OGH 10Ob13/23v

OGH10Ob13/23v25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G * GmbH, *, vertreten durch Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, sowie die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Bundesbeschaffung GmbH, 1020 Wien, Lassallestraße 9b, vertreten durch die Olischar Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Wien, wegen 15.535 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 7.460 EUR), gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Februar 2023, GZ 16 R 168/22a‑20, mit welchem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. September 2022, GZ 11 Cg 48/22t‑12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00013.23V.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund der Unzulässigkeit des Rechtswegs aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 695,64 EUR (darin 115,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 833,80 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die von der Nebenintervenientin vertretene Beklagte führte zu GZ 4805.03467 ein Vergabeverfahren zumAnkauf von Hygienepapier durch, das am 16. 7. 2019 europaweit bekannt gemacht wurde. Die Klägerin stellte einen Nachprüfungsantrag beim Bundesverwaltungsgericht, mit dem sie die Nichtigerklärung der Ausschreibungsunterlagen und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung beantragte. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. 8. 2019 die beantragte einstweilige Verfügung erlassen hatte, nahm die Beklagte eine Berichtigung der Ausschreibungsunterlagen vor, durch welche die Klägerin teilweise klaglos gestellt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht wies daraufhin mit Erkenntnis vom 11. 2. 2020 den Antrag auf Nichtigerklärung der Ausschreibungsunterlagen ab, verpflichtete die Beklagte aber mit Beschluss vom 12. 2. 2020 „angesichts der während des anhängigen Verfahrens teilweise erfolgten Klaglosstellung“ zum Ersatz der von der Klägerin im Verfahren entrichteten Pauschalgebühr.

[2] Die Klägerin begehrt unter anderem 7.460 EUR sA an Vertretungskosten im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Diese Kosten seien entstanden, um die diskriminierenden und rechtswidrigen Ausschreibungsbedingungen zu beseitigen. So hätten die ursprünglichen Ausschreibungsunterlagen den Zuschlag noch vom Vorliegen bestimmter Umweltzeichen abhängig gemacht, die Vorlage eines „paper profile“ gefordert sowie unbestimmte Leistungsbeschreibungen und nicht kalkulierbare Bestellmengen enthalten.

[3] Die Beklagte und die Nebenintervenientin bestritten das Vorliegen der behaupteten Vergaberechtsverstöße und wandten die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein.

[4] Das Erstgericht wies die Klage, soweit sie das Vergabeverfahren zu GZ 4805.03467 betrifft, zurück. Eine Schadenersatzklage sei nach § 373 BVergG nur zulässig, wenn die Vergabekontrollbehörde eine Rechtsverletzungfestgestellt hat oder das Vergabeverfahren widerrufen wurde, was im vorliegenden Fall nicht zutreffe.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach über Zulassungsvorstellung nachträglich aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob ein Bieter, der durch eine Berichtigung der Ausschreibungsunterlagen klaglos gestellt wurde, Schadenersatzansprüche einklagen kann.

[6] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass der Rechtsweg für zulässig erklärt werde.

[7] Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

[9] 1. Nach § 327 BVergG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Anträge wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens. Nach § 341 Abs 1 BVergG hat der Antragsteller, der vor dem Bundesverwaltungsgericht zumindest teilweise obsiegt oder während des anhängigen Verfahrens klaglos gestellt wurde, gegenüber dem Auftraggeber Anspruch auf Ersatz der von ihm entrichteten Pauschalgebühren. Hingegen sind die Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung vom Bundesverwaltungsgericht nicht zuzusprechen (VwGH 2005/04/0257; Reisner in Heid/Preslmayr, Vergaberecht4 [2015] Rz 2034).

[10] 2. Wohl aber hat der Bieter gegen den Auftraggeber bei einem hinreichend qualifizierten Vergaberechtsverstoß nach § 369 Abs 1 BVergG Anspruch auf Ersatz der Kosten der Teilnahme am Vergabeverfahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs umfasst dieser Schadenersatzanspruch auch die Vertretungskosten im Zusammenhang mit einem auf Nichtigerklärung einer vergaberechtswidrigen Ausschreibung gerichteten Verfahren (RIS‑Justiz RS0121198; ebenso Reisner in Gölles, BVergG 2018 [Stand 1. 1. 2019, rdb.at] § 341 Rz 17; Keschmann in Heid/Preslmayr, Vergaberecht4 Rz 2369). Der auf Nichtigerklärung einer vergaberechtswidrigen Ausschreibung gerichtete Nachprüfungsantrag soll die ausschreibende Stelle nämlich zu einer gesetzmäßigen (neuen) Ausschreibung verhalten, wodurch dem Bieter erst ermöglicht wird, an einem rechtskonformen Vergabeverfahren teilzunehmen (3 Ob 203/14w).

[11] 3. Nach § 373 Abs 2 BVergG ist eine Schadenersatzklage nur zulässig, wenn die jeweils zuständige Vergabekontrollbehörde zuvor einen hinreichend qualifizierten Vergaberechtsverstoß festgestellt hat. Der feststellende Bescheid der zuständigen Vergabekontrollbehörde ist eine Prozessvoraussetzung der Einklagung des Schadenersatzanspruchs (RS0120993; Casati in Gölles, BVergG 2018 § 373 Rz 2). Der Gesetzgeber wollte dadurch einer übermäßigen Arbeitsbelastung der Gerichte vorbeugen (ErläutRV 69 BlgNR 26. GP  226). Darüber hinaus werden dadurch potentielle Widersprüchlichkeiten vermieden, die sich aus divergierenden Rechtsansichten von Vergabekontrollbehörden und Zivilgerichten ergeben können (Kurz in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 [2019] § 373 Rz 5; Pesendorfer/Rief, Schadenersatz bei rechtmäßigem Widerruf? ZVB 2021, 425 [428]).

[12] 4. Nach § 373 Abs 3 BVergG ist eine Schadenersatzklage jedoch unabhängig von der Feststellung durch die Vergabekontrollbehörde zulässig, wenn das Vergabeverfahren vom Auftraggeber aufgrund eines hinreichend qualifizierten Vergaberechtsverstoßes widerrufen wurde (RS0123776). Ein Antrag auf Feststellung des in einem Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Vergaberechtsverstoßes ist nämlich nach dem Widerruf dieses Vergabeverfahrens nicht mehr möglich (VwGH 2012/04/0133). Es handelt sich bei § 373 Abs 3 BVergG daher um eine Ausnahme vom Grundsatz der zwingenden Durchführung eines Feststellungsverfahrens vor der Vergabekontrollbehörde, die zur Vermeidung der dadurch entstehenden Rechtsschutzlücke erforderlich ist (ErläutRV 1171 BlgNR 22. GP  146; 10 Ob 21/18p; 7 Ob 219/19k).

[13] 5. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte das Vergabeverfahren zwar nicht widerrufen, wohl aber die Ausschreibungsunterlagen während des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekontrollbehörde berichtigt, sodass die Klägerin auch hier keine Möglichkeit mehr hat, eine Feststellung der Vergabekontrollbehörde über einen mit den ursprünglichen Ausschreibungsunterlagen verbundenen Vergaberechtsverstoß zu beantragen. Würde man die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage auch in einem solchen Fall von der vorherigen Feststellung durch die Vergabekontrollbehörde abhängig machen, hätte die Klägerin von vornherein keine Möglichkeit, ihren Schadenersatzanspruch durchzusetzen. Zur Vermeidung der dadurch entstehenden Rechtsschutzlücke ist es deshalb erforderlich, eine Schadenersatzklage auch im Fall einer Berichtigung der Ausschreibungsunterlagen, die durch einen hinreichend qualifizierten Vergaberechtsverstoß verursacht wurde, in Analogie zu § 373 Abs 3 BVergG unabhängig von einer vorherigen Feststellung durch die Vergabekontrollbehörde zuzulassen.

[14] 6. Nach dem für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs maßgeblichen Vorbringen der Klägerin verantwortet die Beklagte einen hinreichend qualifizierten Vergaberechtsverstoß, der erst durch die Berichtigung der Ausschreibungsunterlagen saniert wurde. Soweit die Beklagte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung geltend macht, dass kein hinreichend qualifizierter Vergaberechtsverstoß vorliege und die Klägerin keine echte Chance auf den Zuschlag gehabt habe, ist sie darauf zu verweisen, dass die Berechtigung des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs im fortgesetzten Verfahren zu prüfen sein wird. Dem Revisionsrekurs ist demnach Folge zu geben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

[15] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat im Zwischenstreit über die Unzulässigkeit des Rechtswegs obsiegt (RS0035955). Im Rekurs- und im Revisionsrekursverfahren sind keine Pauschalgebühren angefallen, sodass die Klägerin dafür auch keinen Ersatz beanspruchen kann. Die Vertretungskosten im Revisionsrekursverfahren waren aufgrund einer Bemessungsgrundlage von 7.460 EUR zuzusprechen.

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