European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00172.21I.0127.000
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Der 1939 geborene österreichische Betroffene erlitt im Herbst 2016 nach einem Sturz von einer Leiter ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Er lebt seither in deutschen Pflegeheimen.
[2] Erstmals am 12. 4. 2018 (ON 14) wandte sich der Erstrichter an das AG Laufen mit der Anfrage, ob ein Betreuungsverfahren anhängig sei und der Mitteilung, zur Führung des Verfahrens nach Art 7 Abs 1 HESÜ bereit zu sein. Das zuständige deutsche Gericht, mit dem es auch in der Folge – wegen der dort nötigen Unterbringungsmaßnahmen – immer wieder zu aktenkundigen Kontakten kam, stimmte dem zu.
[3] Mit Beschluss vom 29. 9. 2020 wurde ein Rechtsanwalt zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter bestellt, dessen Wirkungskreis auch die Einwilligung in medizinische Behandlungen umfasst.
[4] Am 21. 6. 2021 stellte er beim Erstgericht den Antrag auf Genehmigung seiner Zustimmung zur COVID‑19‑Impfung des Betroffenen. Dieser habe Anfang 2021 eine Corona-Erkrankung durchgemacht und sei nun vom Landratsamt B* zu einer Impfung aufgefordert worden. Entsprechend der Impfempfehlung der ständigen Impfkommission stimme der Erwachsenenvertreter dieser Maßnahme zu. Laut dem Schreiben eines – von der Ehefrau des Betroffenen bevollmächtigten – deutschen Anwalts habe der Betroffene angeblich zu erkennen gegeben, nicht geimpft werden zu wollen. Es bedürfe daher der Genehmigung des Gerichts.
[5] Das Erstgericht bestellte daraufhin gemäß § 131 Abs 1 Z 1 AußStrG den Verein VertretungsNetz‑Erwachsenenvertretung zum besonderen Rechtsbeistand des Betroffenen.
[6] Das von diesem Verein angerufene Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
[7] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vereins mit dem Antrag, das bisherige Verfahren nichtig zu erklären und den Antrag wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen bzw hilfsweise, ihn abzuweisen.
[8] Der Erwachsenenvertreter verzichtete auf die ihm freigestellte Revisionsrekursbeantwortung; der Betroffene äußerte sich ebenfalls nicht.
[9] Der Revisionsrekurs ist mangels einschlägiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Rechtsmittellegitimation:
[10] Gemäß § 131 Abs 1 Z 1 AußStrG hat das Gericht im Verfahren über die Genehmigung der Zustimmung des Vorsorgebevollmächtigten oder Erwachsenenvertreters zu einer medizinischen Behandlung der betroffenen Person, zur Vertretung der betroffenen Person den Erwachsenenschutzverein (§ 1 ErwSchVG), soweit er nicht bereits Erwachsenenvertreter der betroffenen Person ist, zum besonderen Rechtsbeistand im Verfahren zu bestellen.
[11] Der Erwachsenenschutzverein ist somit zusätzlich als Rechtsbeistand neben dem Vertreter hinzuzuziehen. Dahinter steht der Zweck, eine mögliche Interessenkollision zu vermeiden, weil der Vertreter die betroffene Person aufgrund der Meinungsverschiedenheit über die medizinische Behandlung, die überhaupt erst zur gerichtlichen Genehmigungspflicht führt (§ 254 ABGB), nicht unbefangen vertreten kann (Cohen in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 131 Rz 68; Fritz in Schneider/Verweijen AußStrG § 131 Rz 12 mit Verweis auf die Mat ErlRV 1461 BlgNR 25. GP 73).
[12] Aus der Parteistellung des als Rechtsbeistand zu bestellenden Erwachsenenschutzvereins folgt seine Rekurslegitimation gegen den Bestellungsbeschluss, analog zu der in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansicht, dass dem Verfahrenssachwalter eine (im Interesse der betroffenen Person auszuübende) aber von deren Verfahrensstellung unabhängige selbständige Verfahrensstellung und deshalb ein Rekursrecht gegen seine eigene Bestellung zukommt (3 Ob 140/09y; Cohen in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 131 Rz 71 f; vgl auch Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 131 Rz 12).
[13] Die Aufgabe des Erwachsenenschutzvereins nach § 131 AußStrG liegt in der Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Cohen in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 131 Rz 67; Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 131 Rz 12) ab seiner Bestellung.
[14] Er kann jene Umstände, die seiner Ansicht nach für die Nichtanwendbarkeit des § 131 AußStrG im vorliegenden Verfahren sprechen, geltend machen.
2. Keine Nichtigkeit:
[15] 2.1. Nach Art 5 Abs 1 des Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ) sind die Behörden, seien es Gerichte oder Verwaltungsbehörden, des Vertragsstaats, in dem der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen zu treffen. Bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen in einen anderen Vertragsstaat sind nach Abs 2 leg cit die Behörden des Staats des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig.
[16] 2.2. Art 7 Abs 1 HESÜ sieht vor, dass die Behörden eines Vertragsstaats, dem der Erwachsene angehört, zuständig sind, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen zu treffen, wenn sie der Auffassung sind, dass sie besser in der Lage sind, das Wohl des Erwachsenen zu beurteilen, und nachdem sie die nach Art 5 oder Art 6 Abs 2 zuständigen Behörden verständigt haben.
[17] Eine besondere Form der Benachrichtigung schreibt das Abkommen nicht vor, die Haager Konferenz hat aber ein Formblatt entwickelt, dessen Verwendung sie empfiehlt (vgl Lipp in MüKo8 Art 7 HESÜ Rn 6). Weiters bestimmt gemäß Art 28 HESÜ jeder Vertragsstaat eine Zentrale Behörde, welche die ihr durch dieses Übereinkommen übertragenen Aufgaben wahrnimmt, über die die Verständigungen nach dem HESÜ erfolgen können (Traar in Barth/Ganner, Erwachsenenschutzrecht, 971 FN 4465).
[18] Weder dem Übereinkommen noch der Literatur ist daher zu entnehmen, dass Verständigungen ausschließlich auf diesem Weg zulässig wären.
[19] Vielmehr spricht Art 30 HESÜ, wonach die Zentrale Behörde unmittelbar oder mit Hilfe staatlicher Behörden oder sonstiger Stellen alle geeigneten Vorkehrungen trifft, (ua) um „auf jedem Weg die Mitteilungen zwischen den zuständigen Behörden bei Sachverhalten, auf die dieses Übereinkommen anzuwenden ist, zu erleichtern“, dafür, dass auch der direkte Kontakt zwischen den Gerichten bzw Behörden der Vertragsstaaten taugliche Grundlage für die im Abkommen vorgesehenen Benachrichtigungen über die Wahrnehmung der Zuständigkeit sein kann.
[20] 2.3. Das Erstgericht hat bereits 2018 dem deutschen Amtsgericht des Aufenthaltsorts des Betroffenen – unter Anfrage, ob dort ein Verfahren zum Schutz des Betroffenen anhängig sei – mitgeteilt, dass Handlungsbedarf wegen des notwendigen behindertengerechten Ausbaus des Wohnhauses des österreichischen Betroffenen als Voraussetzung für die von ihm gewünschte Heimkehr besteht und gemäß Art 7 Abs 1 des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens seine Bereitschaft zur Durchführung des weiteren Erwachsenenschutzverfahrens erklärt und damit die Übernahme der Zuständigkeit bekannt gegeben. Nachdem feststand, dass der Aufenthalt des Betroffenen im Sprengel des Amtsgerichts ein langfristiger sein würde, hat das Erstgericht, diese Anfrage am 19. 8. 2019 wiederholt (ON 107).
[21] 2.4. Die solcherart übernommene Zuständigkeit durfte es nach Art 7 Abs 2 und 3 HESÜ nur dann nicht ausüben, wenn die nach Art 5, Art 6 Abs 2 oder Art 8 zuständige, hier deutsche, Behörde das Erstgericht unterrichtet hätte, dass sie die durch die Umstände gebotenen Maßnahmen getroffen oder entschieden habe, dass keine Maßnahmen zu treffen seien, oder ein Verfahren anhängig gemacht habe.
[22] Eine derartige Verständigung erfolgte aber nicht, im Gegenteil: Das Amtsgericht erklärte sein Einverständnis mit der Führung des Verfahrens in Österreich (ON 17) und erklärte in der Folge mehrfach, dass bei ihm im Hinblick auf das in Österreich geführte Verfahren kein Betreuungsverfahren anhängig gemacht worden sei (ON 111, ON 242).
[23] 2.5. Nach Art 7 HESÜ ist daher weiterhin von der internationalen Zuständigkeit des Erstgerichts, zumindest parallel zu jener des deutschen Aufenthaltsorts (vgl Lipp in MüKo8 Art 7 HESÜ Rn 10), auszugehen.
[24] Von einer Nichtigkeit des bisherigen Verfahrens kann daher keine Rede sein.
3. Anwendbares Recht:
[25] 3.1. Bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit nach Kapitel II des HESÜ (darunter Art 7 HESÜ) wenden die Behörden der Vertragsstaaten nach Art 13 HESÜ grundsätzlich ihr eigenes Recht an. Wird allerdings eine in einem Vertragsstaat getroffene Maßnahme in einem anderen Vertragsstaat durchgeführt, so bestimmt nach Art 14 HESÜ das Recht dieses anderen Staats die Bedingungen, unter denen sie durchgeführt wird.
[26] Art 14 unterstellt nicht die Durchführung als solche, sondern deren Bedingungen dem Recht des Durchführungsstaats. Damit sind in erster Linie behördliche oder gerichtliche Genehmigungen gemeint, die eine Fürsorgeperson nach dem Recht des Durchführungsstaats für eine bestimmte Fürsorgemaßnahme benötigt. Ihre Notwendigkeit und die Voraussetzungen für ihre Erteilung richten sich daher nach dem Recht des Staats, in dem die Maßnahme durchgeführt werden soll (Lipp in MüKo8 Art 14 HESÜ Rn 6). Daher muss zB ein österreichischer Erwachsenenvertreter beim Verkauf eines deutschen Grundstücks oder der Auflösung einer deutschen Wohnung die dafür nach deutschem Recht erforderlichen Genehmigungen einholen (Lipp in MüKo8 Art 14 HESÜ Rn 7).
[27] Wer dagegen für die Genehmigung zuständig ist, regelt Art 14 HESÜ ebenso wenig, wie es eine Aussage über das dabei anzuwendende Verfahrensrecht trifft. Dies bestimmt sich daher wieder nach den allgemeinen Regeln über die Zuständigkeit (Lipp in MüKo8 Art 14 HESÜ Rn 6), somit hier wiederum Art 7 HESÜ, was die Zuständigkeit betrifft, und Art 13 HESÜ in Betreff des anwendbaren Verfahrensrechts.
4. Ergebnis:
[28] Mag daher für die Frage der gerichtlichen Genehmigung der Einwilligung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters in die vorgesehene medizinische Maßnahme nach den hier gegebenen Umständen nicht § 254 Abs 1 ABGB, sondern § 1906a Abs 2 BGB maßgeblich sein, so sind dennoch die österreichischen Verfahrensbestimmungen und damit im vorliegenden Fall auch § 131 Abs 1 Z 1 AußStrG anzuwenden.
[29] Die Vorinstanzen haben den Rechtsmittelwerber daher zu Recht zum Rechtsbeistand nach § 131 Abs 1 Z 1 AußStrG bestellt, sodass seinem Rechtsmittel der Erfolg zu versagen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)