OGH 24Ds4/23g

OGH24Ds4/23g12.9.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 12. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann als weitere Richterin und die Rechtsanwälte Dr. Konzett und Dr. Wachter als Anwaltsrichter in Gegenwart der RiAA Mag. Besic als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über den Einspruch und die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Wiener Rechtsanwaltskammer vom 6. April 2022, AZ D 200/20, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, des Kammeranwalts Mag. Steiner, des Disziplinarbeschuldigten und seines Verteidigers Mag. Proksch zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0240DS00004.23G.0912.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Einspruch gegen das in Abwesenheit gefällte Erkenntnis wird zurückgewiesen.

Hingegen wird der Berufung Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten ergangenen Erkenntnis wurde *, Rechtsanwalt in *, der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er dadurch, dass er

1) im November 2018 in W* R* dazu veranlasst hat, ihm treuhändig am 8. November 2018 160.000 Euro zur Vorfinanzierung einer gerichtlichen Pauschalgebühr für Mag. P* zu überweisen, und über diesen Betrag jedoch abredewidrig bereits vor Abschluss eines schriftlichen und inhaltlich konkretisierten Darlehensvertrags mit Mag. P* verfügt hat, indem damit eine tatsächlich von der Al* GmbH zu bezahlende Pauschalgebühr finanziert wurde,

2) nach Verfügung über den treuhändig erlegten Betrag der R* am 14. November 2019 den Abschluss eines Darlehensvertrags mit der Al* GmbH anstelle von Mag. P* vorgeschlagen hat, ohne auf deren ihm bekannte schlechte finanzielle Situation hinzuweisen, sowie einen dabei bestehenden Interessenskonflikt aufgrund seiner Funktion als stellvertretender Aufsichtsrat der A* AG, der Muttergesellschaft der vorgeschlagenen neuen Darlehensnehmerin verschwiegen hat,

3) sich trotz Klagsführung zu 21 Cg 20/20s des Handelsgerichts Wien bis zu der am 23. September 2020 erfolgten Darlehensrückzahlung geweigert hat, den treuhändig erlegten Betrag zurückzuzahlen und bis dato über die Verwendung Rechnung zu legen,

4) es unterlassen hat, die übernommene Treuhandschaft dem elektronischen Anwaltlichen Treuhandbuch zu melden,

gegen die Bestimmungen der „§§ 9, 10 Abs 2 RAO, § 10a Abs 1 und 2 RAO sowie gegen die Bestimmungen des eTHR“ verstoßen.

[3] Über den Disziplinarbeschuldigten wurde unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis zu D 235/18 die Zusatzdisziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von 12.000 Euro verhängt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen wendet sich die (Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO relevierende) Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld und Strafe sowie der im Rahmen der Berufung erhobene Einspruch gegen das Abwesenheitserkenntnis.

Zum Einspruch:

[5] Gemäß § 35 DSt kann in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten die Verhandlung durchgeführt und das Disziplinarerkenntnis gefällt werden, wenn er zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme (durch Schriftsatz seines Verteidigers ON 6 erfolgt) hatte (Lehner in Engelhart/ Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 35 DSt Rz 3), ihm die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde (ON 13) und er dennoch ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt.

[6] Mit dem Hinweis auf die COVID‑19‑Erkrankung seines Verteidigers macht der Disziplinarbeschuldigte keinen Umstand geltend, der auch gewissenhafte Menschen in gleicher Lage vom Erscheinen abgehalten hätte (RIS‑Justiz RS0057021 [Tl]), zumal es der Verteidiger in der Hand gehabt hätte, im Falle seiner Verhinderung für einen Vertreter zu sorgen (§§ 14, 34a RAO; RIS‑Justiz RS0116013). Dass dies nicht möglich gewesen wäre, wurde vom Einspruchswerber (auch durch die in der Berufungsverhandlung vorgelegten Urkunden und das dort erstattete Vorbringen) nicht nachgewiesen (vgl RIS-Justiz RS0101596).

Zur Berufung:

[7] Zu Recht macht der Berufungswerber im Rahmen der Rechtsrüge geltend, dass dem angefochtenen Erkenntnis keine hinreichenden Feststellungen für die rechtliche Annahme einer gegenüber der R* bestehende Treuhandverpflichtung des Disziplinarbeschuldigten zu entnehmen sind.

[8] Nach den Feststellungen des Disziplinarrats brachte * S* als Bevollmächtigter der R* über Ersuchen des Berufungswerbers „an dessen Anderkonto, Mag. P*, kurzfristig die Pauschalgebühr für das Erheben der Aufhebungsklage gegen einen Schiedsspruch vor dem Obersten Gerichtshof zu * in Höhe von 160.000 Euro zur Anweisung“ (ES 5 erster Absatz). Dieser Überweisung seien Gespräche zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und S* vorausgegangen, in welchen dieser namens der R* Interesse bekundet habe, an der A* AG Genussrechte zu erwerben (ES 5 zweiter Absatz).

[9] Der konkrete Inhalt der zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und S* getroffenen Parteienvereinbarung ist den Feststellungen jedoch ebenso wenig zu entnehmen wie auch die weitere Verwendung des überwiesenen Geldbetrags. Vielmehr beschränken sich jene auf eine zusammenfassende Wiedergabe der im Erkenntnis zitierten Urkunden (ES 5 f), womit offen bleibt, ob der Disziplinarbeschuldigte Treuhänder der R* oder beider Vertragsparteien war (dazu RIS‑Justiz RS0010472, vgl auch Art 5.3 des [zur Tatzeit in Geltung stehenden] Statut 2017 der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer Wien) und – zumindest fahrlässig (RIS‑Justiz RS0055223 [Tl]) – gegen ihn treffende Treuhandpflichten verstoßen hat.

[10] Dieser – sämtliche Tatvorwürfe betreffende – Rechtsfehler mangels Feststellung der entscheidungswesentlichen Treuhänder-Eigenschaft zwingt zur Aufhebung der Schuldsprüche.

[11] Mit der Berufung wegen Strafe war der Disziplinarbeschuldigte auf die das erstinstanzliche Erkenntnis aufhebende Entscheidung zu verweisen.

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