European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00083.23V.0627.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Das Rekursgericht bestätigte die vom Erstgericht vorgenommene Bestellung des Rechtsanwalts zum Rechtsbeistand des Betroffenen im Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters geprüft wird, sowie zum einstweiligen Erwachsenenvertreter zur Besorgung der dringenden Angelegenheiten der Vertretung bei der Geltendmachung von Leistungen aus Anlass von Alter, Krankheit, psychischer und/oder physischer Beeinträchtigung oder Existenzsicherung, der Erforschung des Einkommens und Vermögens, der Verwaltung des Einkommens und Vermögens und der Führung von zwei anhängigen Exekutionsverfahren.
[2] Der Rechtsanwalt beantragt mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs, die Beschlüsse der Vorinstanzen als gesetzwidrig aufzuheben. Er sei nicht in die Liste der zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Notare oder Rechtsanwälte eingetragen und lehne die Übernahme der Erwachsenenvertretung ab. Im vorliegenden Fall erfordere die Besorgung der Angelegenheiten nicht überwiegend Rechtskenntnisse und es stünde ihm daher ein Ablehnungsrecht nach § 275 Z 1 ABGB zu. Dabei stützt er sich auf die Entscheidung 1 Ob 41/22v, zeigt damit jedoch keine erheblichen Rechtsfragen iSv § 62 Abs 1 AußStrG auf:
Rechtliche Beurteilung
[3] 1.1. Wenn – wie hier – weder eine vom Betroffenen selbst gewählte noch eine ihm nahestehende Person, bzw ein Vereins-Erwachsenenvertreter zur Verfügung steht, so ist grundsätzlich ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) zu bestellen (RS0123297).
[4] 1.2. Eine Ablehnung nach § 275 Z 1 ABGB setzt voraus, dass die Besorgung der Angelegenheiten nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert. Bei der Beurteilung, ob Angelegenheiten zu besorgen sind, für die vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind, kommt dem Gericht ein Beurteilungsspielraum zu (vgl RS0117452 [T2]; RS0087131).
[5] 2.1. Aus dem Akt ergibt sich, dass der Betroffene etwa ab seit seinem 7. Lebensjahr in Heimen lebte, die Schule nicht abgeschlossen hat und in einer betreuten Wohneinrichtung lebte, bevor er in Untersuchungshaft kam. Er hat keine Ausbildung abgeschlossen und ging bisher auch keiner beruflichen Tätigkeit nach. Er leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung und einer leichtgradigen Intelligenzminderung. Aufgrund einer Impulskontrollstörung hat er Diebstähle begangen. Die aktuelle Haft ist der dritte Haftaufenthalt. Er ist überfordert, mit Ämtern und Behörden in Kontakt zu treten und hat keinen Überblick über seine finanzielle Situation. Weiters gibt es zwei Exekutionsverfahren gegen den Betroffenen aufgrund von Verwaltungsstrafdelikten.
[6] 2.2. Bereits das Rekursgericht hat sich mit der vom Revisionsrekurswerber in Treffen geführten Entscheidung 1 Ob 41/22v auseinandergesetzt und zutreffend darauf verwiesen, dass der dort relevante Sachverhalt nicht mit dem hier vorliegenden vergleichbar ist, da der Einschreiter hier ua zur Führung von Exekutionsverfahren bestellt wurde, während nach dem Sachverhalt der zitierten Entscheidung der bisher für den Betroffenen bestellte Erwachsenenvertreter – ein Mitarbeiter eines Sozialvereins – um Enthebung ersuchte, weil er sich „der Herausforderung nicht mehr gewachsen“ fühle. Die „ständigen Hiobsbotschaften und Katastrophenmeldungen“, darunter psychotische bzw paranoide Schübe und Suizidversuche des Betroffenen sowie Polizei- und Feuerwehreinsätze, die zumeist ein umgehendes Handeln erforderten, hätten ihn an seine Belastungsgrenzen gebracht. Das Rechtsmittel gegen die Bestellung war erfolgreich, weil es weder eine Angelegenheit gab, die von einer Person ohne juristische Ausbildung nicht eigenständig erfüllt werden könnte, noch eine solche konkret abzusehen war, sondern bloß die abstrakte Möglichkeit dazu bestand.
[7] 2.3. Im vorliegenden Fall besteht nicht nur die abstrakte Möglichkeit der Erforderlichkeit von Rechtskenntnissen. Schließlich bestehen gegen den Betroffenen laufende Exekutionsverfahren. Überdies indiziert auch seine konkrete Lebenssituation die Notwendigkeit von Rechtskenntnissen, ist er doch nach der Entlassung aus der Haft obdachlos, verfügt weder über Vermögen noch Einkommen und ist somit auf Sozialleistungen angewiesen.
[8] Zusammenfassend haben die Vorinstanzen ihren Beurteilungsspielraum bei der Beurteilung, ob Angelegenheiten zu besorgen sind, für die vorwiegend Rechtskenntnisse erforderlich sind, nicht überschritten.
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