European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00125.22P.0516.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob für ab dem 1. Jänner 1964 Geborene (jüngere Versicherte) Übergangsgeld nach § 306 ASVG schon ab dem Stichtag für die Leistungsfeststellung zusteht.
[2] Mit Bescheid vom 13. Juni 2018 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des 1968 geborenen Klägers, ihm eine Berufsunfähigkeitspension (Stichtag: 1. Mai 2018) zu gewähren, ab. Das anschließende Sozialrechtsverfahren endete mit Vergleich vom 13. Dezember 2021, wonach 1. dauernde Berufsunfähigkeit nicht vorliegt, 2. vorübergehende Berufsunfähigkeit seit 1. August 2018 vorliegt und voraussichtlich zumindest sechs Monate dauert, 3. ein Anspruch auf Maßnahmen beruflicher Rehabilitation in näher genannten Berufsfeldern besteht und 4. ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld nicht besteht.
[3] Mit Bescheid vom 10. November 2020 wies die Beklagte den Antrag des Klägers vom 14. Oktober 2020, ihm ab 1. Mai 2018 Übergangsgeld zu gewähren, ab.
[4] Mit seiner Klage begehrt der KlägerÜbergangsgeld im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Mai 2018. Nach der „alten Rechtslage“ (§ 306 Abs 1 ASVG idF vor dem SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) hätte er ab dem Stichtag zumindest eine befristete Pension bekommen, wohingegen er nach derzeitiger Gesetzeslage erst ab Beginn der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme Anspruch auf Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) habe. Das führe zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Zeitraum ohne Leistungsbezug, der noch vergrößert werde, wenn die Voraussetzungen für den Bezug von Umschulungsgeld erst in einem (wie hier langwierigen) sozialgerichtlichen Verfahren festgestellt werden. Es liege daher eine planwidrige Lücke vor, was sich schon daran zeige, dass die vor dem 1. Jänner 1964 Geborenen (ältere Versicherte) weiterhin Anspruch auf Übergangsgeld ab dem (Leistungs-)Stichtag haben.
[5] Die Beklagtebestritt das Vorliegen einer planwidrigen Lücke.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Gesetzgeber habe mit dem SRÄG 2012 bewusst zwischen älteren und jüngeren Versicherten differenziert und eine allenfalls entstehende Versorgungslücke in Kauf genommen.
[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof zum Anspruch auf Übergangsgeld für jüngere Versicherte zwischen dem Leistungsstichtag und dem Beginn der Ausbildung nach § 198 Abs 2 Z 1 ASVG noch nicht Stellung genommen habe.
[9] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit dem er die Klagestattgebung anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, der Revision nicht Folge zu geben.
[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. In der Revision vertritt der Kläger weiterhin den Standpunkt, dass eine planwidrige Lücke vorliege, die durch analoge Anwendung der für ältere Versicherte geltenden Bestimmungen zu schließen sei.
[13] Damit vermag er nicht zu überzeugen.
2. Zur Analogie
[14] 2.1. Jede Analogie setzt eineplanwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, mit anderen Worten eine nicht gewollte Lücke voraus (RIS‑Justiz RS0106092; RS0098756 [T1] ua). Eine solche ist nur anzunehmen, wenn Wertungen und Zweck der Regelung die Annahme rechtfertigen, der Gesetzgeber hätte einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (RS0008866 [T10, T27]). Das bloß rechtspolitisch Erwünschte kann der ergänzenden Rechtsfindung durch Analogiebildung hingegen nicht als ausreichende Grundlage dienen (RS0103694; RS0008866 [T12]). Ordnet der Gesetzgeber für einen bestimmten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge daher bewusst nicht an, fehlt es an einer Gesetzeslücke und damit auch an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung (RS0008757 [T1]; RS0008866 [T8, T13]; RS0008870 [T3, T4]). Das ist mit Blick auf die Genese des § 306 ASVG hier der Fall.
2.2. Historische Entwicklung des § 306 ASVG
[15] 2.2.1. Das Übergangsgeld wurde mit der 32. ASVG‑Novelle (BGBl 1976/704) per 1. Jänner 1977 eingeführt. Mit Ausnahme der nunmehrigen Einschränkung im letzten Halbsatz, wonach Übergangsgeld nur geleistet wird, „wenn kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 143a) oder Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) besteht“, ist § 306 Abs 1 Satz 1 ASVG seither unverändert. Die Gesetzesmaterialien zur 32. ASVG‑Novelle führen dazu aus, dass ein Anspruch auf Übergangsgeld (lediglich) für die Dauer einer im Rahmen von beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen gewährten beruflichen Ausbildung, aber auch bei Gewährung medizinischer Maßnahmen besteht (ErläutRV 181 BlgNR 14. GP 43).
[16] 2.2.2. Mit dem StrukturanpassungsG 1996 (BGBl 1996/201) wurde der Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ derart gesetzlich verankert, dass zum einen ein Antrag auf eine Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit auch als Antrag auf Leistungen der Rehabilitation gilt (§ 361 Abs 1 letzter Satz ASVG) und zum anderen die Pension aus diesem Versicherungsfall nur anfällt, wenn zumutbare Maßnahmen der Rehabilitation die Wiedereingliederung in das Berufsleben nicht bewirken können (§ 86 Abs 3 Z 2 ASVG; zu alldem ErläutRV 72 BlgNR 20. GP 248 f). Wurde also aufgrund eines Antrags auf Gewährung einer Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension festgestellt, dass Invalidität bzw Berufsunfähigkeit vorliegt, und wurden Maßnahmen der Rehabilitation gewährt, fiel die Pension vorerst nicht an. Übergangsgeld gebührte nach § 306 Abs 1 ASVG allerdings erst für die Dauer der Gewährung von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation oder einer Ausbildung im Rahmen der beruflichen Rehabilitation und damit allenfalls erst nach einer geraumen Zeit.
[17] Erklärtes Ziel des ASRÄG 1997 (BGBl 1997/139) war es, diese Versorgungslücke zu schließen; indem § 306 Abs 1 ASVG folgender dritter Satz angefügt wurde: „Werden in den Fällen des § 361 Abs. 1 letzter Satz medizinische oder berufliche Maßnahmen der Rehabilitation gewährt, so gebührt Übergangsgeld ab dem Zeitpunkt, in dem die Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit mangels dieser Rehabilitationsmaßnahmen angefallen wäre“. Übergangsgeld sollte daher nicht mehr bloß „für die Dauer der Gewährung“ der Rehabilitationsmaßnahmen, sondern nahtlos vom Pensionsantrag bis zum Ende der Rehabilitationsphase gebühren. Die Materialien führen dazu insbesondere aus: „Anknüpfend an diese Problematik [Anm: die erwähnte Versorgungslücke] werden mit dem vorliegenden Novellierungsvorschlag folgende Ziele verfolgt:
[…]
3. Schließung der Versorgungslücke im Falle der Rehabilitation ab Antragstellung auf Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeitspension gemäß § 361 ASVG bis zum tatsächlichen Beginn dieser Maßnahmen; Übergangsgeld gebührt in diesen Fällen ab dem Zeitpunkt, in dem sonst die Pension angefallen wäre.
4. Klarstellung, dass während der gesamten Rehabilitationsphase Übergangsgeld gebührt und die Pension allenfalls erst nach Abschluss der Rehabilitationsmaßnahmen anfällt.“ (ErläutRV 886 BlgNR 20. GP 103 f).
[18] 2.2.3. Mit dem BBG 2011 (BGBl I 2010/111) sowie in der Folge dem SRÄG 2011 (BGBl 2011/122) wurde der dritte Satz des § 306 Abs 1 ASVG mit 1. Jänner 2011 sodann dahin geändert, dass Übergangsgeld im Fall der Gewährung von Pflichtleistungen der Maßnahmen beruflicher Rehabilitation „ab dem Stichtag für die Leistungsfeststellung (§ 223 Abs. 2)“ gebührte (vgl dazu ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 203 sowie 1512 BlgNR 24. GP 11).
[19] 2.2.4. Mit dem SRÄG 2012 (BGBl 2013/3) wurde für jüngere Versicherte die befristete Berufsunfähigkeits- bzw Invaliditätspension abgeschafft und der Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation für dauerhaft invalide Personen beseitigt (§§ 253e, 256 iVm § 669 Abs 5 ASVG). Für vorübergehend invalide jüngere Versicherte wurden das Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) sowie ein Anspruch auf medizinische Rehabilitation (§ 253f ASVG) eingeführt. Bei beruflicher Rehabilitierbarkeit wurden berufliche Maßnahmen der Rehabilitation als Pflichtleistung vom AMS und während dieser Zeit Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) vorgesehen (ausführlich dazu Sonntag, Neue Entwicklungen bei der beruflichen Rehabilitation, ASoK 2017, 402 [406 aE]).
[20] Parallel dazu wurde § 306 Abs 1 ASVG für jüngere Versicherte (vgl § 669 Abs 5 ASVG) dahin geändert, dass Übergangsgeld während der Dauer der Gewährung von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation oder einer Ausbildung nach § 198 Abs 2 Z 1 ASVG nur mehr subsidiär, das heißt dann geleistet wird, wenn kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG) oder Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) besteht. Der dritte Satz des § 306 Abs 1 ASVG, der in der vorangegangenen Fassung den Beginn des Bezugs von Übergangsgeld mit dem Stichtag für die Leistungsfeststellung festsetzte, wurde ersatzlos gestrichen. In den Materialien heißt es dazu: „Das Übergangsgeld nach § 306 ASVG ist nur mehr dann (während einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme oder einer beruflichen Ausbildung) zu leisten, wenn kein Rehabilitations- oder Umschulungsgeld gebührt“ (ErläutRV 2000 BlgNR 24. GP 25).
[21] 2.3. Darauf aufbauend verweist der Kläger mit Blick darauf, dass das Umschulungsgeld frühestens ab der Feststellung des Pensionsversicherungsträgers iSd § 367 Abs 4 Z 1 ASVG gebührt (§ 39b Abs 1 Satz 2 AlVG), zu Recht darauf, dass durch die Änderungen des SRÄG 2012 in diesem Bereich wieder jene Versorgungslücke für jüngere Versicherte besteht, die mit dem ASRÄG 1997 durch Einfügung des § 306 Abs 1 letzter Satz geschlossen wurde (so auch Weiß, Der Pensionswerber im Abgrund zwischen den Rechtslagen, DRdA 2018, 64 [68]).
[22] Ob es sich dabei um eine planwidrige Lücke handelt, wird unterschiedlich beantwortet. Grohs‑Zach (in Poperl/Trauner/Weißenböck, ASVG § 306 ASVG Rz 2) verneint sie ausdrücklich. Dem entspricht im Ergebnis auch die Ansicht von Bergauer (in Mosler/Müller/Pfeil, SV‑Komm § 306 ASVG Rz 2), nach dem sich § 306 Abs 1 ASVG seit dem SRÄG 2012 in letzter Konsequenz auf Fälle einer selbst beantragten Rehabilitation beschränke. Weiß (DRdA 2018, 64 [68]) geht ebenfalls nicht von einer planwidrigen Lücke aus, sondern vermeidet die Konsequenz einer leistungsfreien Zeit durch ein „doppelfunktionales Verständnis“ des Begriffs „Feststellung des Pensionsversicherungsträgers“ in § 39b Abs 1 AlVG. Lediglich Weißensteiner (Muss Übergangsgeld gesondert beantragt werden?, DRdA 2018, 338 [342]) erkennt eine Rechtslücke, die dadurch zu schließen sei, dass bis zum Anfall des Umschulungsgeldes Übergangsgeld geleistet wird.
[23] 2.4. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann hier nicht ausgegangen werden. Der auf ältere Versicherte weiter anwendbare dritte Satz des § 306 Abs 1 ASVG wurde gerade wegen der möglichen Versorgungslücke zwischen dem Leistungsstichtag und dem Beginn der Rehabilitation bzw des Bezugs des Umschulungsgeldes geschaffen. Nun ist es schon grundsätzlich schwer argumentierbar, dass dem Gesetzgeber sein – sogar konkret geäußertes – Motiv für eine bestimmte Regelung bei ihrer Abschaffung nicht bekannt ist und er ein ursprünglich verfolgtes Ziel ohne Grund wieder aufgibt. Auch wenn die Streichung des § 306 Abs 1 dritter Satz ASVG durch das SRÄG 2012 nicht näher begründet wurde, gibt es auch im Anlassfall keine Anhaltspunkte dafür, dass dies bloß versehentlich erfolgte. Wenn der Gesetzgeber die bisherige Regelung nämlich nur für die jüngeren Versicherten aufhebt, er bestimmte Folgen also für eine konkrete Gruppe anordnet, für die andere hingegen nicht, kann ihm nicht unterstellt werden, er habe die damit für die jeweils Betroffenen verbundenen Konsequenzen nicht bedacht. Wie schon das Berufungsgericht zu Recht betont hat, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien im Gegenteil, dass der Bezugszeitraum des nur subsidiär zu erbringenden Übergangsgeldes bewusst wieder an die Dauer der jeweiligen Rehabilitationsmaßnahme angeglichen wurde. Das steht mit dem Umstand in Einklang, dass nach dem SRÄG 2012 ein durchgehender Leistungsbezug nur mehr jenen (älteren) Versicherten zustehen sollte, die weiter einen Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitationsmaßnahmen hatten. Hätte der Gesetzgeber diese Regelung auch für jüngere Versicherte etablieren wollen, dies damals aber übersehen, hätte er dies wohl spätestens bei Wiedereinführung des § 253e ASVG durch das SVÄG 2016 (BGBl I 2017/29) nachgeholt.
[24] 2.5. Wenn der Kläger dem im Ergebnis bloß entgegenhält, eine Versorgungslücke widerspreche dem Wesen einer umfassenden sozialen Absicherung, argumentiert er zwar rechtspolitisch verständlich. Eine Fehlbeurteilung der Vorinstanzen kann er (allein) damit aber nicht aufzeigen (so auch 10 ObS 117/17d SSV‑NF 31/51).
[25] 3. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
[26] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
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