OGH 13Os32/23i

OGH13Os32/23i28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Mair in der Strafsache gegen * F* wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 21. November 2022, GZ 25 Hv 57/22m‑34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00032.23I.0628.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * F* jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB (I/1) und des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB (II/1), jeweils eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/2) und des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB (II/2) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in V* vom August 2018 bis zum September 2018

(I) an der am 26. März 2010 geborenen, somit zu den Tatzeitpunkten unmündigen * S*,

1) in zumindest drei Angriffen den Beischlaf und eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung zu unternehmen versucht, indem er sich zu der schlafenden Minderjährigen mit dem Körper zu ihrem Rücken gewandt ins Bett legte, seine Hose öffnete, sodann ihre Pyjama‑ und Unterhose nach unten schob und sich mit seinem erigierten Penis zu ihrem Anus oder ihrer Vagina vortastete, um sie zu penetrieren, er aber sobald er bemerkte, dass sie zwischenzeitlich erwacht war, von ihr abließ, sowie

2) eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er sich zu der schlafenden Unmündigen ins Bett legte, ihre Pyjama‑ und Unterhose nach unten schob und zunächst ihr Gesäß sowie anschließend ihren nackten Schambereich intensiv mit seiner Hand betastete,

(II) durch die unter I angeführten Taten eine schlafende und solcherart wehrlose (RIS‑Justiz RS0095097 [T2] und RS0102727 [T1]) Person unter Ausnützung dieses Zustands missbraucht und zu missbrauchen versucht und dadurch auch

(III) geschlechtlichen Handlungen „an seiner minderjährigen, im selben Haushalt lebenden Stiefenkeltochter, die seiner Erziehung und Aufsicht unterstand“, vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Indem die Mängelrüge (Z 5) aus Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Angeklagten günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, wendet sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[5] Einen nichtigkeitsrelevanten Widerspruch (Z 5 dritter Fall), der sich bloß aus dem Urteilsinhalt selbst, nicht aus dessen Vergleich mit den Verfahrensergebnissen ergeben kann (RIS-Justiz RS0117402 [T16]), zeigt die Mängelrüge nicht auf.

[6] Sofern das diesbezügliche Vorbringen als Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zu verstehen ist, sei festgehalten, dass sich das Erstgericht mit Divergenzen zwischen den einzelnen Angaben der Zeugin * S* und der Aussage der Zeugin * A* ausdrücklich auseinandergesetzt und in eingehender Beweiswürdigung dargelegt hat, aufgrund welcher Überlegungen es trotz dieser Divergenzen zu seinen Feststellungen gelangte (US 11 f).

[7] Dass dabei das gesetzlich eingeräumte Beweiswürdigungsermessen (§ 258 Abs 2 zweiter Satz StPO) im Sinn des insoweit überdies herangezogenen Nichtigkeitsgrundes fehlerhaft gebraucht worden sei (hiezu ausführlich mwN Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470), wird mit dem Hinweis der Tatsachenrüge (Z 5a) auf bloß jene Aussagepassagen, die gegen die bekämpften Feststellungen sprechen, nicht behauptet.

[8] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass der Schuldspruch III – wie auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend aufzeigt – rechtlich verfehlt ist (Z 10), weil der Angeklagte zur minderjährigen * S* in keinem von § 212 Abs 1 Z 1 StGB geforderten Naheverhältnis steht. Von den Feststellungen des Erstgerichts ausgehend ist er nämlich weder mit dieser in absteigender Linie verwandt noch ist sie sein minderjähriges Wahlkind, Stiefkind oder Mündel. Da „Ausnützung“ einer Autoritätsstellung gegenüber einer im Sinn des § 205 Abs 1 erster Fall StGB wehrlosen Person begrifflich ausgeschlossen ist, kommt insoweit auch eine Subsumtion nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0106294).

[9] Mit der demnach rechtsirrigen Subsumtion des festgestellten Sachverhalts auch nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB ist allerdings kein Nachteil für den Angeklagten im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO verbunden, weil der Subsumtionsfehler (dazu Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 23) den Strafrahmen unberührt lässt und sich auch bei der Strafzumessung (vgl US 17) nicht nachteilig ausgewirkt hat (RIS-Justiz RS0090885). Der Erschwerungsgrund des Zusammentreffens mehrerer strafbarer Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) bleibt nämlich von der fehlerhaften Subsumtion unberührt.

[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[11] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[12] Bei dieser Entscheidung ist das Oberlandesgericht – aufgrund der hier getroffenen Klarstellung – nicht an die aufgezeigte Fehlsubsumtion gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte