OGH 4Ob238/22m

OGH4Ob238/22m25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der * 1965 geborenen C*, wegen Bestellung eines Rechtsbeistands, über den Revisionsrekurs des Dr. G*, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 2. September 2022, GZ 2 R 160/22m‑24, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leoben vom 3. Juni 2022, GZ 1 P 133/19s‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00238.22M.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird eine neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht bestellte im Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für die Betroffene einen Rechtsanwalt als Rechtsbeistand iSd § 119 AußStrG.

[2] Der Rechtsanwalt rekurrierte gegen seine Bestellung. Er sei neben der Tätigkeit in seiner Kanzlei (mit einer mehr als 50‑stündigen Arbeitswoche) in zwei anwaltlichen Ausschüssen tätig und fungiere bereits für sechs (namentlich genannte) Personen als gerichtlicher Erwachsenenvertreter. Seine Bestellung sei daher unangemessen und im Hinblick auf seine Arbeitsüberlastung auch geschäftsschädigend. Es möge daher eine andere Person zum Rechtsbeistand bestellt werden.

[3] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Der Rekurs sei in sinngemäßer Anwendung des § 275 Z 3 ABGB zwar zulässig, aber nicht berechtigt. Die vom Rechtsanwalt ins Treffen geführte berufliche Belastung möge für die Ablehnung einer weiteren gerichtlichen Erwachsenenvertretung ausreichen, sie genüge jedoch nicht, um ihm eine Tätigkeit als Rechtsbeistand unzumutbar zu machen, da die durchschnittliche Arbeitsbelastung eines Rechtsbeistands nicht mit jener eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters zu vergleichen sei.

[4] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu den Fragen der Parteifähigkeit des Rechtsbeistands im Zusammenhang mit seiner Bestellung und zur Anwendbarkeit des § 275 ABGB auf ihn zu.

[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Rechtsanwalts mit dem Antrag, seine Bestellung zum Rechtsbeistand rückgängig zu machen; in eventu stellte er einen Aufhebungsantrag. Das Rekursgericht irre über den Umfang und den Aufwand der Tätigkeit eines Rechtsbeistands. Neben der Teilnahme an Verhandlungen sei auch die persönliche Kontaktaufnahme, die administrative Verwaltung und Bearbeitung des Akts, aber auch die damit einhergehende zeitliche und psychische Belastung im Rahmen einer derartigen Tätigkeit nicht zu unterschätzen. Meist führe auch die Persönlichkeitsstruktur von Betroffenen in derartigen Verfahren zu erheblichem Konfliktpotential und zu einer arbeitsintensiven Belastung des bestellten Rechtsbeistands.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Rechtsmittellegitimation

[7] 1.1. Gemäß § 119 AußStrG hat das Gericht im Fall der Fortsetzung des Erwachsenenschutzverfahrens nach der Erstanhörung für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen. Hat sie keinen geeigneten gesetzlichen oder selbstgewählten Vertreter, so hat das Gericht für sie mit sofortiger Wirksamkeit einen Vertreter für das Verfahren zu bestellen.

[8] 1.2. Der Rechtsbeistand vertritt die betroffene Person im Erwachsenenschutzverfahren. Er ist insoweit gesetzlicher Vertreter, der in ihrem Namen alle Verfahrenshandlungen vornehmen kann, die auch von der betroffenen Person getätigt werden können (Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 119 Rz 27).

[9] 1.3. Gemäß den Materialien zum 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, § 119 AußStrG (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP  66) soll der Rechtsbeistand nicht eigens als Adressat von Verfahrensrechten angeführt sein, weil er – wie andere Verfahrensvertreter auch – seine Rechte von jenen der betroffenen Partei ableite. Dem Rechtsbeistand stünden nicht von der betroffenen Person losgelöste Verfahrensrechte zur Durchsetzung eigener Interessen zu. Gesondert – und neben der betroffenen Person – angesprochen sei der Rechtsbeistand freilich, wenn er etwa zur mündlichen Verhandlung zu laden sei.

[10] 1.4. Zu 9 Ob 89/18f und 7 Ob 68/19d wies der Oberste Gerichtshof Revisionsrekursbeantwortungen von Rechtsbeiständen als unzulässig zurück, weil sie jeweils im eigenen Namen und in Beantwortung eines Rechtsmittels der betroffenen Person erstattet wurden.

[11] 1.5. Hinsichtlich eines besonderen Rechtsbeistands nach § 131 Abs 1 Z 1 AußStrG judizierte der 2. Senat, dass der (als Rechtsbeistand zu bestellende) Erwachsenenschutzverein Rekurslegitimation im Zusammenhang mit dem Bestellungsbeschluss besitze, weil ihm hinsichtlich seiner eigenen Bestellung eine von der betroffenen Person unabhängige Verfahrensstellung zukomme (2 Ob 172/21i).

[12] 1.6. Im Schrifttum wird die Parteistellung des Rechtsbeistands in dem zu seiner Bestellung führenden Verfahren von Schauer (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 119 Rz 24) mit der Begründung bejaht, dem Rechtsbeistand müssten, soweit er (wie bei seiner Bestellung) in seiner eigenen Rechtssphäre betroffen sei, jene Rechte zukommen, die das Gesetz einer Partei einräume (vgl auch Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Schauer, Erwachsenenschutzrecht Rz 5.41; sowie Bauer/Hengl in Barth/Ganner, Handbuch Erwachsenenschutzrecht3, 844; aA Mondel in Rechberger/ Klicka, AußStrG3 § 119 Rz 9).

[13] 1.7. Der Senat teilt diese Auffassung. Den Entscheidungen 9 Ob 89/18f und 7 Ob 68/19d lagen andere Sachverhalte als der hier zu beurteilende zugrunde, zumal es dort jeweils nicht um die Bestellung des konkreten Rechtsbeistands, sondern um die Frage der Unterstützungsbedürftigkeit der Betroffenen bzw die Erforderlichkeit von Gutachten und Verhandlung zu deren Prüfung ging. Hingegen ist die zum Rechtsbeistand nach § 131 Abs 1 Z 1 AußStrG ergangene Entscheidung 2 Ob 172/21i einschlägig, ging es doch auch dort um die Frage der Bestellung des konkreten Rechtsbeistands. Hier wie dort kommt dem Rechtsbeistand im Zusammenhang mit seiner eigenen Bestellung eine von der betroffenen Person unabhängige Verfahrensstellung zu. Die (in 2 Ob 172/21i bejahte) Parteistellung des Rechtsbeistands steht auch im Einklang mit dem Parteibegriff des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG, wonach jede Person Partei ist, soweit ihre rechtlich geschützte Stellung durch die begehrte oder vom Gericht in Aussicht genommene Entscheidung oder durch eine sonstige gerichtliche Tätigkeit unmittelbar beeinflusst würde.

[14] 1.8. Zusammengefasst ist die Rechtsmittellegitimation des Revisionsrekurswerbers somit zu bejahen.

2. Ablehnungsrecht

[15] 2.1. Nach der Rechtsprechung sind die §§ 273 f ABGB, die die Auswahl des Erwachsenenvertreters regeln, auch auf die Auswahl eines Rechtsbeistands im Verfahren und eines einstweiligen Erwachsenenvertreters anzuwenden (6 Ob 147/21t; vgl auch 2 Ob 185/18x, 7 Ob 9/18a, 7 Ob 184/12b).

[16] 2.2. Diese Ansicht wird auch im Schrifttum einhellig vertreten. So geht Mondel (in Rechberger/Klicka, AußStrG3 § 119 Rz 10) davon aus, dass bei der Auswahl des Rechtsbeistands die §§ 273 ff ABGB in sinngemäßer Anwendung maßgeblich seien. Schauer (in Gitschthaler/ Höllwerth, AußStrG2 § 119 Rz 20) knüpft an die bereits zur alten Rechtslage vertretene Ansicht an, wonach die Person des Rechtsbeistands in sinngemäßer Anwendung des § 274 ABGB zu bestimmen sei. Nach Deixler-Hübner (in Deixler-Hübner/ Schauer, Erwachsenenschutzrecht Rz 5.40) können Rechtsanwälte und Notare die Übernahme der Rechtsbeistandschaft (nur) aus den in § 275 ABGB genannten Gründen ablehnen (vgl auch Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 119 Rz 7a).

[17] Das Rekursgericht hat daher zutreffend die Bestimmung des § 275 Z 3 ABGB auf die hier zu entscheidende Bestellung des Rechtsbeistands (sinngemäß) angewendet.

[18] 2.3. § 275 Z 3 ABGB gestattet es ua einem Rechtsanwalt, die Übernahme einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung abzulehnen, wenn sie ihm unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann, was bei mehr als fünf gerichtlichen Erwachsenenvertretungen vermutet wird.

[19] 2.4. Im konkreten Fall beruft sich der vom Erstgericht ausgewählte Rechtsanwalt ua darauf, dass er bereits sechs Erwachsenenvertretungen abwickle. Das Rekursgericht hält jedoch die durchschnittliche Arbeitsbelastung eines Rechtsbeistands für nicht mit jener eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters vergleichbar und gesteht dem Rechtsanwalt demgemäß kein Ablehnungsrecht zu. Dem ist nicht zu folgen, zumal die genannte Vermutungsregel dafür spricht, dass der konkrete Rechtsanwalt bereits ausreichend mit Erwachsenenschutzangelegenheiten ausgelastet ist. Jede weitere Befassung in diesen Angelegenheiten, und sei es auch „nur“ im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Rechtsbeistands, würde den vorgegebenen Rahmen sprengen; es sei denn, besondere Umstände – die vom Gericht festzustellen wären – könnten die gesetzliche Vermutung entkräften. Im Übrigen kann, einzelfallbedingt, eine Rechtsvertretung einen ähnlichen Aufwand wie eine durchschnittliche Erwachsenenvertretung erfordern (vgl dazu die Rechtsprechung zur alten Rechtslage, die bei der Auswahl des Verfahrenssachwalters dieselben Prüfkriterien anwendete wie bei der Auswahl des Sachwalters: RS0110987 [T2]; 7 Ob 184/12b; 7 Ob 9/18a).

[20] 2.5. Da im derzeitigen Verfahrensstadium nicht geklärt ist, ob (aufgrund des Vorliegens von besonderen Umständen) beim Rechtsmittelwerber die Zumutbarkeitsgrenze hinsichtlich der Belastung mit Erwachsenenschutzangelegenheiten erreicht ist, bedarf es entsprechender Erhebungen durch das Erstgericht, um die Auswahl eines geeigneten gerichtlichen Erwachsenenvertreters vornehmen zu können.

[21] Dem Revisionsrekurs ist somit Folge zu geben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Erhebung der entscheidungsrelevanten Umstände aufzutragen.

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