b) lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient, um einen tatsächlichen oder irrtümlich angenommenen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriff des * M* auf das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit seines Sohnes D* abzuwehren, oder
c) lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken sich einer, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, offensichtlich unangemessen Verteidigung bedient, um einen tatsächlichen oder irrtümlich angenommenen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff des * M* auf das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit seines Sohnes D* abzuwehren, wobei es offensichtlich war, dass D* nur ein geringer Nachteil drohte?“
[5] Zutreffend kritisiert die Fragenrüge (Z 6) die (sachverhaltsbezogene) Einschränkung der Zusatzfrage auf Nothilfe zugunsten des D*.
[6] Die (eigentliche) Zusatzfrage ist gemäß § 313 StPO „nach dem“ jeweiligen „Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrunde“ zu stellen. Das bedeutet, dass hier – anders als bei Schuldfragen (§§ 312, 314, 316 StPO) – nicht auch nach einem konkreten Lebenssachverhalt, sondern nur nach dem Vorliegen der gesetzlichen Kriterien des in Rede stehenden Straflosigkeitsgrundes zu fragen ist (13 Os 30/03, SSt 2003/24; RIS‑Justiz RS0100495 und RS0117501, jüngst 13 Os 74/22i). Die in der Hauptverhandlung vorgekommenen „Tatsachen“ bilden solcherart zwar den Anlass, nicht jedoch den Inhalt der Fragestellung (13 Os 78/06d, SSt 2006/64; RIS‑Justiz RS0117501 und RS0121148, jüngst 13 Os 74/22i; zum Ganzen Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 9 f und Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 619).
[7] Das Vorkommen von Verfahrensergebnissen in der Hauptverhandlung in Bezug auf allfällige andere in Betracht kommende (objektive) Notwehrlagen (zB ON 111 S 19 f und 52 f), worauf der Beschwerdeführer gesetzeskonform hinweist, lässt eine zweifelsfreie Einschätzung (§ 345 Abs 3 StPO), wonach die Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte, nicht zu.
[8] Dies führte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen sowie des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO iVm § 344 zweiter Satz StPO).
[9] Da der Nichtigkeitsgrund nur den Wahrspruch zur Zusatzfrage, nicht aber den (ohnedies unbekämpft gebliebenen) Wahrspruch zur ersten Eventualfrage betrifft, hatte der Wahrspruch, soweit er Letztere bejaht, unberührt zu bleiben (§ 349 Abs 2 StPO; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 349 Rz 1).
[10] Im Umfang der Aufhebung war die Sache an das Geschworenengericht des Landesgerichts Klagenfurt zu verweisen (§ 349 Abs 1 StPO).
[11] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung zu verweisen.
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