OGH 8Ob53/23m

OGH8Ob53/23m27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Alexander Ebner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Mag. Stefano Alessandro, Rechtsanwalt in St. Andrä‑Wördern, wegen Zinsen und Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. Mai 2023, GZ 40 R 265/22z‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00053.23M.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach § 33 Abs 2 MRG ist eine Kündigung wegen rückständiger Mietzinse aufzuheben, wenn den Mieter am Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft und er den geschuldeten Betrag vor Schluss der Verhandlung erster Instanz entrichtet. Ob den Mieter am Zahlungsrückstand ein grobes Verschulden trifft, ist eine Frage, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt (RIS‑Justiz RS0042773 [T1]). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn das Berufungsgericht den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat (RS0042773 [T2, T3]).

[2] 2. Grobes Verschulden setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RS0069304). Für die Beurteilung der Frage, ob den Mieter an der verspäteten Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden trifft, ist die Willensrichtung des Mieters, die zur Zahlungssäumnis führte, entscheidend (RS0069316 [T2, T11, T12, T14]). Dabei ist auch das Zahlungsverhalten des Mieters vor dem Räumungsprozess zu berücksichtigen (RS0069316 [T13]). Toleriert werden kann im Allgemeinen nur eine Verspätung von wenigen Tagen oder wegen vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten; häufige Rückstände trotz Mahnung können nur ausnahmsweise nach den Besonderheiten des Einzelfalls eine sonst naheliegende grobe Fahrlässigkeit ausschließen (RS0070310). Zahlt der Mieter den Mietzins nicht, weil er wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, so hat er auch zu beweisen, dass er die Schwierigkeiten nicht verschuldet hat (RS0069316 [T8]).

[3] 3. Aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten befand sich die Beklagte seit Dezember 2019 mit zumindest einer Monatsmiete im Rückstand. Im Juni 2020 verlor die Beklagte ihre Beschäftigung. Sie war daraufhin von September 2020 bis Juni 2021 wegen eines Burnouts im Krankenstand. Im Dezember 2021 mahnte der Kläger einen Rückstand von vier Monatsmieten ein, woraufhin die Beklagte eine Monatsmiete bezahlte, eine weitere Teilzahlung leistete und vom Kläger die Abrechnung der Betriebskosten verlangte. Tatsächlich hatte der Kläger über Jahre hinweg keine Betriebskostenabrechnungen gelegt. Der Kläger teilte der Beklagten daraufhin im Jänner 2022 mit, dass ihrerseits ein Guthaben von ein oder zwei Monatsmieten bestehen könnte, und übermittelte im Februar 2022 eine Betriebskostenabrechnung, die er noch mit der Beklagten besprechen wollte. Im März 2022 brachte der Kläger die gegenständliche Mietzins- und Räumungsklage ein. Der Rückstand von sechs Monatsmieten wurde von der Beklagten im April 2022 beglichen.

[4] 4. Dass die Beklagte ihre Vertragspflichten ignoriert hätte, wie dies vom Kläger behauptet wird, lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Das Berufungsgericht verweist vielmehr mit Recht darauf, dass die Beklagte trotz des Verlustes ihrer Arbeitsplatzes, ihrer Erkrankung und ihrer angespannten finanziellen Lage bemüht war, ihren Zahlungspflichten nachzukommen. Darüber hinaus durfte die Beklagte aufgrund der Mitteilung des Klägers davon ausgehen, dass ihr Zahlungsrückstand durch das angekündigte Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung zumindest teilweise abgedeckt wird, was eine Neuberechnung ihres Zahlungsrückstands erforderlich gemacht hätte. Unter diesen besonderen Umständen ist die Verneinung eines groben Verschuldens vom Beurteilungsspielraum der Gerichte im Einzelfall gedeckt.

[5] 5. Die außerordentliche Revision des Klägers war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

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