OGH 8Ob33/23w

OGH8Ob33/23w24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers vj R* M*, vertreten durch die Claus & Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft KG in Mistelbach, gegen den Antragsgegner H* S*, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 31. Oktober 2022, GZ 45 R 434/22i‑20, womit die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 27. Mai 2022, GZ 2 FAM 22/21s‑12, zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00033.23W.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird, soweit mit ihm der Rekurs des Antragstellers zurückgewiesen wurde, aufgehoben und dem Rekursgericht die Entscheidung über diesen Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Aufgrund eines von den Verfahrensparteien vor dem Bezirksgericht Laa an der Thaya am 15. Juli 2010 geschlossenen Vergleichs ist der Antragsgegner seit 1. 4. 2010 verpflichtet, seinem Sohn, dem Antragsteller, bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 345 EUR zu leisten.

[2] Der Antragsteller stellte am 7. 4. 2021 – anwaltlich unvertreten – den „Antrag auf rückwirkende Berechnung der monatlichen Unterhaltszahlungen ab 1. 1. 2018“. Damit strebte er erkennbar eine Unterhaltserhöhung an (Unterhaltserhöhungsantrag). Eine Bezifferung dessen war dem Antrag oder dem dazu in erster Instanz erstatteten Vorbringen aber nicht zu entnehmen.

[3] Der Antragsgegner trat dem Antrag entgegen.

[4] Das Erstgericht beschloss nach Einholung verschiedener Unterlagen, die Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners für den Zeitraum von 1. 1. 2021 bis 30. 6. 2021 auf monatlich 375 EUR und für den Zeitraum ab 1. 7. 2021 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Antragstellers, auf monatlich 385 EUR zu erhöhen, und verpflichtet den Antragsgegner, die bis zur Rechtskraft des Beschlusses fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen und künftig fällig werdende Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monats im Vorhinein bei sonstiger Exekution zu entrichten (Punkt 1 des erstgerichtlichen Spruchs). Des Weiteren sprach das Erstgericht (als Spruchpunkt 2) Folgendes aus: „Der Antrag, den Antragsgegner ab 1. 1. 2018 zu einer erhöhten monatlichen Unterhaltsleistung zu verpflichten, wird in seinem nicht stattgegebenen Teil abgewiesen.“

[5] Der Antragsteller erhob gegen diese Entscheidung – nunmehr anwaltlich vertreten – Rekurs mit einem im Wesentlichen auf Verpflichtung des Antragsgegners ab 1. 1. 2021 zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts in Höhe von 555 EUR abzielenden Abänderungsantrag. Ebenso erhob der Antragsgegner einen Rekurs.

[6] Das Rekursgericht wies mit der angefochtenen Entscheidung den Rekurs des Antragsgegners wegen Verspätung und jenen des Antragstellers mangels Beschwer zurück. Letzteres begründete es damit, dass das Begehren des Antragstellers in erster Instanz zu unbestimmt gewesen sei. Das Erstgericht hätte nach § 9 Abs 2 AußStrG einen Verbesserungsauftrag erteilen müssen, dies aber nicht getan und trotz des unbestimmten und daher bei Nichtverbesserung eigentlich nach § 9 Abs 3 AußStrG zurückzuweisenden Unterhaltsantrags die Unterhaltspflicht des Antragsgegners erhöht. Diese Erhöhung beschwere den Antragsteller nicht. Er wende sich im Rekurs, mit dem er erstmals ein bestimmtes Begehren erhebe, allein gegen die Verweigerung einer weiteren Erhöhung seines Unterhalts für den Zeitraum ab Jänner 2021. Worin seine Beschwer durch die nicht näher bezeichnete Abweisung seines erkennbaren Antrags, den Antragsgegner zu einer noch höheren monatlichen Unterhaltsleistung zu verpflichten, liegen könnte, sei mangels eines konkreten Begehrens des Rekurswerbers in erster Instanz nicht ersichtlich. Insgesamt betrachtet mangle es diesem daher an einer Beschwer durch den angefochtenen Beschluss. Über den im Rekurs erstmals erhobenen bestimmten Unterhaltserhöhungsantrag werde das Erstgericht zu entscheiden haben.

[7] Die Zurückweisung des Rekurses des Antragsgegners erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

[8] Gegen die Zurückweisung seines Rekurses richtet sich der – vom Rekursgericht nach § 63 Abs 3 AußStrG nachträglich zugelassene – Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen „hinsichtlich des restlich nicht zugesprochenen Unterhaltsbetrags von 170 EUR monatlich, beginnend mit 1. 1. 2021“ aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Darin vertritt der Antragsteller die Ansicht, sehr wohl beschwert zu sein.

[9] Der Antragsgegner erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die Frage der Beschwer unrichtig gelöst hat, was hier aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifen ist; er ist auch berechtigt:

[11] 1. Jedes Rechtsmittel ist grundsätzlich nur auf die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung gerichtet. Das Rechtsschutzziel eines Rechtsmittels gegen einen Beschluss auf Zurückweisung eines Rechtsmittels kann damit nicht auf Abänderung oder Aufhebung einer anderen Entscheidung gerichtet sein. Ansonsten würde das Rechtsmittelgericht eine Entscheidungskompetenz in Anspruch nehmen, die nach funktionellen Kriterien einer Vorinstanz zukommt (8 Ob 56/19x [Pkt II.1] mwN).

[12] Es ist demnach hier allein die angefochtene, auf Zurückweisung des gegen die erstgerichtliche Entscheidung eingebrachten Rekurses des Antragstellers mangels Beschwer lautende Entscheidung des Rekursgerichts auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Allein diese Entscheidung ist – weil, wie noch zu zeigen sein wird, der Antragsteller durch den erstgerichtlichen Beschluss beschwert ist – vom Obersten Gerichtshof aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufzutragen. Diese Aufhebung samt Zurückverweisung an die zweite Instanz ist vom auf Aufhebung beider Entscheidungen der Vorinstanzen und Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz lautenden Revisionsrekursantrag mitumfasst.

[13] 2. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer – also ein Anfechtungsinteresse – voraus (siehe nur 9 Ob 108/22f [Rz 9] und A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 [2019] Vor § 461 Rz 17, je mwN). Die Beschwer kann auch in einem prozessualen Nachteil gelegen sein (RIS‑Justiz RS0041758 [T3]). So ist ein Kläger oder Antragsteller auch dann beschwert, wenn ein Begehren, welches er gar nicht gestellt hat, das er aber grundsätzlich stellen könnte, abgewiesen wird, wird ihm doch im Falle der Rechtskraft der Abweisung und der damit einhergehenden Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) die Möglichkeit, dieses Begehren zu stellen, genommen (10 ObS 71/90 mwN; RS0041758 [T5]).

[14] Der Rekurs des Antragstellers richtete sich mit dem darin gestellten Antrag, anstelle des vom Erstgericht zuerkannten Betrags monatlich an Unterhalt insgesamt 555 EUR zuzuerkennen, nicht gegen den den bisherigen Unterhalt in einem bestimmten Ausmaß erhöhenden Spruchpunkt 1, sondern gegen den eine weitere Unterhaltserhöhung verweigernden Spruchpunkt 2 des erstgerichtlichen Beschlusses. Selbst wenn man zu Lasten des Antragstellers aufgrund einer formalistischen Betrachtung annähme, dem Unterhaltserhöhungsantrag sei mit dem erstgerichtlichen Beschluss entsprochen worden, weil es zu einer Unterhaltserhöhung kam (eine solche Betrachtung aber ablehnend Klicka, Bestimmtheit des Begehrens bei Leistungsklagen [1989] 44 [in FN 3]), so ist der Antragsteller durch den erstgerichtlichen Beschluss doch jedenfalls beschwert, weil es ihm im Falle der Rechtskraft von Spruchpunkt 2 aufgrund der Einmaligkeitswirkung rechtskräftiger Entscheidungen nicht mehr möglich wäre, ohne Änderung der Verhältnisse mehr als den ihm vom Erstgericht zuerkannten Betrag an Unterhalt vom Antragsgegner zu fordern.

[15] Es war damit die Zurückweisung des Rekurses durch das Rekursgericht zu beheben und diesem die Entscheidung über den Rekurs des Antragstellers unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

[16] Über die Verfahrenskosten ist nach § 78 Abs 1 AußStrG erst in einem die Sache erledigenden Beschluss zu entscheiden (8 Ob 133/18v).

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