OGH 9Ob6/23g

OGH9Ob6/23g27.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Thunhart in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen E* V*, geboren am *, bisher vertreten durch Christian Weber MM, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. Jänner 2023, GZ 44 R 13/23x‑88, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00006.23G.0427.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht hat für die Betroffene eine Erwachsenenvertreterin gemäß § 271 ABGB bestellt und diese mit den Angelegenheiten der Vertretung der Betroffenen bei der Wahrnehmung deren Rechte aus der geschlossenen Ehe, wie Unterhalt bzw im Falle der Scheidung der Ehe Geschiedenenunterhalt und nachehliche Vermögensteilung sowie Vertretung in dem vom Ehemann gegen die Betroffene geführten Scheidungsverfahren betraut. Bis zur Rechtskraft des Beschlusses wurde die Erwachsenenvertreterin auch zur einstweiligen Erwachsenenvertreterin bestellt.

[2] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen, in dem sie den Beschluss des Erstgerichts aus den Rekursgründen der Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Beweiswürdigung und unrichtigen rechtlichen Beurteilung anfocht, nicht Folge. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zugelassen.

[3] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen, in dem sie eine Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens „wegen Verfahrensmängel“, eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage wird mit einer fehlenden Rechtsprechung zur Frage, ob in der Vornahme einer fachpsychiatrischen Begutachtung durch einen Sachverständigen in zwei Gerichtsverhandlungen (hier im Scheidungsverfahren) ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt, begründet.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen ist nicht zulässig.

[5] 1. Nach ständiger Rechtsprechung können nur die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Mängel auch dann in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint wurden. Eine sonstige vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz kann aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung in § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG aber nicht mehr im Revisionsrekurs releviert werden (RS0121265 [T8, T12]; RS0030748 [T14, T15]). Einen Verfahrensmangel iSd § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG macht die Betroffene mit ihrer Zulassungsbegründung aber nicht geltend.

[6] 2. Ein die „Nichtigkeit“ begründender Verfahrensmangel erster Instanz wegen Verweigerung der Akteneinsicht liegt auch schon deshalb nicht vor, weil – so zutreffend das Rekursgericht – der Antrag auf Akteneinsicht zeitlich nach der erstgerichtlichen Entscheidung gestellt wurde.

[7] 3. Der Rekursgrund des § 57 Z 1 AußStrG entspricht im Wesentlichen § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (RS0121710), weshalb die in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Kriterien zum Vorliegen dieses Nichtigkeitstatbestands heranzuziehen sind (9 Ob 56/22h Rz 11). Ein solcher qualifizierter Begründungsmangel ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RS0007484). Dies ist dann der Fall, wenn konkrete Gründe für die Entscheidung fehlen und nur allgemeine Wendungen gebraucht werden, also eine Scheinbegründung vorliegt (RS0007484 [T7]). Davon kann hier aber in der auf zwei Seiten ausgeführten Beweiswürdigung des Erstgerichts, in der es nachvollziehbar begründet hat, weshalb es dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten und nicht dem von der Betroffenen vorgelegten Privatgutachten gefolgt ist, keine Rede sein.

[8] 4.1. Die in Punkt 1 genannte Beschränkung der Anfechtung der rekursgerichtlichen Entscheidung vor dem Obersten Gerichtshof kann nach der Rechtsprechung auch nicht dadurch umgangen werden, dass die Verneinung des geltend gemachten erstinstanzlichen Verfahrensmangels durch das Rekursgericht als Mangel des Rekursverfahrens geltend gemacht wird (vgl RS0042963 [T58]). Im Übrigen wurde der Rechtsvertreterin der Betroffenen das Verhandlungsprotokoll vom 13. 10. 2022 gleichzeitig mit der erstgerichtlichen Entscheidung zugestellt.

[9] 4.2. Nach § 120a AußStrG ist ein Sachverständigengutachten im Bestellungsverfahren nicht mehr unbedingte Voraussetzung für die Bestellung eines Erwachsenenvertreters, etwa dann, wenn durch andere Gutachten oder Befunde der psychische und gesundheitliche Zustand der betroffenen Person hinreichend geklärt ist (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 67).

[10] Mangels ausreichender Unterlagen erachtete der Richter im vorliegenden Fall die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich, die Betroffene hat jedoch eine Befundaufnahme bei den Sachverständigen wiederholt verweigert. Wäre in dieser Situation lediglich ein Aktengutachten erstellt worden, hätte allein daraus die Mangelhaftigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters nicht abgeleitet werden können (7 Ob 68/19d = SZ 2019/30). Inwiefern es nach den Vorschriften des AußStrG unzulässig gewesen wäre, dass sich die Sachverständige mit der Einsicht in die vorhandenen schriftlichen Unterlagen (Gerichtsprotokolle) nicht begnügen wollte, sondern sich vor Erstellung ihres schriftlichen Gutachtens im Rahmen zweier Gerichtsverhandlungen von der Betroffenen zusätzlich auch einen persönlichen Eindruck verschafft hat, zeigt der Revisionsrekurs nicht auf. Das Recht der Betroffenen auf ein faires Verfahren (Art 6 EMRK) wurde dadurch nicht verletzt.

[11] 5. Auch für das Außerstreitverfahren gilt, dass eine – wie hier – in zweiter Instanz nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge im Revisionsrekurs nicht nachgeholt werden kann (RS0043480 [T12]). Im Übrigen wird darin in unzulässigerweise versucht, mit der Behauptung von Verfahrensmängeln die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu bekämpfen. Der Oberste Gerichtshof ist aber auch im Außerstreitverfahren nur Rechtsinstanz und nicht Tatsacheninstanz (RS0006737).

[12] Mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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