OGH 13Ns49/23v

OGH13Ns49/23v28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Mair in der Strafsache gegen * B* wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB, AZ 34 Hv 38/23a des Landesgerichts Linz, über Vorlage gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz StPO iVm § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO durch das Oberlandesgericht Linz, AZ 9 Bs 104/23t, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130NS00049.23V.0628.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.

 

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

[1] Mit Anklageschrift vom 24. März 2023 (ON 13) legt die Staatsanwaltschaft Wels * B* als ein Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB beurteilte Taten zur Last.

[2] Danach habe er ihm anvertraute Güter in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert, nämlich nachfolgende, unter Eigentumsvorbehalt der O* GmbH stehende Leasingfahrzeuge, sich oder einem Dritten mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zugeeignet, indem er die Fahrzeuge (vertragswidrig, ON 2 S 2) verkaufte, und zwar

(1) am 8. Juni 2021 in L* den Pkw Mercedes E 200 Cabrio im Wert von 43.492,09 Euro an die H* GmbH,

(2) am 30. August 2021 in O* den Pkw Mercedes EQC im Wert von 49.484,24 Euro an * S* und

(3) am 27. September 2021 in W* den Pkw Audi e-tron im Wert von 65.193,39 Euro an die BM* GmbH.

[3] Die Annahme der örtlichen Zuständigkeit des Landesgerichts Linz begründete die Staatsanwaltschaft nicht.

[4] Der Angeklagte erhob gegen die Anklageschrift keinen Einspruch.

[5] Der Vorsitzende des Schöffengerichts legte die Akten am 13. April 2023 wegen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts Linz gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO dem Oberlandesgericht Linz vor (ON 14).

[6] Mit Beschluss vom 23. Mai 2023, AZ 9 Bs 104/23t, legte das Oberlandesgericht Linz die Akten – nach Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Gründe (vgl RIS-Justiz RS0124585) – gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO (iVm § 213 Abs 6 letzter Satz StPO) dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[7] Gemäß § 31 Abs 3 Z 6a StPO kommt dem Landesgericht als Schöffengericht das Hauptverfahren (unter anderem) wegen des Vergehens der Veruntreuung (§ 133 Abs 2 erster Fall StGB) bei einem 50.000 Euro übersteigenden Wert des Vorteils zu.

[8] Nach § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist (unter anderem) im Fall der Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist (soweit hier relevant) unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zur Führung aller Verfahren zuständig (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO).

[9] Die örtliche Zuständigkeit ist auch bei Subsumtionseinheiten (hier nach § 29 StGB) hinsichtlich jeder der zusammenzufassenden Straftaten nach den Kriterien des § 36 StPO zu ermitteln. Bezugspunkt für die nach § 37 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO vorzunehmende Beurteilung, welches Gericht für das wegen aller Straftaten gemeinsam zu führende Hauptverfahren örtlich zuständig ist, ist jeder einzelne der Tatorte (weil an jedem eine Ausführungshandlung gesetzt wurde [§ 36 Abs 3 StPO]), es sei denn, ein Umstand, der die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO) nach sich zieht (hier ein 50.000 Euro übersteigender Wert des Vorteils [§ 31 Abs 3 Z 6a StPO]), wäre nach der Verdachtslage durch eine einzige dieser Straftaten verwirklicht worden (RIS-Justiz RS0131445; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 5/1 mwN).

[10] Beim Tatbestand der Veruntreuung (§ 133 StGB) ist für die Wertberechnung des veruntreuten Guts bei unter Eigentumsvorbehalt stehenden Sachen sowohl der Verkehrswert der Sache zur Tatzeit als auch der noch aushaftende Rest des Kaufpreises relevant, weil dem Täter nur der niedrigere dieser beiden Beträge angelastet werden kann. Damit bleiben Folgeschäden aus der Veruntreuung außer Betracht, hingegen sind vom Täter bereits bezahlte Leasingraten in Abzug zu bringen (Salimi in WK2 StGB § 133 Rz 122 f mwN; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari,StGB14 § 133 Rz 7).

[11] Nach dem Inhalt der Anklageschrift und der Aktenlage (vgl dazu RIS-Justiz RS0131309; Oshidari, WK‑StPO § 38 Rz 2/1) übersteigt unter Anlegung dieser Kriterien nur der präsumtive Wert des Pkw zum Anklagefaktum 3 den Betrag von 50.000 Euro (ON 13 S 2 und 4 [„Wert“] 65.193,39 Euro sowie ON 2 S 12 [„Restbetrag“ aus dem Leasingvertrag 61.170,19 Euro]).

[12] Hingegen sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die von den Anklagefakten 1 und 2 umfassten Fahrzeuge je für sich genommen einen 50.000 Euro übersteigenden Wert aufwiesen, weder der Anklageschrift noch der Aktenlage zu entnehmen.

[13] Demnach begründet einzig der zu 3 erhobene Anklagevorwurf eine schöffengerichtliche Zuständigkeit, sodass jenes Landesgericht als Schöffengericht zur gemeinsamen Verfahrensführung örtlich zuständig ist, in dessen Sprengel die diesbezügliche Tat präsumtiv ausgeführt wurde (§ 36 Abs 3 erster Satz StPO; RIS-Justiz RS0127231).

[14] Tathandlung der Veruntreuung nach § 133 StGB ist das „Zueignen“. Als rechtsgeschäftliche Zueignungshandlung kommt (neben anderen) der Verkauf des anvertrauten Guts in Frage (Salimi in WK2 StGB § 133 Rz 78 und 85 je mwN).

[15] Nach dem Inhalt der Anklageschrift und der Akten ist zu 3 von einem präsumtiven Tatort im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Oberlandesgerichts Wien auszugehen, weil der diesbezügliche Kaufvertrag als Ort der Vertragsunterzeichnung W* ausweist (ON 8.25 S 1 f).

[16] Demnach war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Sache dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Landesgericht zu übermitteln.

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