European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00030.23G.0418.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Frage, ob es durch Teilung und Übereignung der zuvor im Eigentum des Großvaters der Streitteile stehenden Grundstücke an den Rechtsvorgänger des Klägers einerseits und den Rechtsvorgänger der Beklagten andererseits aufgrund des im Verlassenschaftsverfahren nach dem Großvater abgeschlossenen Erbteilungsübereinkommens zum Entstehen einer Dienstbarkeit des Geh‑ und Fahrtrechts zu Gunsten des nun im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücks 53/8 über die Grundstücke der Beklagten über eine näher bezeichnete Wegtrasse kam.
[2] Das Erstgericht verneinte dies und wies das Klagebegehren auf Feststellung, Einverleibung der Dienstbarkeit und Unterlassung ab.
[3] Das Berufungsgericht bejahte es und gab der Servitutenklage statt. Den Entscheidungsgegenstand bewertete es mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die Revision nicht zu, weil es eine nach den Umständen des Einzelfalls zu beantwortende Auslegungsfrage sei, ob von der grundsätzlichen Regel, dass bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient, der faktische Zustand aufrecht bleiben und die bisherige Eigentümerbefugnis als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll, ausdrücklich oder schlüssig abgegangen wurde.
[4] Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Das Berufungsgericht stellte die Grundsätze der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum Entstehen einer Dienstbarkeit auch ohne entsprechende Vereinbarung durch Auseinanderfallen des Eigentums an bisher einem Eigentümer gehörenden Liegenschaften zutreffend dar. Demnach entsteht bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, auch ohne Verbücherung unmittelbar durch den Übertragungsakt eine Dienstbarkeit (RIS‑Justiz RS0011618; RS0131628; RS0011643 [T2]). Offenkundigkeit ist anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Eigentumsübertragung die Inanspruchnahme der einen Liegenschaft zum Nutzen der anderen durch offenkundige Vorgänge, ersichtliche Anlagen oder Einrichtungen erkennbar ist (RS0011547; RS0011633) oder der Erwerber davon positiv Kenntnis hat (RS0011618 [T10]; 1 Ob 220/20i). Die Vertragsparteien können zwar ausdrücklich oder schlüssig etwas anderes vereinbaren und so das Entstehen einer Grunddienstbarkeit vertraglich ausschließen (RS0011643 [T4]; RS0011618 [T18]). Im Zweifel ist dies aber nicht anzunehmen (RS0011618 [T2]; 1 Ob 220/20i). All dies gilt auch für den Fall der Teilung eines bisher einheitlichen Grundstücks und Übertragung eines (dann herrschenden oder dienenden) Grundstücksteils an einen Dritten (1 Ob 220/20i; 5 Ob 26/22t). Bei einem Erwerbsvorgang, mit dem die Eigentümeridentität aufgehoben wird, ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich im Zweifel anzunehmen, dass ein bestehender Zustand aufrecht bleiben und eine „Eigentümerbefugnis“ zur konkreten weiteren Nutzung eines bestimmten Grundstreifens als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll (8 Ob 65/17t; 9 Ob 43/21w).
2.1. Dass das Berufungsgericht diese Rechtsprechungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall unrichtig angewandt hätte, zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Dass sie nur dann gelten, wenn die Erschließung des relevanten Grundstücks ausschließlich über den begehrten Fahr‑ oder Gehweg möglich ist, ist weder den zu RS0011618 indizierten Entscheidungen noch der Entscheidung 5 Ob 26/22t zu entnehmen. Dortsah der Senat nur keine grobe Fehlbeurteilung der Vorinstanzen, wenn sie aus dem Umstand, dass es dort nur einen einzigen Zufahrtsweg zu einer Liegenschaft gab, auf die Offenkundigkeit dieses Weges schlossen. Dass eine offenkundige Servitut nach Teilung einer Liegenschaft nur dann in Frage käme, wenn es sich beim Weg über die dienende Liegenschaft um die einzige Zufahrtsmöglichkeit handelt, lässt sich daraus nicht ableiten.
[6] 2.2. Der Oberste Gerichtshof nahm vielmehr zu 9 Ob 43/21w in einem vergleichbaren Fall zur Frage der Erforderlichkeit eines Weges im auch hier zu beurteilenden Kontext ausdrücklich Stellung. Er referierte die höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Utilitätserfordernis und führte aus, dass eine Servitut schon dann besteht, wenn sie für das herrschende Grundstück nützlich und bequem ist und dass jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts ausreicht (RS0011582; RS0116757; RS0011701). Die Servitut erlischt daher nur, wenn sie völlig zwecklos wird oder infolge Veränderung der Umstände dem herrschenden Gut keinen Vorteil mehr bringt; bei einer Wegeservitut wäre dies nur dann anzunehmen, wenn die zur Verfügung gestellte Straße nach Lage und Beschaffenheit vollen Ersatz für den dem Berechtigten zur Ausübung seines Geh‑ und Fahrtrechts benützten Servitutsweg bietet. Die Wegedienstbarkeit erlischt daher nicht schon deshalb, weil der Berechtigte seinen Grund über einen anderen Weg erreichen kann (RS0011574; RS0011688 [T3]; RS0011582 [T3]). Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn es nicht um das Erlöschen einer Servitut geht, sondern wenn die (offenkundige) Dienstbarkeit für die Benützung der herrschenden Liegenschaft nach Maßgabe der seit vielen Jahren regelmäßig ausgeübten Nutzung weiterhin nützlich ist. Das Bestehen einer zweiten Zugangsmöglichkeit konnte demnach am Entstehen einer offenkundigen Servitut auch hier nichts ändern.
[7] 2.3. Dass es sich bei der strittigen Wegtrasse, die auf den dem Ersturteil angeschlossenen Lichtbildern eindeutig ersichtlich ist und sowohl vor als auch nach der Teilung und Übertragung der Grundstücke an die Rechtsvorgänger der Streitteile zum Erreichen der Garage auf dem Grundstück 53/8 regelmäßig genutzt wurde, um eine Anlage im Sinn der Rechtsprechung handelt und diese Nutzung den Rechtsvorgängern der Streitteile, die ein gutes familiäres Verhältnis hatten, bekannt war, wird im Revisionsverfahren nicht mehr bezweifelt. Dass die Teilung und Übertragung der zuvor im Alleineigentum des Großvaters der Streitteile stehenden Grundstücke grundsätzlich geeignet war, eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens im Sinn der bereits jahrelang erfolgten Nutzung entstehen zu lassen, ist daher nicht zu beanstanden.
[8] 3.1. Es stand den Vertragsparteien im Verlassenschaftsverfahren nach dem Großvater der Streitteile offen, ausdrücklich oder schlüssig etwas anderes zu vereinbaren. Sie hätten das Entstehen der Dienstbarkeit ungeachtet des Bestehens von Anlagen, die das zurückbehaltene Grundstück als ein dem veräußerten dienendes oder umgekehrt erkennen lassen, durch Vereinbarung ausschließen können, was aber nicht die Regel ist (2 Ob 74/16w; 9 Ob 43/21w). Diese Auslegungsregel kommt dann zur Anwendung, wenn nichts anderes ausdrücklich oder konkludent vereinbart wurde. Ob dies zutrifft, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu beantwortende Auslegungsfrage, deren Bedeutung in der Regel nicht über den Anlassfall hinausgeht, sofern nicht ein geradezu unvertretbares Auslegungsergebnis vorliegt (6 Ob 212/05b; 9 Ob 43/21w; 5 Ob 26/22t). Dies ist hier nicht der Fall.
[9] 3.2. Ein Ausschluss des Entstehens einer offenkundigen Dienstbarkeit lässt sich aus der letztwilligen Verfügung des Großvaters der Streitteile nicht ableiten. Der Schenkungsvertrag zwischen dem Kläger und dem Vaters des Klägers vom 4. 1. 2012 wurde erst Jahre nach dem Erbteilungs‑ und Pflichtteilsübereinkommen aus 1989 abgeschlossen, daraus ist für die Beklagte nichts zu gewinnen. Maßgeblich für die Frage, ob die Rechtsvorgänger der Streitteile im Rahmen des von ihnen abgeschlossenen Erbteilungs‑ und Pflichtteilsübereinkommen das Entstehen einer derartigen offenkundigen Dienstbarkeit ausschließen wollten, ist vielmehr nur dieses Vertragswerk. Wenn das Berufungsgericht mit ausführlicher Begründung daraus nicht den Schluss ziehen konnte, die Rechtsvorgänger der Streitteile hätten das Entstehen der offenkundigen Dienstbarkeit ausschließen wollen, ist dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.
[10] 3.3. Dem Argument, die diesbezügliche Rechtsprechung habe sich erst später herausgebildet, ist zu entgegnen, dass die Grundsätze dieser Judikatur ins 19. Jahrhundert zurückreichen (so Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 481 ABGB Rz 12 unter Hinweis auf GlU 1322) und die erste im RIS abrufbare Entscheidung dazu aus dem Jahr 1961 stammt (vgl 5 Ob 297/61 in RS0011547). Dass sie dem Notar anlässlich der Verlassenschaftsabhandlung Ende der 80iger‑Jahre völlig unbekannt gewesen wäre, ist daher nicht anzunehmen. Abgesehen davon spricht die allgemeine Erfahrung dafür, dass zwei juristische Laien – die in einem guten familiären Einvernehmen stehen – auch nach ihrem natürlichen Rechtsempfinden davon ausgehen, dass eine unstrittig von der gesamten Familie genutzte Wegtrasse zu einer Garage, die Tore überhaupt nur in deren Richtung aufweist, auch nach dem Auseinanderfallen des Eigentumsrechts an den betroffenen Grundstücken weiterhin wie bisher verwendet werden kann. Die im Aktenvermerk des Notars aufscheinende Klausel betreffend „nicht benötigte weitere Erschließungsrechte für das (nunmehr:) Grundstück 53/8“ findet sich im Erbteilungs‑ und Pflichtteilsübereinkommen der Rechtsvorgänger der Streitteile nicht wieder. Die Auffassung des Berufungsgerichts, ein Ausschluss des – auch nach diesem Übereinkommen jahrelang unbeanstandet ausgeübten – Geh- und Fahrtrechts zum Erreichen derGarage auf dem Grundstück 53/8 sei mit dem Erbteilungsübereinkommen nicht beabsichtigt gewesen, ist daher keine grobe Fehlbeurteilung, die ein Eingreifen des Obersten Gerichtshofs im Einzelfall erforderlich machen würde.
[11] 4. Damit ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
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