European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0230DS00019.22D.0920.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:
* ist schuldig, sie hat im (Berufungs-)Verfahren zu AZ 10 Bl 3/21m des Landesgerichts * unrichtige Angaben gemacht, indem sie mit Eingabe vom 19. Jänner 2021 wahrheitswidrig erklärte, sie selbst habe im (erstinstanzlichen) Verfahren zu AZ 5 U 128/20y des Bezirksgerichts * mit Schriftsatz vom 5. November 2020 die Bevollmächtigung der * Rechtsanwälte GmbH angezeigt, obwohl die Bekanntgabe tatsächlich durch Rechtsanwalt * namens der * Rechtsanwalt GmbH erfolgte.
Sie hat hiedurch das Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt begangen und wird hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 1 DSt zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt.
Der Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * (vormals *) von dem gegen sie (zusammengefasst) erhobenen Vorwurf, sie habe „gegenüber dem Landesgericht * zu [richtig] AZ 10 Bl 3/21m in einer Eingabe vom 19. Jänner 2021 eine unrichtige Angabe betreffend ihre Vertretung der * Rechtsanwalt GmbH am 5. November 2020 … gemacht“, indem sie behauptete, in der Strafsache gegen * N* wegen § 218 StGB, AZ 5 U 128/20y des Bezirksgerichts *, selbst die Bevollmächtigung für die * Rechtsanwälte GmbH angezeigt zu haben, obwohl in diesem Verfahren tatsächlich mit Schriftsatz vom 5. November 2020 die Bevollmächtigung der * Rechtsanwalt GmbH bekannt gegeben und * erst mit Wirkung vom 9. November 2020 zur vertretungsbefugten Geschäftsführerin der * Rechtsanwälte GmbH bestellt worden war, womit sie sich „am 5. November 2020 auf eine tatsächlich nicht erteilte Vollmacht berufen und dies dem Landesgericht * am 19. Jänner 2021 gegenüber unrichtig bekannt gegeben“ habe, freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
[2] Der dagegenerhobenen Berufung des Kammeranwalts wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO [zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen im Rahmen der Schuldberufung vgl RIS‑Justiz RS0128656]) kommt (teilweise) Berechtigung zu.
[3] Nach den wesentlichen Feststellungen war die Beschuldigte schon vor ihrer Eintragung als Rechtsanwältin (am 1. November 2020) als Berufsanwärterin in der * Rechtsanwalt GmbH beschäftigt, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer Rechtsanwalt * war.
[4] Nach Fassung eines entsprechenden Generalversammlungsbeschlusses beantragten Rechtsanwalt * und die Beschuldigte am 18. November 2020 die Änderung der Firma in * Rechtsanwälte GmbH sowie die Eintragung der Beschuldigten als weitere Gesellschafterin und deren selbständige Vertretungsbefugnis als Geschäftsführerin der Gesellschaft (letztere mit Wirksamkeit ab 9. November 2020) beim Firmenbuch. Diesen Anträgen wurde am 20. November 2020 entsprochen.
[5] Bereits am 5. November 2020 hatte Rechtsanwalt * dem Bezirksgericht * in einem dort zu AZ 5 U 128/20y gegen * N* geführten Strafverfahren die der * Rechtsanwalt GmbH erteilte Vollmacht angezeigt, obwohl ihm mit Beschluss des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 28. September 2020, GZ D 45/20‑10, als einstweilige Maßnahme aus dem Grund des § 19 Abs 1 Z 1 DSt das Vertretungsrecht in Strafsachen (unter anderem) vor dem Bezirks- und dem Landesgericht * entzogen worden war (§ 19 Abs 3 Z 1 lit b DSt).
[6] Gegen das im eben bezeichneten Strafverfahren ergangene Urteil erhob * N* Berufung. Deren Ausführung brachte die Beschuldigte am 14. Dezember 2020 ausdrücklich namens der „(neuen und umfirmierten) GmbH, der * Rechtsanwälte GmbH,“ zum AZ 10 Bl 3/21m beim Landesgericht * ein. Ungeachtet dessen gab der (damalige) Präsident des Berufungsgerichts daraufhin schriftlich bekannt, dass „die* Rechtsanwalt GmbH als Verteidiger nicht zur Berufungsverhandlung geladen werde“. Diese Note wurde auch dem Mandanten * N* zugestellt, der daraufhin in der Kanzlei „richtig Terror“ machte.
[7] „In dieser Situation“ verfasste die Beschuldigte am 19. Jänner 2021 die hier verfahrensgegenständliche Bekanntgabe an das Landesgericht *, in der sie „ohne viel zu überlegen“ (ES 14) die unrichtige Behauptung aufstellte, sie (selbst) hätte (ersichtlich gemeint [ES 9]:) im erstinstanzlichen Verfahren am 5. November 2020 Vollmacht gelegt, und darauf hinwies, dass sie die Berufung persönlich ausgeführt und am 14. Dezember 2020 mit dem „Rechtsanwalts-Code der (neuen) Kanzlei“ eingebracht hatte.
[8] Mit – seit 3. Mai 2022 rechtskräftigem – Erkenntnis des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 6. September 2021, AZ D 22/21, D 8/21, wurde Rechtsanwalt* (unter anderem) wegen seiner oben dargestellten Vertretungstätigkeit zu AZ 5 U 128/20y des Bezirksgerichts * des Disziplinarvergehens des Suspensionsbruchs nach § 17 zweiter Fall DSt schuldig erkannt (ES 10 ff).
[9] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zeigt zutreffend auf, dass der Disziplinarrat das festgestellte Verhalten der Disziplinarbeschuldigten, die sich im Übrigen zum eben dargestellten Vorwurf schuldig bekannte (ES 9), rechtsfehlerhaft nicht dem Tatbestand des § 1 Abs 1 erster Fall DSt subsumierte.
[10] Denn das Tatbild einer Berufspflichtenverletzung ist dann erfüllt, wenn gesatztes Recht oder verfestigte Standesauffassung eine Berufspflicht aufstellt und in Ausübung des Berufs (§ 2 RL‑BA) gegen diese verstoßen wird, wobei Fahrlässigkeit (idR) zur Deliktsverwirklichung genügt und der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab eine Rechtsfrage betrifft (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek RAO11 § 1 DSt Rz 6 ff, 9 ff jeweils mwN).
[11] § 10 Abs 2 RAO legt dem Rechtsanwalt ganz allgemein die Pflicht auf, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen, die Ehre und Würde des Standes zu wahren. Dieses Gebot umfasst auch die Verpflichtung, (insbesondere im Verkehr mit Behörden) stets richtige und klare Angaben zu machen. Bereits fahrlässig unrichtige Formulierungen verletzen die Berufspflicht und beeinträchtigen – unter den entsprechenden Publizitätsvoraussetzungen – Ehre und Ansehen des Standes (RIS-Justiz RS0120395; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO11 § 10 RAO Rz 30).
[12] Davon ausgehend bringen die zitierten Feststellungen nicht nur objektiv einen Verstoß gegen Art 10 Abs 2 RAO, sondern hinreichend deutlich auch die subjektive Sorgfaltswidrigkeit (zumindest iS einer Fahrlässigkeitsschuld; vgl erneut ES 14: „ohne viel zu überlegen“) zum Ausdruck. Letztere ist nämlich bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Rechtsanwalt einer objektiven Sorgfaltsanordnung nicht hätte nachkommen können, grundsätzlich durch den objektiven Sorgfaltsverstoß indiziert (RIS‑Justiz RS0088909).
[13] Solche Anhaltspunkte sind dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen.
[14] Dass die zum Tatzeitpunkt bereits als Rechtsanwältin eingetragene (ES 11) Beschuldigte die Eingabe als Reaktion auf die Mitteilung des Präsidenten des Landesgerichts * auf Betreiben des darüber sehr aufgebrachten Mandanten noch am selben Tag, sohin nach Ansicht des Disziplinarrats „unter zeitlichem und insbesondere heftigen Druck des Mandanten“, verfasste (ES 13 f), schließt die subjektive Vorwerfbarkeit (auch unter dem Aspekt der Unzumutbarkeit normgerechten Verhaltens) ebenso wenig aus wie das festgestellte Motiv für die Einbringung des Schriftsatzes („Verdeutlichung des Vollmachtsverhältnisses und des Aufrechtbestehens des Mandats“, Erwirkung einer „rechtskonform vorzunehmenden Ladung“; erneut ES 13 f). Dieses Ziel hätte im Übrigen auch durch den bloßen Verweis auf die Bekanntgabe der (nach Eintritt der Beschuldigten in die Kanzlei und Änderung der Firma) erfolgten Bevollmächtigung der * Rechtsanwälte GmbH in der Berufungsschrift (ES 12) erreicht werden können.
[15] In diesem Umfang ist die Berufung daher im Recht.
[16] Für eine – gleichfalls angestrebte – rechtliche Beurteilung als Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt mangelt es dem Erkenntnis dagegen – von der Berufung nicht als Feststellungsmangel gerügt – an einer tragfähigen Sachverhaltsbasis zur Publizitätswirkung (vgl dazu Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO11 § 1 DSt Rz 12 ff) der unrichtigen Erklärung. Es findet sich nämlich keine Aussage dazu, ob – und von welchem Personenkreis – das Fehlverhalten (hier: die unrichtigen Angaben) der Disziplinarbeschuldigten auch außerhalb des Standes als solches erkannt wurde und daher geeignet war, die Ehre oder das Ansehen des Standes zu beeinträchtigen.
[17] Das freisprechende Erkenntnis war jedoch – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon aufgrund des oben dargestellten, zutreffend aufgezeigten Rechtsfehlers aufzuheben.
[18] Beabsichtigt der Oberste Gerichtshof in Stattgebung einer zum Nachteil der Beschuldigten erhobenen Berufung des Kammeranwalts auf der Grundlage der im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Tatsachen in der Sache selbst zu erkennen, prüft er dazu anhand allfälliger Einwände der Beschuldigten sowie von Amts wegen sowohl deren aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO einwandfreies Zustandekommen, als auch, ob die Feststellungen bedenklich oder aufklärungsbedürftig sind (§ 473 Abs 2 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0114638 [insb T3]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 415 ff, § 473 Rz 14; s auch RIS‑Justiz RS0132515).
[19] Derartige Mängel oder Bedenken macht die – zum Vorwurf weiterhin geständige – Beschuldigte in ihrer Gegenäußerung zur Berufung nicht geltend; die Möglichkeit, sich auch zur Stellungnahme der Generalprokuratur zu äußern, hat sie nicht genützt.
[20] Soweit sie in der Berufungsgegenäußerung auf eine – im Übrigen vor allem ihren Kanzleikollegen betreffende (Tod der Großmutter, ärztliche Untersuchung am Vortag, zahlreiche Termine) – „tatsächliche Ausnahmesituation“, ihre eigene „punktuelle besondere Auslastung“ (durch „unzählige“ Termine und eine ganztägige Gerichtsverhandlung am Folgetag) und den „zweiseitigen Druck (von Mandantschaft und Gericht)“ verweist, welche Umstände eine „möglicherweise ansonsten gebotene kühle Rationalität im Sinne einer … adäquaten Abwägung der richtigen Vorgangsweise“ verhindert hätten, übersieht sie, dass für die Erfüllung von § 1 Abs 1 erster Fall DSt (iVm § 10 Abs 2 RAO) Fahrlässigkeit genügt.
[21] Anhaltspunkte dafür, dass sie als fertig ausgebildete, eingetragene und – nach eigenen Angaben – hinsichtlich der über ihren Kanzleikollegen verhängten einstweiligen Maßnahme sensibilisierte Rechtsanwältin (ES 5 ff) nicht in der Lage gewesen sein sollte, mit dieser – im Berufsalltag eines Rechtsanwalts im Übrigen nicht besonders außergewöhnlich scheinenden – Situation umzugehen und demzufolge den objektiven Sorgfaltsanordnungen (hier der Pflicht, insbesondere im Verkehr mit Behörden stets richtige und klare Angaben zu machen) nicht nachkommen hätte können, werden mit diesen Ausführungen nicht aufgezeigt.
[22] Gleiches gilt für den Hinweis auf Existenzängste aufgrund der Rechtsanwalt * drohenden straf- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen (bis zur Streichung von der Liste), die – mit Blick auf das in Punkt 5. der inkriminierten Eingabe enthaltene Ersuchen, „dies gegenüber der Rechtsanwaltskammer klarzustellen“ – im Übrigen sogar als Indiz für vorsätzliches Handeln (zur Verhinderung einer – letztlich erfolgten – disziplinar-rechtlichen Verurteilung des Rechtsanwalts Dr. * wegen Suspensionsbruchs) verstanden werden könnten.
[23] Ein weiters angestrebtes Vorgehen nach § 3 DSt scheitert schon daran, dass das Verschulden nicht hinter typischen Fällen der Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten zurückbleibt (RIS‑Justiz RS0056585 und RS0089974), zumal die Beschuldigte vor Abgabe der gegenüber einem Gericht abgegebenen und zusätzlich für die Rechtsanwaltskammer bestimmten Erklärung (gerade aufgrund der ihren Mitgesellschafter betreffenden aufrechten einstweiligen Maßnahme) zu besonderer Sorgfalt verpflichtet gewesen wäre und – wie bereits dargelegt – zur Erreichung des damit verfolgten Zwecks der Hinweis auf die aufrechte Bevollmächtigung der * Rechtsanwälte GmbH für das Berufungsverfahren genügt hätte.
[24] Es war daher auf Grundlage der erstinstanzlichen Feststellungen – gleichfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in der Sache selbst mit einem Schuldspruch nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt (§ 10 Abs 2 RAO) vorzugehen.
[25] Bei der Strafbemessung wertete der Oberste Gerichtshof keinen Umstand als erschwerend, als mildernd dagegen die disziplinarrechtliche Unbescholtenheit, das reumütige Geständnis sowie die unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer (seit Mai 2021; TZ 5; § 34 Abs 2 StGB).
[26] Zum Ausgleich der überlangen Verfahrensdauer war anstelle einer an sich Tatunrecht, Täterschuld und Präventionserfordernissen entsprechenden Geldbuße (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) zu verhängen.
[27] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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