European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00078.23M.0906.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Amtsdelikte/Korruption
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Darauf werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren Berufungen verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * D* des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 1. April 2021 in I* als Amtsarzt der Landespolizeidirektion I*, somit als Beamter (im strafrechtlichen Sinn), mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem Recht auf Verfolgung von Verwaltungsübertretungen (§ 99 Abs 3 lit a iVm § 58 Abs 1 StVO) zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des (richtig [vgl Art 11 Abs 1 Z 4 B‑VG]:) Landes dadurch wissentlich missbraucht, dass er „trotz des Verdachtes von Fahruntauglichkeit (Übermüdung) ein (in diesem Punkt) positives Gutachten ausstellte und den Tatbestand der Übermüdung nicht vermerkte, indem er es unterließ, bei der Ausstellung des Formulars im Rahmen der Fahrtauglichkeitsuntersuchung des * Do* den Umstand der Übermüdung anzukreuzen“.
[3] Hingegen wurde * D* vom weiteren Vorwurf freigesprochen, er „habe in I* als Amtsarzt für die Landespolizeidirektion I*, somit als Beamter im Sinne des § 74 StGB, mit dem Vorsatz, den Staat an seinem konkreten Recht auf Strafverfolgung, zu schädigen, seine Befugnis, Fahrtauglichkeiten festzustellen, wissentlich missbraucht, indem er in nachangeführten Fällen trotz des Verdachtes von Fahruntauglichkeit“ (Suchtgiftbeeinträchtigung) „einen positiven Test bzw ein positives Gutachten ausstellte und den Tatbestand“ der „Anzahl der Testversuche bzw des Verdachtes des Suchtmittelkonsums nicht vermerkte und keine weitergehenden Untersuchungen durchführte“, nämlich
1/ „am 28. 5. 2021 indem er im Zuge der Fahrtauglichkeitsuntersuchung des * W* die Testabschnitte vorwiegend als positiv bestanden bewertete, obwohl * W* nicht in der Lage war, die Tests richtig durchzuführen und weitere Untersuchungen in Richtung Suchtgiftbeeinträchtigung unterließ, obwohl es Anzeichen dafür gab“;
2/ „am 28. 5. 2021 dem * J* eine Fahrtüchtigkeit attestierte, obwohl ein Suchtmittelkonsum nach dem Drogen‑Testgerät im Raume stand und keine weiteren Untersuchungen durchführte bzw wider besseren Wissens einzelne Testabschnitte als vorwiegend positiv bestanden bewertete“.
Rechtliche Beurteilung
[4] Mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft die Staatsanwaltschaft, gestützt auf Z 5 und 9 lit a, den Freispruch, der Angeklagte den Schuldspruch aus den Gründen der Z 1, 4, 5, 5a und 9 lit a, jeweils des § 281 Abs 1 StPO.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
[5] Zum Freispruch traf das Erstgericht Negativfeststellungen sowohl zur objektiven wie zur subjektiven Tatseite (US 22 ff). Indem die Mängelrüge (Z 5) bloß die Feststellungen zum äußeren Tatbestand und zum Schädigungsvorsatz (nicht aber jene zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs) bekämpft, spricht sie keine entscheidenden Tatsachen an, die allein den gesetzlichen Bezugspunkt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes bilden (RIS‑Justiz RS0127315 [T3, T4], RS0117499).
[6] Diese nicht bekämpften Urteilsannahmen (zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs) werden auch von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) übergangen, weshalb sich diese schon deshalb einer inhaltlichen Erwiderung entzieht (RIS‑Justiz RS0099810).
[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
[8] Im Ergebnis zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) auf, dass der Urteilssachverhalt die (rechtliche) Annahme wissentlichen Befugnismissbrauchs des Beschwerdeführers nicht trägt. Diesem liegt zur Last, wissentlich ein inhaltlich unrichtiges Gutachten über die Fahrtüchtigkeit des von ihm untersuchten Do* ausgestellt zu haben. Dazu stellte das Erstgericht in objektiver Hinsicht fest, der Beschwerdeführer habe es unterlassen, Do* (neben Fahruntüchtigkeit wegen Suchtgiftbeeinträchtigung) „auch eine Fahruntauglichkeit infolge Übermüdung, obwohl bei diesem aufgrund einer durchwachten Nacht, seiner verzögerten Reaktion und seines verlangsamten, müden Verhaltens im Rahmen der Amtshandlung bzw. Untersuchung – nach Erfahrungen des täglichen Lebens – klare Indikatoren für eine Übermüdung vorlagen, zu bescheinigen“ (US 19). Zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs heißt es, der Beschwerdeführer habe gewusst, dass er den „ihm als Amtsarzt eingeräumten Ermessensspielraum verletzt, indem er es trotz des“ (auf Grund der oben angeführten „Indikatoren“ bestehenden) „Verdachtes von Fahruntauglichkeit (Übermüdung) unterließ, bei der Ausstellung des Formulars im Rahmen der Fahrtauglichkeitsuntersuchung den Umstand der Übermüdung anzukreuzen“ (US 20). Begründend führten die Tatrichter dazu aus, dass das Vorliegen einer Übermüdung bei Do* „aufgrund der vorliegenden Indikatoren“ dem Beschwerdeführer „definitiv klar sein musste“, dieser habe von der Verletzung des ihm eingeräumten Ermessensspielraums gewusst, weil er „trotz des Verdachts von Fahruntauglichkeit (Übermüdung)“ diesen Umstand „nicht vermerkte“ und „ein (in diesem Punkt) positives Gutachten ausstellte“ (US 37 f).
[9] Wissentlicher Befugnismissbrauch könnte in einer solchen Konstellation – von hier nicht vorgeworfenem bewussten Unterlassen einer ordnungsgemäßen Untersuchung (Befundaufnahme) abgesehen – darin bestehen, dass es der Beschwerdeführer (bewusst) unterließ, Do* Fahruntüchtigkeit (auch) wegen „Übermüdung“ zu attestieren, obwohl er einen solchen Zustand (im von § 58 Abs 1 StVO verlangten Ausmaß) tatsächlich für gegeben erachtete (zum insofern vergleichbaren Vorwurf eines Befugnismissbrauchs bei der Begutachtung von Fahrzeugen gemäß § 57a Abs 1 KFG vgl RIS‑Justiz RS0096721 [T5]; Nordmeyer in WK2 StGB § 302 Rz 138). Dies bringen die oben wiedergegebenen Urteilspassagen (insbesondere mit den Formulierungen „Verdacht“, „Indikatoren“, „klar sein musste“) nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck.
[10] Die weitere Urteilsannahme, der Beschwerdeführer habe gewusst, dass er seine (im Urteil näher beschriebene) Befugnis missbraucht (US 20), bleibt demnach ohne ausreichenden Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0119090).
[11] Der aufgezeigte Rechtsfehler erfordert – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die sofortige Aufhebung des Schuldspruchs, demgemäß auch des Strafausspruchs, bei der nichtöffentlichen Beratung samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht (§ 285e StPO).
[12] Eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens erübrigt sich somit.
[13] Darauf waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren Berufungen zu verweisen.
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