OGH 6Ob70/23x

OGH6Ob70/23x17.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z*, vertreten durch Mag. Michael Rebasso, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*, vertreten durch Hule Bachmayr-Heyda Nordberg Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 1. Februar 2023, GZ 39 R 290/22v‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00070.23X.0517.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile sind Vertragspartner eines 1988 abgeschlossenen Hauptmietvertrags über ein Geschäftslokal. Der Mietvertrag enthält folgende Klausel:

Untervermietung:

Entgegen der vertraglichen Bestimmung Punkt X. des Mietvertrags erklärt die Vermieterin [Rechtsvorgängerin der Klägerin] bereits heute ihre Zustimmung zu einer Untervermietung der Bestandobjekte an Unternehmen, an denen die Mieterin [Rechtsvorgängerin der Beklagten] oder die E* AG/München mehrheitlich beteiligt ist.

[2] Die Vertragsparteien bzw die ihnen damals zurechenbaren Personen besprachen zu den Bestimmungen des Mietvertrags „Punkt X“ und „Sonstige Vereinbarungen – Untervermietung“ über den Vertragstext hinaus nichts Weiteres. Die Mieterin hatte vor, im Mietobjekt einen Einzelhandel mit hochwertigen Textilwaren, Damen- und Herrenoberbekleidung, Wäsche, Schuhe, Accessoires und Kosmetika unter dem Namen „E*“ einzurichten und zu betreiben oder durch ein unter Einfluss der E* AG stehendes Unternehmen betreiben zu lassen. Die vermietende Gesellschaft bzw die ihr damals zurechenbaren Personen legten Wert darauf, dass eine angesehene Marke wie E* in das Haus kommt; gleichgültig war ihnen hingegen, ob die Mieterin oder die E* AG mittelbar oder unmittelbar an einer allfälligen Untermieterin mehrheitlich beteiligt ist.

[3] Die Mieterin schloss im Jahr 2000 einen Untermietvertrag mit einer GmbH, die mittelbar eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der E* AG/München war. Infolge der Insolvenz dieser Gesellschaft im Jahr 2009 wurde deren Beteiligung, die mittelbar auch die Untermieterin erfasst, im selben Jahr an eine neu gegründete Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg veräußert.

[4] Die Untermieterin betreibt im gegenständlichen Mietobjekt durchgehend einen E*-Store.

[5] Die Klägerin kündigte den Mietvertrag mit der Begründung auf, mit der Veräußerung der genannten Beteiligung an die luxemburgische Gesellschaft sei die gegenständliche Untervermietung nicht mehr von der dargestellten Untervermieterlaubnis im Mietvertrag gedeckt, weshalb der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG verwirklicht sei.

[6] Die Vorinstanzen hoben die Aufkündigung als rechtsunwirksam auf.

[7] Die Revision der Klägerin zeigt – im Ergebnis – keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1.1. Das Berufungsgericht hat sich auf Judikatur bezogen, wonach es für das Nichtvorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG unschädlich ist, wenn die Voraussetzungen der Eintrittsberechtigung nach der Weitergabe in weiterer Folge wegfallen (8 Ob 541/91: Scheidung nach Weitergabe der Wohnung an den Ehegatten). Nichts anderes könne gelten, wenn im Zeitpunkt der Weitergabe die Voraussetzungen, unter denen die Vermieterin einer Untervermietung zustimmte, vorlagen, diese aber später wegfielen.

[9] 1.2. Die Anwendung der zitierten Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall ist – wie die Revision insoweit zutreffend aufzeigt – verfehlt, weil es sich dabei um die Auslegung einer Gesetzesnorm nach §§ 6 f ABGB handelt, wohingegen hier eine Vertragsbestimmung auszulegen ist, wofür §§ 914 f ABGB gelten.

[10] 2. Dies ändert aber nichts daran, dass die Vertragsauslegung im Einzelfall – wie hier – nur dann revisibel ist, wenn eine solche Fehlbeurteilung vorliegt, die zur Wahrung der Rechtssicherheit auch eine Korrektur des Ergebnisses erfordert (RS0042769 [T5]). Die Auslegung nach § 914 ABGB führt aber zu keinem anderen Ergebnis.

[11] 2.1. Nach dieser Bestimmung ist bei Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht.

[12] 2.2. Nach den Feststellungen war die übereinstimmende Absicht der Parteien, dass „hochwertige“ Waren unter dem Namen „E*“ verkauft werden (Mieterin) bzw „eine angesehene Marke wie E* in das Haus kommt“ (Vermieterin). Beiden Parteien waren hingegen – vom Wortlaut der Vertragsklausel jedoch insoweit abweichend – die konkrete Person, die das Unternehmen betreiben sollte, und die Beteiligungsverhältnisse an einer allfälligen Untermieterin gleichgültig.

[13] 2.3. Der objektive Erklärungswert verliert seine Bedeutung, wenn sich die Parteien in der Sache einig sind. Es gilt dann ihr übereinstimmender Wille, unabhängig davon, ob die Ausdrucksmittel diesen Willen nach objektiven Kriterien zutreffend wiedergeben („falsa demonstratio non nocet“: RS0014005; vgl auch RS0017839; RS0016236). Die Veräußerung der mittelbaren Beteiligung an der Untermieterin lässt zwar nach dem Wortlaut der Vertragsklausel die weitere Untervermietung an diese Untermieterin unzulässig erscheinen. Angesichts des davon insoweit abweichenden übereinstimmenden Parteiwillens liegt der geltend gemachte Kündigungsgrund jedoch nicht vor, wird doch nach wie vor im Bestandobjekt ein E*-Store betrieben.

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