OGH 8Ob541/91

OGH8Ob541/9127.6.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Angst, Dr. Graf und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Eva R*****, vertreten durch Dr. Michael Swoboda, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** Hans U*****, vertreten durch Dr. Daniel Charim, Rechtsanwalt in Wien, sowie der auf seiten der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenientin Dietlinde S*****, vertreten durch Dr. Julius Jeannee, Dr. Wolfgang Jeannee und Dr. Peter Lösch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 19. Oktober 1990, GZ 41 R 534/90-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 30. März 1990, GZ 5 C 2853/89x-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, a) dem Beklagten die mit S 4.077,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 679,50 Umsatzsteuer) und b) der Nebenintervenientin die mit S 4.077,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 679,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei kündigte dem Beklagten das zwischen den Streitteilen bestehende Mietverhältnis hinsichtlich der Wohnung ***** in der *****straße ***** in ***** aus den Kündigungsgründen des § 30 Abs 2 Z 1, 4 und 6 MRG auf. Dagegen brachte der Beklagte in seinen Einwendungen vor, die Wohnung werde nach der inzwischen erfolgten Scheidung seiner Ehe weiterhin von seiner vormaligen Ehefrau und einem Kind benutzt, zwischen den vormaligen Ehegatten sei ein Aufteilungsverfahren anhängig und es bestehe Einvernehmen darüber, daß die vormalige Ehewohnung der geschiedenen Ehefrau zugewiesen werden sollte; diese habe bereits die Zahlung des Zinses übernommen.

Die geschiedene Ehefrau des Beklagten trat dem Verfahren auf seiner Seite als Nebenintervenient bei.

Das Erstgericht verneinte das Vorliegen sämtlicher geltendgemachten Kündigungsgründe, hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und sprach aus, daß die Revision zulässig sei.

Den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildet nur noch die Frage des Vorliegens des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG. Der diesbezüglichen Beurteilung sind folgende vorinstanzliche Feststellungen zugrundezulegen:

Der Beklagte mietete im Jahre 1980 die gegenständliche, in einem Anfang der 70er-Jahre ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel erbauten Haus gelegene Wohnung und bezog sie gleichzeitig mit seiner damaligen Ehefrau, der nunmehrigen Nebenintervenientin. Im März 1987 verließ er den gemeinsamen ehelichen Haushalt. Die Wohnung wurde in der Folge wie bisher von der Nebenintervenientin, die über keine andere Wohnmöglichkeit verfügt, und deren - vom Beklagten adoptierten - inzwischen verstorbenen Tochter aus erster Ehe genutzt. Die Scheidung der Ehe des Beklagten mit der Nebenintervenientin erfolgte am 29. 11. 1988. Derzeit ist das Verfahren zur Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der Ersparnisse anhängig. Zwischen den vormaligen Ehegatten besteht Einigkeit darüber, daß die Mietrechte an der gegenständlichen Wohnung der Nebenintervenientin übertragen werden sollen. Diese hatte gegenüber dem Beklagten ab 1. 9. 1989 die Verpflichtung zur Zinszahlung übernommen, von dieser Vereinbarung war die klagende Partei nicht informiert worden. Zufolge bestehender Unklarheiten überwies die Nebenintervenientin erst nach der an den Beklagten erfolgten Zustellung der Zinszahlungs- und Räumungsklage und dessen Mitteilung hierüber an die Nebenintervenientin den gesamten Mietzinsrückstand.

Das Erstgericht verneinte das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 MRG mit der Begründung, beim Auszug des Beklagten aus der gemieteten Wohnung seien dort im Sinne des § 14 MRG eintrittsberechtigte nahe Angehörige verblieben, an diesem Eintrittsrecht habe auch der durch die Scheidung sodann nachträglich eingetretene Wegfall des Naheverhältnisses nichts geändert.

Das Berufungsgericht erklärte, das Argument der Berufung der klagenden Partei, im vorliegenden Fall seien im Sinne des § 1 Abs 4 Z 1 MRG nur die Kündigungsschutzbestimmungen der §§ 14, 19 bis 36 und 49 sowie die §§ 45 und 46, nicht jedoch die übrigen Bestimmungen des 1. und 2. Hauptstückes des MRG, insbesondere seines § 12 anzuwenden, erscheine nicht zielführend. Wie das Erstgericht richtig erkannt habe, gehe es im vorliegenden Fall nicht um die Anwendung der §§ 12 oder 46 MRG sondern ausschließlich darum, daß durch die Überlassung an Eintrittsberechtigte der angezogene Kündigungsgrund nicht verwirklicht werden könne. Zutreffend habe das Erstgericht auch erkannt, daß im Zeitpunkt der Weitergabe im vorliegenden Fall ein Eintrittsrecht der Nebenintervenientin bestanden habe, da zu diesem Zeitpunkt die erst Ende 1988 geschiedene Ehe noch aufrecht gewesen sei. Im Falle des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4 MRG sei als maßgebender Zeitpunkt der Zeitpunkt der Weitergabe anzusehen. Auf spätere, damals noch nicht absehbare Änderungen, sei nicht Bedacht zu nehmen. Daß zum Zeitpunkt des Auszuges des Beklagten (März 1987) die später erfolgte Scheidung der Ehe mit der Nebenintervenientin schon absehbar gewesen wäre, stehe hier nicht fest. Das Berufungsgericht teile jedoch darüberhinaus die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der nachträgliche Wegfall der Angehörigeneigenschaft einem zum Zeitpunkt der Weitergabe bestehenden Eintrittsrecht nicht abträglich sein könne.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung wendet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Abänderungs-Antrage, die Aufkündigung für wirksam zu erklären und dem Räumungsbegehren stattzugeben. Die Revisionswerberin meint, das Berufungsgericht gehe offensichtlich davon aus, daß § 30 Abs 2 Z 4 MRG der Ehegattin ein Eintrittsrecht verleihe. Es stehe jedoch außer Zweifel, daß auf Grund der Vorschrift des § 1 Abs 4 Z 1 MRG die Bestimmung des § 12 MRG für derartige Objekte nicht anwendbar sei. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes stehe daher in krassem Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, der der Ehegattin oder auch sonstigen gemäß § 12 MRG eintrittsberechtigten Personen bei Vorliegen eines Objektes nach § 1 Abs 4 Z 1 MRG kein Eintrittsrecht gewähre. Eine derartige Analogie aus der Verweisung des § 30 Abs 2 Z 4 MRG auf § 14 Abs 3 MRG ableiten zu wollen, daß entgegen der klaren Bestimmung des § 1 Abs 4 Z 1 MRG in derartigen Objekten dennoch ein Eintrittsrecht bestehe, verbiete sich schon "aus dem verschiedenen Regelungsinhalt des berechtigten Personenkreises". Grundsätzlich habe zwar die Rechtsprechung auch dem geschiedenen Gatten ein Eintrittsrecht nach § 19 Abs 4 MG zugebilligt, wenn der Grund der Überlassung der Wohnung in der Scheidung der Ehe gelegen sei. Diese Judikatur sei jedoch ausschließlich im vollen Anwendungsbereich des MG bzw. MRG ergangen, sodaß hieraus für den vorliegenden Fall, nämlich den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG, nichts zu gewinnen sei. Ohne jeden Zweifel und vollkommen gesetzeskonform spreche auch § 46 Abs 1 MRG von einem Eintritt in einen bestehenden Hauptmietvertrag über eine Wohnung, wobei sowohl auf die Bestimmungen der §§ 12 Abs 1 und 2 wie 14 MRG verwiesen werde. Folge man der eindeutigen Gesetzessystematik, so sei die Verweisung auf § 12 Abs 1 und 2 des § 46 Abs 1 MRG selbstverständlich insofern wirkungslos, als eine Weitergabe auf Grund des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs 4 Z 1 MRG unter Lebenden ausgeschlossen sei, sondern lediglich von Todes wegen unter den in § 14 MRG genannten Voraussetzungen möglich erscheine. Die Zulässigkeit einer Aufkündigung wegen vertragswidriger Weitergabe des Bestandobjektes müsse schließlich im Hinblick auf § 572 ZPO grundsätzlich nach der Sachlage und dem Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an den Mieter beurteilt werden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Ehe des Beklagten bereits geschieden und er aus der Wohnung ausgezogen gewesen, ein Ehegattenverhältnis habe somit nicht mehr bestanden. Dem nachträglichen Wegfall der Angehörigeneigenschaft komme aber insofern Bedeutung zu, als zum Zeitpunkt der gerichtlichen Aufkündigung ein "Eintrittsrecht" nicht bestanden habe.

Den Revisionsausführungen kann nicht gefolgt werden.

Richtig ist, daß hier gemäß § 1 Abs 4 Z 1 MRG nur die Bestimmungen der §§ 14, 29 bis 36, 45, 46 und 49, nicht jedoch die übrigen Bestimmungen des MRG zur Anwendung kommen. Der in der Revision aufrechterhaltene Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG liegt nach der Gesetzesanordnung dann vor, wenn "der Mieter den Mietgegenstand ... ganz weitergegeben hat und ihn offenbar in naher Zukunft nicht für sich oder die eintrittsberechtigten Personen (§ 14 Abs 3) dringend benötigt."

Rechtliche Beurteilung

Unter "Weitergabe" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist nach der ständigen Rechtsprechung jede entgeltliche oder unentgeltliche Gebrauchsüberlassung zu verstehen, etwa eine bloß prekaristische (vgl Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht19 Rz 32 zu § 30; Würth in Rummel ABGB Rz 24 zu § 30; 5 Ob 598/89 ua). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ist der Zeitpunkt dieser "Weitergabe" des Mietgegenstandes (Würth-Zingher aaO Rz 34 zu § 30;

MietSlg 39.435/49; 5 Ob 598/89). Als eintrittsberechtigte Person ist in § 14 Abs 3 MRG ua der Ehegatte genannt, soferne er schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter in der Wohnung gewohnt hat. Ist diese Voraussetzung sowie jene der Gebrauchsüberlassung an den Ehegatten unter Auszug des bisherigen Mieters (7 Ob 630/86 = MietSlg 38.293) und ein, allenfalls auch erst in naher Zukunft gelegener, dringender Bedarf gegeben, dann ist der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG nicht erfüllt (7 Ob 630/86 = MietSlg 38.293; 5 Ob 598/89). Die Eintrittsvoraussetzungen des § 12 Abs 1 MRG sind für die Beurteilung des Nichtvorliegens des Kündigungsgrundes wegen Überlassung an einen Eintrittsberechtigten ohne Bedeutung (5 Ob 598/89; Würth aaO Rz 24 zu § 30 MRG). Diese Gesetzesstelle regelt die Abtretung der Mietrechte zwischen bestimmten nahen Angehörigen unabhängig vom Erfordernis eines dringenden Bedarfes und der hiedurch gegebenen Schutzbedürftigkeit des Mieters und seiner Angehörigen in kündigungsrechtlicher Hinsicht. Sie steht den in § 30 Abs 2 Z 4 MRG ausdrücklich zugunsten des in § 14 Abs 3 MRG umschriebenen Personenkreises - daß § 14 MRG die auf den Todesfall eines Partners des Mietvertrages bezogenen Regelungen betrifft, ist unerheblich - enthaltenen Kündigungsbeschränkungen daher nicht entgegen.

Im vorliegenden Fall hat die Nebenintervenientin bis zum März 1987 mit dem Beklagten als ihrem damaligen Ehegatten und alleinigen Mieter in der gegenständlichen Wohnung im gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Beklagte ist zu diesem Zeitpunkt aus der Ehewohnung ausgezogen und hat sie seiner Ehefrau zur Benützung überlassen. Nach den Feststellungen besaß die Ehefrau sonst keine Wohnmöglichkeit. Somit waren aber im maßgeblichen Zeitpunkt der Gebrauchsüberlasssung sämtliche in § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG aufgezählten Voraussetzungen für den Ausschluß dieses Kündigungsgrundes gegeben. Der Umstand, daß die Ehe des Beklagten mit der Nebenintervenientin am *****, also lange Zeit später, geschieden wurde, ist ohne Belang, weil auch die Stellung als Eintrittsberechtigter im Sinne des § 14 Abs 3 MRG nach dem Zeitpunkt der Weitergabe des Bestandgegenstandes zu beurteilen ist.

Der Revision war demgemäß ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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