OGH 7Ob62/23b

OGH7Ob62/23b24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B* E*, vertreten durch Mag. Stefan Geisler, Mag. Markus Gredler, Rechtsanwälte in Zell am Ziller, gegen die beklagte Partei A* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 55.645,28 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 1. Februar 2023, GZ 4 R 188/22m‑52, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 17. Oktober 2022, GZ 6 Cg 106/20d‑46, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00062.23B.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben und das angefochtene Teilurteil dahin abgeändert, dass es nunmehr lautet:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters 48.689,62 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 6. 2020 zu zahlen, wird abgewiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.092,22 EUR (darin enthalten 506,87 EUR an USt und 3.051 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Versicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen All‑Risk Sach- und Betriebsunterbrechungs-Bedingungen (Fassung 2011) und die Besondere Bedingung Nr 9939 Seuchen – Betriebsunterbrechung, Zusatzbedingung zu den Allgemeinen Bedingungen All-Risk Sach- und Betriebsunterbrechungs‑Bedingungen (Fassung 2011) zugrunde liegen.

[2] Die Allgemeinen Bedingungen All-Risk Sach- und Betriebsunterbrechungs-Bedingungen (Fassung 2011; in Hinkunft: AVB) lauten auszugsweise:

  Teil B. Betriebsunterbrechungsversicherung:

[...]

7. Deckungsbeitrag

7.1. Als Deckungsbeitrag im Sinne der Betriebsunterbrechungsversicherung gilt die Differenz zwischen den betrieblichen Erträgen und den variablen Kosten des versicherten Betriebes.

7.2. Als betriebliche Erträge des versicherten Betriebes gelten: [...]

7.3. Als variable (nicht versicherte) Kosten gelten [...]

7.4. Bei der Ermittlung des Deckungsbeitrages bleiben außer Ansatz: [...]

8. Versicherungswert, Haftungszeit, Haftungssumme

8.1. Als Versicherungswert im Sinne des § 52 Versicherungsvertragsgesetzes (VersVG) gilt der Deckungsbeitrag, der im versicherten Betrieb während der auf den Zeitpunkt des Eintrittes des Sachschadens folgenden 12 Monate ohne Betriebsunterbrechung erwirtschaftet worden wäre.

8.2. Die Haftungszeit beginnt mit dem Zeitpunkt des Eintrittes des Sachschadens und dauert 12 Monate.

8.3. Abweichende Haftungszeiten können vereinbart werden, ausgenommen bei Saisonbetrieben. Die Haftungssumme verhält sich zur Versicherungssumme wie die Haftungszeit zum Zeitraum von 12 Monaten.

[...]

11. Unterbrechungsschaden, Entschädigung

11.1. Unterbrechungsschaden

11.1.1 Als Unterbrechungsschaden gilt der durch die Betriebsunterbrechung tatsächlich entgangene Deckungsbeitrag, abzüglich der ersparten versicherten Kosten, zuzüglich Schadenminderungskosten.

11.1.2 Bei der Ermittlung des entgangenen Deckungsbeitrages sind alle jene Umstände zu berücksichtigen, die dessen Höhe auch ohne Betriebsunterbrechung beeinflusst hätten, z.B. die technischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des versicherten Betriebes, vorgesehene Veränderungen im versicherten Betrieb, die Marktlage, regionale und weltweite Konjunkturkrisen, Auswirkungen von höherer Gewalt, Streik, Aussperrung, Boykott, Konkurs oder Ausgleich des Versicherungsnehmers.

[...]“

[3] Die Besondere Bedingung Nr 9939 lautet:

Seuchen – Betriebsunterbrechung

Zusatzbedingung zu den Allgemeinen Bedingungen All-Risk Sach- und Betriebsunterbrechungs-Bedingungen (Fassung 2011) (in Hinkunft: Besondere Bedingung)

Erweiterung zu Teil B 3

3.4. Auf Grund besonderer Vereinbarung gelten Unterbrechungsschäden - auch ohne Vorliegen eines Sachschadens gemäß Teil B 4- in Fällen, in denen

- der im Antrag bezeichnete Betrieb von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Seuchen geschlossen wird,

- die Entseuchung, Vernichtung oder Beseitigung von Waren in diesem Betrieb angeordnet wird, weil anzunehmen ist, dass sie mit Seuchenerregern behaftet sind;

- in diesem Betrieb beschäftigte[n] Personen ihre Tätigkeit wegen Erkrankung an Seuchen, entsprechenden Krankheits- oder Ansteckungsverdachts oder als Ausscheider / Ausscheidungsverdächtiger von Erregern von Enteritis infectiosa, Paratyphus A und B, übertragbarer Ruhr und Typhus abdominalis untersagt wird.

Seuchen im Sinn dieses Risikos sind beispielsweise folgende Krankheiten: [...]

Nicht versichert sind:

[...]

Übergang des Entschädigungsanspruches

Der Anspruch auf Entschädigung, der dem Versicherungsnehmer aus Anlass der behördlichen Betriebsschließung gegen den Bund zusteht, geht auf den Versicherer nach Maßgabe seiner Versicherungsleistung über. Auf Verlangen des Versicherers ist diesem eine entsprechende Abtretungsurkunde auszustellen.“

[4] Die Klägerin führt in Z* einen Gastgewerbebetrieb mit über 75 Betten und eine Bar. Sie wurde am 14. 3. 2020 darüber informiert, dass zwei bei ihr untergebracht gewesene Gäste in Dänemark positiv auf COVID‑19 getestet worden seien. Dies meldete sie über die Telefon-Hotline 1450. Die Bezirkshauptmannschaft Schwaz erklärte der Klägerin daraufhin fernmündlich, dass sie sich sofort in Quarantäne begeben müsse. Aufforderungsgemäß gab sie der Bezirkshauptmannschaft ihre damaligen Dienstnehmer bekannt. Ihr wurde fernmündlich von der Bezirkshauptmannschaft angeraten, den Betrieb sofort zu schließen. Eine Schließung des Betriebs mittels Bescheid wurde nicht angeordnet. Die Klägerin schloss ihren Betrieb, sie hatte auch keine Beschäftigten mehr zu Verfügung, ein Teil war in Quarantäne, der andere abgereist.

[5] Gäste, die am 14. 3. 2020 noch im Haus der Klägerin waren, reisten planmäßig an diesem Tag ab, eine andere Gruppe stornierte wegen „Covid“. Einer weiteren Gruppe Urlauber, die an den Folgetagen angereist wäre, musste die Klägerin absagen. Die Bezirkshauptmannschaft Schwaz setzte mit Verordnung vom 13. 3. 2020 folgende verkehrsbeschränkende Maßnahmen nach dem Epidemiegesetz 1950 für alle Gemeinden des Bezirks Schwaz mit Ablauf des 16. 3. 2020 (aufgehoben per 26. 3. 2020) in Kraft:

„§ 1b) Weiters wird für die Bewohner der Gemeinden im Bezirk Schwaz sowie für die in diesen Gemeinden aufhältigen Personen der Besuch sämtlicher in den Gemeindegebieten befindlicher Gastgewerbebetriebe, die rein der Unterhaltung dienende Aktivitäten darbieten, verboten. Diese Maßnahmen gelten innerhalb der Betriebsräume und außerhalb auf den Freiterrassen, Gastgärten und den vorgelagerten Freiflächen. Alle Gastgewerbebetriebe zu touristischen Zwecken im Bezirk Schwaz, insbesondere Gast- und Beherbergungsbetriebe, Hotelbetriebe, Appartementhäuser, Restaurants, Cafes, Bars, Chalets, Airbnb, Privatzimmervermietungen und dergleichen sowie Campingplätze sind zu schließen. Davon ausgenommen ist die Verabreichung von Speisen zur Grundversorgung der Bevölkerung.“

[6] Mit Wirkung vom 16./17. 3. 2020 wurden vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege- und Konsumentenschutz bundesweite Betriebsbetretungsverbote angeordnet, welche letztlich bis 13. 4. 2020 verlängert wurden. Der Landeshauptmann von Tirol verordnete am 25. 3. 2020 das Verbot des Betretens von Beherbergungsbetrieben zu touristischen Zwecken im gesamten Landesgebiet. Aus der Chronologie der Ereignisabbildung COVID‑19‑Pandemie im Tiroler Tourismus:

„Donnerstag, 12. 03. 2020: Erste Corona‑Todesopfer (mit Vorerkrankungen) in Wien. Die Bundesregierung kündigt Besuchsverbote in Spitälern an. AGES (Agentur für Gesundheit- und Ernährungssicherheit) geht von einer Steigerungsrate der Erkrankten von 23,2 % pro Tag aus. Appell der Regierung, die Ansteckungskurve so flach wie möglich zu halten.

Freitag, 13. 03. 2020: Verschärfung der Maßnahmen. Schulschließungen ab 16. 03. Das Paznauntal mit Touristenhotspots, wie Ischgl und Galtür, sowie St. Anton am Arlberg werden unter Quarantäne gestellt. Die Tiroler Landesregierung sowie Vertreter der Sozialpartner kündigen in einer Live-Pressekonferenz via TV-ORF-Tirol die Schließung aller touristischen Betriebe per Sonntag, 15. 03. an. Durch die Bezirkshauptmannschaft Schwaz wird mit Verordnung vom 13. 03. 2020 der Schibusverkehr und der Seilbahnbetrieb verboten.

Samstag, 14. 03. 2020: Durch die Regierung wird ein Krisenbewältigungsfonds in Aussicht gestellt. Alle touristischen Unternehmungen sind mit der Umsetzung der Verordnung der BH beschäftigt. Eine Abreisewelle der Gäste setzt ein.

Sonntag, 15. 03. 2020: Alle touristischen Betriebe sind mit Maßnahmen für eine blitzartige Betriebsschließung beschäftigt. Gäste sind in möglichst geordneter Weise auszuchecken. Mitarbeitergespräche sind zu führen, um ein geordnetes Ende der Tätigkeiten (AMS, Kurzarbeit) herbeizuführen. Der Betrieb als solcher ist raschest herunterzufahren.

Montag, 16. 03. 2020: Bis 24:00 Uhr haben lt. Verordnung alle Gäste die touristischen Betriebe zu verlassen. Die Betriebe sind bis auf weiteres geschlossen zu halten. Es ergibt sich teilweise die Situation, dass Gäste, die mit Flugzeug oder Reisebus gekommen sind, umgehend keine Rückreisemöglichkeit haben. Für diese Gäste mussten individuelle Lösungen gefunden werden. In Erfüllung der Verordnung kam es teilweise zu chaotischen Situationen. Ein geordneter Geschäftsverlauf war daher schon teilweise ab 13. 03. nicht mehr möglich. Umsätze konnten nur mehr mangelhaft generiert werden. Ab 14. 03. 2020 gab es keine Anfragen, Reservierungen bzw. Buchungen. Mitunter gab es noch kleine, wirtschaftlich irrelevante Konsumationen. Die Mitarbeiter bei Tiroler Reisebüros und bei Hotels waren mit der Abwicklung von Stornos beschäftigt. Aktive Anfragen gab es schlagartig nicht mehr.“

[7] Aufgrund der Beschränkungen, die die Marktlage (das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, Möglichkeiten des Kaufs und Verkaufs in einem bestimmten Bereich) und nicht den konkreten versicherten Betrieb der Klägerin betroffen haben, wie insbesondere Reiseverbote, Aufenthaltsverbote, Schließungen der Bergbahnen– einhergehend mit den Beschränkungen für die Hotellerie und Gastronomie – hätte im fraglichen Zeitraum, auch wenn der versicherte Betrieb der Klägerin offen gewesen wäre, kein Umsatz lukriert werden können.

[8] Unter hypothetischer Ausklammerung der tatsächlichen touristischen Marktlage im fraglichen Zeitraum würde sich ein Durchschnittsdeckungsbeitrag (im Sinne der Betriebsunterbrechungsversicherung nach den Kriterien der Allgemeine Bedingungen All-Risk Sach- und Betriebsunterbrechungs-Bedingungen [Fassung 2011], Teil B Punkt 7. als Differenz zwischen den betrieblichen Erträgen und den variablen Kosten des versicherten Betriebs) von 3.624,75 EUR errechnen. Tatsächlich gab es für den Betrieb der Klägerin vom 14. 3. 2020 bis 29. 3. 2020 aber keinen touristischen Markt. Der Schaden wäre jedenfalls eingetreten.

[9] Die Klägerin stellte Anträge auf Zuerkennung einer Vergütung gemäß § 32 Epidemiegesetz an die Bezirkshauptmannschaft Schwaz, welche bislang noch nicht mit Bescheid erledigt wurden.

[10] Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schwaz vom 13. 11. 2020 wurde der Klägerin gemäß § 32 Abs 1 Z 1 und Abs 3 iVm § 7 EpiG 1950 eine Vergütung von 8.842,71 EUR als Ersatz der Personalkosten für die bescheidmäßig abgesonderten Mitarbeiter zuerkannt und am 7. 1. 2021 überwiesen. Die Klägerin hat die Beklagte von dieser Vergütung mit E-Mail vom 22. 2. 2021 verständigt. Gleichzeitig teilte sie der Beklagten mit, welche weiteren staatlichen Unterstützungsleistungen sie beantragt und erhalten hat.

[11] Die Klägerin begehrt 55.645,28 EUR an Betriebsunterbrechungsschaden (den entgangenen Deckungsbeitrag von 3.477,83 EUR für 16 Tage) und brachte vor, die COVID‑19‑Pandemie zähle zu den versicherten Krankheiten. Die Bezirkshauptmannschaft Schwaz habe am 14. 3. 2020 eine Betriebsschließung angeordnet. Der Klägerin selbst und ihren Mitarbeitern sei mit Absonderungsbescheiden die Tätigkeit im Betrieb bis zum 29. 3. 2020 untersagt worden, weshalb allein deswegen Versicherungsschutz bestehe und woraus sich ein Schließungszeitraum von 16 Tagen errechne. Per Verordnung seien sämtliche Gastgewerbebetriebe im Bezirk Schwaz ab 16. 3. 2020 zu touristischen Zwecken geschlossen worden. Das Betretungsverbot komme einer Betriebsschließung gleich und habe denselben Zweck, nämlich die Verhinderung der Ausbreitung der Krankheit. Eine Beschränkung auf individuelle Betriebsschließungen sei in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten. Der Deckungsbeitrag errechne sich aus dem Zeitraum Jänner bis März 2020. Das Ausbleiben von Gästen nach dem 14. 3. 2020 sei nicht auf die allgemeine Marktlage zurückzuführen, sondern Ausfluss der versicherten Gefahr. Art Teil B.11.1.2. der AVB sei gröblich benachteiligend und nichtig und die Beklagte verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sie sich darauf berufe, weil gerade die Seuche der Grund für die Reisebeschränkungen gewesen sei. Die Klägerin habe trotz entsprechender Antragstellung für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten, außer einer Vergütung für die Absonderung der Mitarbeiter von 8.842,71 EUR. Der Anspruch gehe aber nicht auf die Beklagte über, weil er nicht aus Anlass der behördlichen Betriebsschließung geleistet worden sei. Die gesetzliche Subsidiaritätsklausel nach dem Epidemiegesetz gehe der vertraglich vereinbarten Subsidiaritätsklausel vor. Die Klägerin habe gegenüber dem Bund nur Anspruch auf jenen Teil des Verdienstentgangs, der nicht durch Versicherungsentschädigung gedeckt sei.

[12] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klage sei unschlüssig, weil die Klägerin den behaupteten Schaden nicht nach der tatsächlichen Entwicklung aufgrund der allgemeinen Marktlage ohne das schädigende Ereignis berechne. Wegen der Pandemie hätten Touristen Tirol fluchtartig verlassen und es seien keine weiteren eingereist. Bei dieser Marktlage wären im Betrieb der Klägerin ohnehin keine Einnahmen erzielbar gewesen. Zweck der Betriebsunterbrechungsversicherung sei, den Versicherungsnehmer im Schadensfall so zu stellen, als wäre kein Schaden eingetreten. Damit sei nicht vereinbar, dass der Versicherungsnehmer eine Leistung erhalte, wenn der Schaden auch ohne die Betriebsschließung eingetreten wäre. Dies sei nicht gröblich benachteiligend, sondern gesetzlich zwingend. Selbst wenn die gesetzliche der vertraglichen Subsidiaritätsklausel vorginge, käme es zur Legalzession nach § 67 VersVG.

[13] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei keine individuelle Betriebsschließung im Sinne des ersten Falls des Art 3.4. der Besonderen Bedingung, sondern vielmehr der dritte Fall gegeben gewesen, weil ein Teil der Mitarbeiter abgesondert worden und die übrigen abgereist seien. Ein Weiterbetrieb sei daher nicht mehr möglich gewesen. Es bestünde daher grundsätzlich ein Anspruch gegen die Beklagte. Allerdings wären auch ohne die Tätigkeitsverbote keine Einnahmen erzielbar gewesen, sodass kein Anspruch bestehe.

[14] Das Berufungsgericht änderte mit Teilurteil die erstinstanzliche Entscheidung dahingehend ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von 39.846,91 EUR sA verpflichtete und das Mehrbegehren in Höhe von 8.842,71 EUR sA abwies. Im Umfang eines Teilbegehrens von 6.955,66 EUR sA hob es die Entscheidung des Erstgerichts zur Verfahrensergänzung auf. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass durch die bescheidmäßige Absonderung der Mitarbeiter der Klägerin (und ihr selbst) der dritte Fall des Art 3.4 der Besonderen Bedingung erfüllt sei. Die darin aufgezählten Seuchen könnten sich einerseits auf den versicherten Betrieb beziehen, regional begrenzt oder – wie im vorliegenden Fall – großflächig auftreten. Dass es der Klägerin nicht möglich gewesen wäre, Umsatz zu machen, selbst wenn sie und ihre Mitarbeiter nicht abgesondert worden wären, sei allein auf die Seuche, COVID‑19, und damit das versicherte Ereignis selbst zurückzuführen. Art Teil B.11.1.2 der AVB zähle eine Reihe von Umständen auf, die bei der Schadensermittlung zu berücksichtigen seien. Sie alle würden Ereignisse betreffen, welche unabhängig von der aufgetretenen Schadensursache die Höhe des Deckungsbeitrags auch ohne Betriebsunterbrechung beeinflusst hätten. In diesem Sinn sei die Aufzählung der Marktlage oder von Konjunkturkrisen zu sehen. Auch hier seien nur Auswirkungen zu berücksichtigen, welche nicht ihre Ursache im versicherten Risiko hätten. Die Berufung auf eine Versicherungsbedingung, die es ermögliche, die Ursache für das versicherte Risiko heranzuziehen, um die Ansprüche des Versicherungsnehmers wiederum zu mindern oder auszuschließen, verstoße gegen Treu und Glauben. Eine gegenteilige Auslegung wäre außerdem als gröblich benachteiligend anzusehen. Die Vergütung von 8.842,71 EUR die die Klägerin für die Absonderung der Dienstnehmer erhalten habe, sei allerdings von der Versicherungsleistung in Abzug zu bringen. Der Zustand der Absonderung der Mehrzahl der Mitarbeiter im Betrieb der Klägerin sei nur bis zum 27. 3. 2020 gegeben gewesen. Ab dem 28. 3. 2020 seien nur noch die Klägerin und der Küchenchef abgesondert gewesen. Für diese beiden Tage stelle sich die Frage, ob es deswegen tatsächlich notwendig gewesen wäre, den Betrieb zur Gänze zu schließen bzw geschlossen zu halten. Diese Frage könne aus dem vom Erstgericht erarbeiteten Sachverhalt nicht abschließend beurteilt werden, sodass in diesem Umfang mit einer Aufhebung des Urteils und einer Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht vorzugehen sei.

[15] Das Berufungsgericht sprach aus, dass (nur) die ordentliche Revision zulässig sei, weil es noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung der Versicherungsbedingung zur Berücksichtigung der Marktlage gebe und die gleiche Problemstellung in vergleichbaren Fällen zu erwarten sei.

[16] Gegen den klagsstattgebenden Teil des Teilurteils wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, es im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Gegen den klagsabweisenden Teil des Teilurteils wendet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, es im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[18] Die Streitteile begehren jeweils, die Revision des Gegners zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revisionen sind zulässig, die Revision der Klägerin ist nicht, jene der Beklagten ist auch berechtigt.

1. Zur Revision der Beklagten:

[20] 1.1 Bei der Betriebsunterbrechungsversicherung handelt es sich um eine Sachversicherung, bei der der Betrieb, nicht die Person des Betriebsinhabers versichert ist (RS0080975). Versicherungsobjekt ist der Betrieb, wie er vom Versicherungsnehmer üblicherweise geführt wird. Objekt der Betriebsunterbrechungsversicherung ist nicht nur der „technische“ Betrieb, sondern das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit (7 Ob 9/22g). Der Tatbestand der Betriebsunterbrechung ist erfüllt, wenn der Betrieb infolge eines versicherten Personen‑ oder Sachschadens oder eines sonstigen Verhinderungsgrundes in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist (RS0080975 [T7]; 7 Ob 9/22g mwN).

[21] 2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach der Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 ff ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die diesbezüglichen Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[22] 3. Art 3.4. der Besonderen Bedingung nennt drei Fälle, bei deren Vorliegen Versicherungsschutz besteht. Auch für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer ergibt sich bereits aus der Formulierung der Bedingung eindeutig, dass nicht das allgemeine Risiko des Auftretens einer Seuche schlechthin und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen (behördlichen) Maßnahmen und damit auch nicht eine daraus resultierende Veränderung der wirtschaftlichen Lage samt eines allenfalls damit verbundenen Ertragsrückgangs, sondern ausschließlich die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des versicherten Betriebs aufgrund eines dort konkret genannten Verhinderungsgrundes infolge einer dieser Bestimmung zu unterstellenden Seuche versichert wird.

[23] 4.1 Im Revisionsverfahren wird nicht mehr angezweifelt, dass der Versicherungsfall nach Art 3.4. dritter Fall der Besonderen Bedingung aufgrund der Unterbrechung des Betriebs wegen der Absonderung der Klägerin und der Mehrzahl ihrer Mitarbeiter im Zeitraum 14. 3. bis 27. 3. 2020 eingetreten ist. Strittig ist jedoch weiterhin, ob diese Betriebsunterbrechung zu einem Unterbrechungsschaden führte.

[24] 4.2.1 Aus Art Teil B.11.1.1 AVB folgt eindeutig, dass nur der tatsächlich durch die Betriebsunterbrechung verursachte Unterbrechungsschaden ersetzt wird; Art Teil B.11.1.2 AVB führt die bei der Ermittlung des Deckungsbeitrags zu berücksichtigenden Umstände an. Die Beklagte hat damit die Betriebsunterbrechungsversicherung als Schadensversicherung konzipiert (§ 1 VersVG). Sie hat es nach den Versicherungsbedingungen übernommen, den beim Versicherungsnehmer (tatsächlich) durch die versicherte Unterbrechung eingetretenen Schaden nach Maßgabe des Vertrags zu decken.

[25] Daraus folgt, dass bei der Berechnung des Unterbrechungsschadens (Ertragsausfall) der hypothetische Kausalverlauf ohne (gedeckten) Unterbrechungsgrund heranzuziehen ist. Dabei kann etwa zu berücksichtigen sein, dass der Ertrag aufgrund wirtschaftlich schlechter Lage auch ohne Betriebsunterbrechung zurückgegangen wäre. Dem Versicherungsnehmer wird nicht ein gewisser Ertrag garantiert, sondern nur ersetzt, was ihm ohne Unterbrechung nicht entgangen wäre. Abzudecken ist jener Schaden, der dem Versicherungsnehmer durch die Unterbrechung entstanden ist (vgl Figl/Perner in Resch, Corona‑HB1.06 Kap 20 [Stand 1. 7. 2021, rdb.at], Rz 13).

[26] 4.2.2 Die Beklagte versichert – soweit hier von Interesse – für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer den Schaden, der durch eine Betriebsunterbrechung verursacht wird, die daraus resultiert, dass den in diesem Betrieb beschäftigten Personen wegen einer Erkrankung an einer Seuche, entsprechendem Krankheits‑ oder Ansteckungsverdacht oder als Ausscheider/Ausscheidungsverdächtiger von bestimmten Erregern die Tätigkeit untersagt wird. Wie ausgeführt, wird der Betrieb nicht schlechthin gegen das Auftreten einer Seuche versichert. Stellen die durch den Ausbruch einer Seuche bewirkten Folgen (Veränderung der wirtschaftlichen Lage samt eines allenfalls damit verbundenen Ertragsrückgangs) das versicherte Risiko aber nicht dar, dann muss dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer auch klar sein, dass die – unabhängig von der Betriebsunterbrechung – durch das allgemeine Risiko des Auftretens der Seuche veränderte Marktsituation bei Beurteilung der Schadenshöhe zu berücksichtigen ist (vgl Perner, COVID‑19: Deckung in der BUFT? VersRdSch 2020, 26).

[27] 4.3.1 § 879 Abs 3 ABGB geht von einem sehr engen Begriff der Hauptleistung aus. Für Versicherungsverträge gibt es einen Kernbereich der Leistungsbeschreibung, der kontrollfrei ist. Kontrollfrei in Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist jedenfalls die Festlegung der Versicherungsart und die Prämienhöhe. Im Übrigen ist die Leistungsbeschreibung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen aber der Inhaltskontrolle zugänglich, ohne dass es darauf ankäme, ob es sich um die Stufe der primären Umschreibung der versicherten Gefahr oder um Risikoausschlüsse handelt. Kontrollmaßstab für die Leistungsbeschreibung außerhalb des Kernbereichs sind die berechtigten Deckungserwartungen des Versicherungsnehmers (RS0128209).

[28] Davon ausgehend unterliegt Art Teil B.11.1.1 und 11.1.2 AVB der Inhaltskontrolle.

[29] 4.3.2 Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Diese Beurteilung orientiert sich am dispositiven Recht, das als Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs für den Durchschnittsfall dient (RS0014676). Bei der Abweichung einer Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften liegt gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners schon dann vor, wenn sie unangemessen ist (RS0016914, vgl auch RS0014676). Maßgeblich ist, ob es für die Abweichung eine sachliche Rechtfertigung gibt (RS0016914 [T2, T3], RS0014676 [T21]).

[30] 4.3.3 Die inkriminierte Klausel ist nicht gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB. Wie in der Schadensversicherung gerade üblich, wird in der vorliegenden Betriebsunterbrechungsversicherung der dem Versicherungsnehmer durch die konkrete versicherte Betriebsunterbrechung entstandene Unterbrechungsschaden ersetzt. Das heißt, gedeckt ist nur der Entgang jenes Ertrags, der dem Versicherungsnehmer ohne Unterbrechung entgangen wäre. Die Klausel enthält damit keine Einschränkung gegenüber dem Standard, den der Versicherungsnehmer von einer Versicherung dieser Art erwarten kann.

[31] 4.4 In der Berufung auf diese nicht zu beanstandende Klausel kann daher auch kein Verstoß der Beklagten gegen den im besonderen Maß das Versicherungsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben (RS0018055) erblickt werden.

[32] 5. Da nach den Feststellungen die Klägerin keinen Umsatz hätte erzielen können, selbst wenn keine versicherte Betriebsunterbrechung nach Art 3.4. der Besonderen Bedingung vorgelegen wäre, ist im Umfang des von der Beklagten bekämpften Teilurteils mit einer Klagsabweisung vorzugehen.

[33] 6. Der Teilaufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ist nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO unanfechtbar. Der Oberste Gerichtshof kann zwar mit einer abändernden Entscheidung über ein Teilurteil des Berufungsgerichts ausnahmsweise auch den für die Parteien unanfechtbaren Teilaufhebungsbeschluss beheben (RS0040804). Dieser Rechtssatz ist aber hier nicht anwendbar:

[34] Ein amtswegiger Eingriff in den unanfechtbaren Beschluss des Berufungsgerichts kommt nach Lehre und Rechtsprechung (8 Ob 87/14y mwN) nur dann in Frage, wenn aufgrund der Revisionsentscheidung überhaupt keine weitere Behandlung des von der Aufhebung umfassten Klagebegehrens mehr stattzufinden hat. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein Teilurteil im Revisionsverfahren im klagsabweisenden Sinn abgeändert wurde und der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts nur die Klärung einer Gegenforderung betraf, oder wenn im Revisionsverfahren über eine Stufenklage eine abweisende Entscheidung über das Manifestationsbegehren die Prüfung des Leistungsanspruchs im fortgesetzten Verfahren obsolet macht, unter Umständen auch, wenn die unanfechtbare Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund eines besonderen untrennbaren verfahrensrechtlichen Zusammenhangs keinen Bestand haben kann (vgl 8 Ob 87/14y).

[35] Der Rechtssatz ist aber nicht schlechthin auf jede Revisionsentscheidung über ein zweitinstanzliches Teilurteil anwendbar in der der Oberste Gerichtshof von jener Rechtsansicht des Berufungsgerichts abweicht, die auch den (Teil‑)Aufhebungsbeschluss trägt. Wurde das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung über einen Teil des Hauptklagebegehrens aufgehoben, dann wird dieser betroffene Teil nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens über das Teilurteil und der Oberste Gerichtshof darf darüber nicht entscheiden. Das Erstgericht ist jedoch im fortgesetzten Verfahren nicht an die vom Obersten Gerichtshof nachgeprüfte, nicht gebilligte Rechtsansicht des Berufungsgerichts, sondern an die des Höchstgerichts gebunden (8 Ob 87/14y).

[36] 7. Die Klägerin wird mit ihrer Revision und der darin als erheblich erachteten Frage, ob die von ihr für die Absonderung der Mitarbeiter erhaltene Vergütung von der Versicherungsleistung abzuziehen ist, auf die Behandlung der Revision der Beklagten verwiesen.

[37] 8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf die §§ 41, 50 ZPO (RS0035972).

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