OGH 6Ob132/23i

OGH6Ob132/23i30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen R* 2010, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Ing. F*, vertreten durch Dr. Karin Wintersberger, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 13. Juni 2023, GZ 21 R 49/23m‑82, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00132.23I.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Der Vater kann gegen die Entscheidungen der Vorinstanzen, der Mutter im Rahmen einer Neuregelung die alleinige Obsorge für den 12‑jährigen Sohn zu übertragen, keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen:

[2] 1. Der Vorwurf, das Rekursgericht habe sich mit der Frage des Vorliegens einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (seit der Vereinbarung gemeinsamer Obsorge im Jahr 2010) als Voraussetzung für die Neuregelung der Obsorge gar nicht beschäftigt (bzw schon widersprüchlich dazu: diese verkannt), bleibt unverständlich. Eine Fehlbeurteilung kann in dessen Ausführungen (im Übrigen ausdrücklich zu § 180 Abs 3 ABGB), dass solche Umstände in der Übersiedlung vom vormaligen gemeinsamen Wohnsitz weg (in ein anderes Bundesland), dem Fehlen jeden Kontakts zwischen Vater und Kind seit Anfang 2018 und dem Antrag auf Übertragung der alleinigen Obsorge nach den Bestimmungen des KindNamRÄG 2013 (s RS0128809) lägen, keinesfalls erkannt werden.

[3] 2. Es kommt daher nicht darauf an, ob bei gemeinsamer Obsorge das Kindeswohl gefährdet wäre, sondern vielmehr darauf, mit welcher Neuregelung der Obsorge das allein maßgebliche Wohl des Kindes (RS0048632 „ausschließlich dessen Wohl“; vgl auch VfGH G 223/2022 [G 223/2022‑26] [ErwGr 2.4.]; Art 1 B‑VG über die Rechte von Kindern) besser gewahrt ist (RS0130247; RS0128812).

[4] Bei der Beurteilung dieser Frage handelt es sich um eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Frage, der im Regelfall – wie auch hier – nicht das Gewicht einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zukommt (RS0128812 [T8]).

[5] 3. Auch wenn in der Entscheidung 8 Ob 40/15p ganz generell ausgesprochen wurde, dass ein die Alleinobsorge anstrebender Elternteil die Kooperation und Kommunikation nicht schuldhaft verweigern oder erschweren darf (ErwGr 4.2), wurde auch in diesem Beschluss betont, dass ausschließlich das Kindeswohl für die Obsorgeregelung maßgeblich ist (ErwGr 3.1).

[6] Als wichtiges Kriterium des Kindeswohls erwähnen § 138 Z 5 und 6 ABGB die Berücksichtigung der Meinung des Kindes in Abhängigkeit von dessen Verständnis und der Fähigkeit der Meinungsbildung (Z 5) sowie die Vermeidung der Beeinträchtigung, die das Kind durch die Um- und Durchsetzung einer Maßnahme gegen seinen Willen erleiden könnte.

[7] Der Wille des Kindes bildet somit – wie auch eine negative Folge gegen das Zuwiderhandeln gegen diesen Willen – ein relevantes Kriterium (s RS0048820 [T11]), wobei die Rechtsprechung im Regelfall ab dem 12. Lebensjahr von der Urteilsfähigkeit eines Kindes bezüglich einer Obsorgezuteilung ausgeht (RS0048820 [T9]; 10 Ob 8/19b). Im vorliegenden Fall lehnt der 12‑jährige Sohn den Vater seit Jahren ab, will „beharrlich, stabil und intensiv“ keinen Kontakt zu ihm haben (oder auch nur Briefe von ihm entgegennehmen) und spricht sich „klar und deutlich“ gegen ein Obsorgerecht des Vater aus, zu dem er das Vertrauen verloren hat. Eine Kontaktaufnahme mit dem Vater (wie sie wohl bei ausgeübter gemeinsamer Obsorge letztlich notwendig ist) wird mit „sehr hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass dieser seinen Vater noch mehr ablehnt und es somit zu einer Entfremdung kommt.“

[8] Dass das Rekursgericht dem Verhalten der Mutter jegliche Relevanz abgesprochen hätte, trifft nicht zu. Vielmehr hat es deren Verhalten (Kontaktabbruch) in seine Überlegungen einbezogen, ihm aber wegen des Fehlens jeden Kontakts mit dem Kind seit Jahren, dessen seit Jahren bestehender beharrlichen und massiven Ablehnung des Vaters und der festgestellten Unfähigkeit beider Eltern, miteinander zu kommunizieren, nicht im Sinne einer Aufrechterhaltung der gemeinsamen Obsorge ausschlaggebende Bedeutung (wie vom Vater gefordert) eingeräumt.

[9] 4. Die Bemängelung zur angeblich fehlenden Berücksichtigung von Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG, wozu der Vater im Rekurs lediglich eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens geltend machte, stellt sich als – im Revisionsrekursverfahren nicht zulässige (RS0030748; RS0050037) – erneute Relevierung eines vom Rekursgericht (im Übrigen auch unter Hinweis darauf, dass die beigezogene psychologische Sachverständige derartige Maßnahmen nicht empfohlen und sie im konkreten Fall keine Aussicht auf Verbesserung der Kommunikation zwischen den Eltern in absehbarer Zeit erkannt habe) verneinten Verfahrensmangels dar. Dass hier eine Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls erforderlich wäre (RS0030748 [T2, T5, T8]; RS0050037 [T1, T4, T8]), ist nicht erkennbar und wird auch nicht dargelegt.

[10] Ausgehend von der zugrunde gelegten Sachverhaltsbasis des Vorliegens einer höchst konflikthaften Elternbeziehung, unterschiedlicher Vorstellungen und Erwartungen der Eltern in Erziehungsfragen, persönlicher Kränkungen und mangelnden Vertrauens im Zusammenhalt mit deren Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren, kann der Vater zur Prognose der Vorinstanzen, dass keine Indizien für eine Änderung hin zu einer Herstellung der fehlenden Gesprächsbasis erkennbar oder in absehbarer Zeit zu erwarten seien, keinen Korrekturbedarf im Einzelfall aufzeigen. Er unterstellt dabei nämlich, er sei zur Kooperation fähig und auch ernsthaft gewillt, die Kooperationsfähigkeit sei „objektiv gegeben“ und scheitere nur an der Mutter. Eine Kooperation der Eltern setzt aber ein Mindestmaß an Kommunikationsfähigkeit beider Teile voraus. Es hat ihm insoweit schon das Rekursgericht im Rahmen der Ausführungen zur Rechtsrüge vorgehalten, dass die Unfähigkeit beider Elternteile, miteinander zu kommunizieren, feststeht. Auf Basis welcher (tatsächlich gegebenen) Indizien von einer begründeten Aussicht auf Erfolg von Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG auszugehen gewesen wäre, der es aber für die Heranziehung dieser Mittel bedurft hätte (vgl RS0128812 [T10]), vermag der Vater nicht darzulegen.

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