OGH 15Os51/23y

OGH15Os51/23y30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Eschenbacher in der Strafsache gegen * P* wegen mehrerer Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 24. Februar 2023, GZ 12 Hv 60/22w‑76, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00051.23Y.0830.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * P* mehrerer Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie in E* und andernorts ihren Kindern, die ihrer Fürsorge unterstanden und die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche und seelische Qualen zugefügt, und zwar

1. zwischen März 2015 und etwa Juni 2018 ihrer am * 2010 geborenen Tochter L* G* dadurch, dass sie diese mehrmals am Kopf erfasste und gegen Gegenstände (Tisch, Wand) stieß, mehrfach an den Haaren und an den Ohren zog, am Handgelenk erfasste und es verdrehte, wodurch das Kind wiederholt körperliche und seelische Schmerzen erlitt;

2. zwischen September 2018 und längstens 21. Oktober 2020 ihrem am * 2012 geborenen Sohn F* G* dadurch, dass sie ihn einmal am Hals ergriff und würgte, einmal am Kopf erfasste und diesen gegen den Tisch stieß, ihn einmal am Oberschenkel erfasste und am Boden entlang zog, ihm zumindest zwei Mal mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, unzählige Male mit einem Kochlöffel oder einem Lineal auf die Finger schlug sowie ihn an den Haaren und an den Ohren zog, wodurch das Kind wiederholt körperliche und seelische Schmerzen erlitt;

3. in der Zeit zwischen September 2017 und längstens 21. Oktober 2020 ihrem am * 2011 geborenen Sohn Li* G* dadurch, dass sie ihm mehrmals mit einem Kochlöffel oder Lineal auf die Finger schlug sowie ihn an den Haaren und an den Ohren zog, wodurch das Kind wiederholt körperliche und seelische Schmerzen erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die gegen dieses Urteil von der Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.

[4] Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) behauptet Unvollständigkeit der Urteilsbegründung, weil das Schöffengericht sich mit Widersprüchen im Gutachten der beigezogenen Sachverständigen Dr. H* nicht auseinandergesetzt hätte (vgl zum Gutachten US 13 ff). Dem ist zu entgegnen, dass angebliche Mängel oder Widersprüche des Gutachtens nur im Weg des § 127 Abs 3 StPO beseitigt werden können. Hingegen ist es nicht zulässig, im Verfahren erster Instanz insofern nicht geäußerte Bedenken gegen das Sachverständigengutachten im Rahmen einer Mängelrüge geltend zu machen (RIS‑Justiz RS0097360). Die Rechtsmittelwerberin beruft sich jedoch nicht auf einen diesbezüglich in der Hauptverhandlung gestellten Antrag (vgl § 281 Abs 1 Z 4 StPO).

[5] Die Angeklagte nimmt Bezug auf die Formulierung in der Urteilsbegründung, wonach die Sachverständige ausführte, dass das von L* G* geschilderte „Kerngeschehen“ tatsachenentsprechend bzw authentisch sei (US 14), und behauptet, es bliebe unklar, „was bzw welche Angaben“ damit gemeint wären. Dieses Vorbringen orientiert sich nicht an der Gesamtheit der Urteilsbegründung und zeigt damit keine Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) auf (vgl RIS‑Justiz RS0099425 [T13]).

[6] Die Nichtigkeitsbeschwerde erstattet bloß ein Vorbringen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung, indem sie behauptet, das Schöffengericht hätte nachweisliche Unwahrheiten in L*s Angaben betreffend Übergriffe der Angeklagten als Erinnerungslücken abgetan (vgl dazu etwa US 14).

[7] Entgegen der weiteren Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) haben sich die Tatrichter mit einem Bericht des Kinderdorfes B* sehr wohl auseinandergesetzt (US 7 f).

[8] Soweit die Mängelrüge (neuerlich Z 5 zweiter Fall) ausführt, die Verantwortung der Angeklagten wäre nicht ausreichend berücksichtigt worden, zeigt sie keinen Begründungsmangel auf, weil das Schöffengericht – dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend – nicht verhalten war, den vollständigen Inhalt ihrer Verantwortung im Einzelnen zu erörtern, zumal es deren Angaben als unglaubwürdig erachtete (US 9; RIS‑Justiz RS0098377 [T22]).

[9] Die Aussagen der Zeuginnen * P*, Mag. * J* und Mag. * M* hat das Erstgericht – entgegen dem diesbezüglichen Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) – nicht übergangen (US 22 bis 25).

[10] Die Nichtigkeitswerberin nimmt Bezug auf die Aussage der Zeugin * Mo*, welche bei L* G* oft blaue Flecken wahrgenommen habe (US 22), und führt aus, diese Verletzungsmerkmale hätten im Laufe der Jahre jedenfalls auch dritten Personen auffallen müssen. Damit übt sie neuerlich bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik.

[11] Dass das Erstgericht betreffend eine fachliche Stellungnahme der Familiengerichtshilfe K* ausführte, dass deren Einschätzung – im Nachhinein gesehen – nicht richtig gewesen sei (US 27), ist als Akt der freien Beweiswürdigung mit Mängelrüge nicht bekämpfbar (vgl RIS‑Justiz RS0098400 [T10]).

[12] Auch das Vorbringen, das Gericht hätte sich mit der „seit Jahren bestehenden Kernproblematik, dass die Kinder dazu neigen, unwahre Behauptungen in Bezug auf Gewaltanwendung eines Elternteiles aufzustellen“, nicht oder nur unzureichend auseinandergesetzt, zeigt keinen Begründungsmangel im Sinn der Z 5 auf, sondern übt wiederum unzulässig nach Art einer bloß im Einzelrichterverfahren zulässigen Schuldberufung Beweiswürdigungskritik.

[13] Die Behauptung, das Schöffengericht hätte „teilweise lediglich Scheinbegründungen angeführt bzw Mutmaßungen zu Lasten der Angeklagten erhoben“ (Z 5 vierter Fall), nimmt nicht Maß an den umfassenden beweiswürdigenden Erwägungen im angefochtenen Urteil (US 7 bis 35).

[14] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld‑ oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

[15] Mit den Hinweisen auf den Pflegschaftsakt, aus welchem sich ergäbe, dass die Kinder Manipulationen seitens des Vaters und der väterlichen Großmutter ausgesetzt waren, dass L* G* in einem Entwicklungsbericht des Kinderdorfes B* vom Februar 2020 als manipulativ beschrieben worden sei, die erwähnte Stellungnahme der Familiengerichtshilfe K*, die Krankengeschichte betreffend die Genannte, aus welcher sich ergäbe, dass sie kein einziges Mal wegen ihrer Mutter ins Krankenhaus gekommen sei, eine Passage aus der Zeugenaussage des Li* G*, wonach er die Schläge der Angeklagten gegen die anderen Kinder nicht gesehen habe, auf einen klinisch‑psychologischen Befund vom 4. November 2019, wonach L* G* viel „schwindle“ und ambivalent auf die Familiensituation reagiere, und die Behauptung, dass das Sachverständigengutachten der Dr. H* an schwerwiegenden und erheblichen Mängeln leide (vgl dazu neuerlich § 127 Abs 3 StPO; RIS‑Justiz RS0097360), gelingt es jedenfalls nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen zu wecken.

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[17] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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