OGH 13Os77/23g

OGH13Os77/23g20.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin FI Trsek in der Auslieferungssache des * J* zur Strafverfolgung an die Republik Serbien, AZ 8 HR 45/23s des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 24. Mai 2023, AZ 9 Bs 144/23d, (ON 39.9) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Schreiber, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00077.23G.0920.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Auslieferungssache des * J*, AZ 8 HR 45/23s des Landesgerichts Klagenfurt, verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 24. Mai 2023, AZ 9 Bs 144/23d, § 23 Abs 1 ARHG und Art 14 EuAlÜbk (idF Art 3 des 4. ZP‑EuAlÜbk).

 

Gründe:

[1] In der Auslieferungssache des * J*, AZ 8 HR 45/23s des Landesgerichts Klagenfurt, erklärte sich der Betroffene in der mündlichen Verhandlung am 13. April 2023 mit seiner Auslieferung an die Republik Serbien in Ansehung der im Auslieferungsersuchen zur Strafverfolgung (ON 31.2) angeführten, ihm mit Strafanträgen der Grundstaatsanwaltschaft Vrsac vom 7. Juli 2020 sowie vom 28. Mai 2020 zur Last gelegten Taten einverstanden und stimmte zu, ohne Durchführung eines förmlichen Verfahrens übergeben zu werden (ON 33 S 2).

[2] Mit Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 13. April 2023 (ON 34) wurde die Auslieferung des Betroffenen zur Strafverfolgung nur wegen des im Strafantrag der Grundstaatsanwaltschaft Vrsac vom 7. Juli 2020 angeführten Sachverhalts für zulässig erklärt und dazu ausdrücklich ausgesprochen, dass damit „Spezialitätswirkungen verbunden“ sind. In Ansehung des weiteren im Auslieferungsersuchen der Republik Serbien genannten Sachverhalts (Strafantrag der Grundstaatsanwaltschaft Vrsac vom 28. Mai 2020) hingegen wies der Einzelrichter den Antrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt (ON 33 S 2) auf Zulässigerklärung der Auslieferung ab.

[3] Einer gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft Klagenfurt (ON 36) gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 24. Mai 2023, AZ 9 Bs 144/23d, (ON 39.9) „dahin Folge“, dass der „Ausspruch“, wonach mit der Auslieferung „Spezialitätswirkungen verbunden“ sind, ersatzlos aufgehoben wurde. Im Übrigen gab es ihr (ohne dies im Spruch zum Ausdruck zu bringen, jedoch inhaltlich der Begründung) nicht Folge.

[4] Entgegen der Beschwerde ging auch das Oberlandesgericht (in Übereinstimmung mit dem Landesgericht Klagenfurt) von der Unzulässigkeit der Auslieferung wegen der im Strafantrag der Grundstaatsanwaltschaft Vrsac vom 28. Mai 2020 geschilderten Tat aus, weil die Voraussetzung beiderseitiger gerichtlicher Strafbarkeit (Art 2 EuAlÜbk) nicht erfüllt sei (BS 4 f). Die Annahme der Spezialitätsbindung in Bezug auf den von der – als solcher unbekämpften – Zulässigerklärung umfassten Sachverhalt (Strafantrag der Grundstaatsanwaltschaft Vrsac vom 7. Juli 2020) erachtete es jedoch – im Einklang mit der Beschwerde – als verfehlt. Dies deshalb, weil der Spezialitätsgrundsatz (Art 14 EuAlÜbk) aufgrund der vom Betroffenen erteilten Zustimmung (Art 4 des 3. ZP‑EuAlÜbk in Verbindung mit dem zu Art 5 lit a des 3. ZP‑EuAlÜbk erklärten Vorbehalt Österreichs) keine Anwendung finde (BS 5 f).

Rechtliche Beurteilung

[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt, steht der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[6] Im Verhältnis zu Serbien kommt das Europäische Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk) BGBl 1969/320, ergänzt durch das Zweite (BGBl 1983/297), das Dritte (BGBl III 2015/70) und das Vierte (BGBl III 2016/42) Zusatzprotokoll, zur Anwendung.

[7] Nach Art 12 Abs 1 des 3. ZP‑EuAlÜbk und Art 7 Abs 1 des 4. ZP‑EuAlÜbk ist das EuAlÜbk sinngemäß anzuwenden, soweit es mit den Bestimmungen der genannten Zusatzprotokolle vereinbar ist. Nach Art 22 EuAlÜbk findet, soweit in diesem Übereinkommen nichts anderes bestimmt ist, auf das Verfahren der Auslieferung ausschließlich das Recht des ersuchten Staates Anwendung, somit (hier relevant) das ARHG (vgl § 1 ARHG) und – diesem gegenüber subsidiär – sinngemäß die StPO (§ 9 ARHG).

[8] § 31 ARHG regelt das (förmliche) Verfahren über die Zulässigkeit der Auslieferung. Im Auslieferungsrecht gilt als allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts der (hier relevant) in Art 3 4. ZP‑EuAlÜbk (zuvor Art 14 EuAlÜbk) und § 23 ARHG verankerte Grundsatz der Spezialität. Er soll sicherstellen, dass die ausgelieferte Person vom ersuchenden Staat ausschließlich wegen der Straftat(en) strafrechtlich verfolgt wird, derentwegen der ersuchte Staat die Auslieferung bewilligt oder deren Verfolgung dieser nach Durchführung der Auslieferung zugestimmt hat (Göth‑Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 23 Rz 1 f und § 40 Rz 1 sowie 12 Os 61/23x [Rz 11] mwN).

[9] In Entsprechung dieses Grundsatzes ist eine Auslieferung in der Regel nur dann zulässig, wenn seine Einhaltung gewährleistet ist (§ 23 Abs 1 ARHG).

[10] Keine Spezialitätsbindung besteht (neben weiteren in § 23 Abs 3 Z 1 und 2 ARHG normierten Ausnahmen) im Fall der sogenannten vereinfachten Auslieferung gemäß § 32 ARHG (Göth‑Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 32 Rz 6):

[11] Erklärt sich ein Betroffener – wie hier nach den Tatsachenannahmen des Oberlandesgerichts (BS 2) * J* – aufgrund eines ausländischen Ersuchens um Auslieferung rechtsgültig mit dieser sowie damit einverstanden, ohne Durchführung eines förmlichen Auslieferungsverfahrens übergeben zu werden (§ 32 Abs 1 ARHG), hat das Gericht dem Bundesministerium für Justiz die Akten unmittelbar vorzulegen (§ 32 Abs 4 ARHG). Ein Beschluss über die Zulässigkeit der Auslieferung nach § 31 (iVm § 33) ARHG ist in diesem Fall nicht zu fassen (Göth‑Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 32 Rz 8).

[12] Einen (isolierten) Verzicht des Betroffenen auf die Beachtung der Spezialität sieht das ARHG nicht vor. Mit Blick auf die in § 32 Abs 2 ARHG normierte Belehrungspflicht ist jedoch aus § 32 ARHG abzuleiten, dass er im Fall der – von seiner rechtsgültigen Zustimmung gemäß § 32 Abs 1 ARHG abhängigen – vereinfachten Auslieferung keinen Anspruch auf den Schutz nach § 23 Abs 1 und 2 ARHG sowie (hier relevant) Art 14 EuAlÜbk (idF Art 3 des 4. ZP‑EuAlÜbk) hat (vgl auch § 23 Abs 3 Z 3 ARHG; zum Ganzen abermals Göth‑Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 23 Rz 1 und § 32 Rz 6 sowie ErläutRV 374 BlgNR 25. GP  3, wonach die Zustimmung der betroffenen Person zur vereinfachten Auslieferung nach dem ARHG „automatisch“ den Verzicht auf den Grundsatz der Spezialität beinhaltet).

[13] Eine wirksam erteilte Zustimmung der betroffenen Person gemäß § 32 Abs 1 ARHG zwingt aber nicht in jedem Fall zur Vorgangsweise nach §§ 32 Abs 4, 34 Abs 3 erster Satz ARHG. Auch für eine vereinfachte Auslieferung müssen nämlich die Zulässigkeits-voraussetzungen nach §§ 10 bis 22 ARHG erfüllt sein. Bei Bedenken (§ 34 Abs 3 zweiter Satz ARHG) gegen die Zulässigkeit der Auslieferung ist ein förmliches Auslieferungsverfahren nach §§ 31, 33 und 34 ARHG durchzuführen (12 Os 61/23x [Rz 14]; Göth‑Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 32 Rz 5).

[14] Fasst das Gericht – wie hier infolge solcher Bedenken – trotz Zustimmung des Betroffenen zur Übergabe im vereinfachten Verfahren einen Beschluss über die Zulässigkeit der Auslieferung, hat es dabei auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 23 ARHG zu prüfen. Die Bundesministerin für Justiz bewilligt in der Folge die Auslieferung (wenn sie diese nicht gemäß § 34 Abs 1 ARHG ablehnt) unter Spezialitätsvorbehalt (erneut Göth‑Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 32 Rz 8).

[15] Anders gewendet führt die Zustimmung der betroffenen Person zu ihrer Übergabe im vereinfachten Verfahren (§ 32 Abs 1 ARHG) für sich allein nicht zum Verlust des Spezialitätsschutzes gemäß § 32 ARHG. Zusätzlich ist erforderlich, dass (sodann tatsächlich) keine beschlussförmige Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nach § 31 ARHG ergeht.

[16] Das 3. ZP‑EuAlÜbk (vgl dazu Göth‑Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 32 Rz 9) bestimmt – entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts – nichts anderes:

[17] Die (völkerrechtliche Pflicht zur) Auslieferung im vereinfachten Verfahren nach diesem Zusatzprotokoll setzt nämlich nach dessen Art 1 die Zustimmung nicht nur der betroffenen Person, sondern auch des ersuchten Staates (arg „und“) hierzu voraus (die durch eine vereinfachte Auslieferung konkludent erteilt wird [vgl Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht 165 und 187 sowie RIS‑Justiz RS0073377]; zur Möglichkeit, diese Zustimmung zu verweigern, siehe Riegel/Trautmann in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen6 3. ZP‑EuAlÜbk Kurzübersicht Rz 6 und Art 1 Rz 1, ferner Art 6 Abs 2 und Art 7 des 3. ZP‑EuAlÜbk, die ausdrücklich den [Ausnahme-]Fall bedenken, dass sich die ersuchte Vertragspartei gegen die Anwendung des vereinfachten Verfahrens entscheidet, obwohl die betroffene Person zugestimmt hat).

[18] Hievon ausgehend ist (auch) gemäß Art 4 des 3. ZP‑EuAlÜbk in Verbindung mit der von Österreich bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu Art 5 lit a des 3. ZP‑EuAlÜbk abgegebenen Erklärung (wonach „Art 14 des Übereinkommens keine Anwendung findet, wenn die ausgelieferte Person ihrer Auslieferung gemäß Art. 4 dieses Protokolls zustimmt“, BGBl III 2015/70) die Zustimmung der betroffenen Person (Art 4 des 3. ZP‑EuAlÜbk, § 32 Abs 1 ARHG) zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für den Verlust des Spezialitätsschutzes nach diesem Zusatzprotokoll. Kommt es – wie hier – zu einem förmlichen Auslieferungsverfahren (§§ 31, 33 f ARHG), mangelt es an der darüber hinaus erforderlichen (Zustimmung Österreichs zur) Auslieferung im vereinfachten Verfahren (vgl ErläutRV 374 BlgNR 25. GP  2 f und 12 Os 61/23x [Rz 12]).

[19] Der Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt daher in seiner Begründung – die eine gegenteilige Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt – § 23 Abs 1 ARHG und Art 14 EuAlÜbk (idF Art 3 des 4. ZP‑EuAlÜbk).

[20] Da diese Gesetzesverletzung hier nicht zum Nachteil des Betroffenen wirkt, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden (§ 292 vorletzter Satz StPO).

[21] Der (vom Landesgericht getroffene und) vom Oberlandesgericht aufgehobene Ausspruch, dass mit der Auslieferung „Spezialitätswirkung verbunden“ sei, ist nämlich bloß deklaratorischer Natur (sodass auch sein Wegfall die Bundesministerin für Justiz bei deren gemäß § 34 ARHG zu treffender Auslieferungsentscheidung nicht im Sinn der Annahme fehlenden Spezialitätsschutzes binden kann [zur Abgrenzung der gerichtlichen Entscheidungskompetenz von jener der Bundesministerin für Justiz im Auslieferungsverfahren nach dem ARHG siehe 13 Os 27/15t, 30/15h sowie – grundlegend – 14 Os 8/02, RIS‑Justiz RS0116270]). Eine (nur) dagegen gerichtete Beschwerde wäre schon aus diesem Grund zurückzuweisen gewesen (vgl RIS‑Justiz RS0109708).

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