Spruch:
Bei Übertragung von zwei demselben Eigentümer gehörigen Grundstücken, deren eines offenkundig dem anderen dient, an zwei verschiedene Personen kann der Erwerber des herrschenden Grundstückes die Einverleibung einer dem tatsächlichen Zustand entsprechenden Dienstbarkeit verlangen.
Entscheidung vom 27. September 1961, 5 Ob 297/61.
I. Instanz: Bezirksgericht Horn; II. Instanz: Kreisgericht Krems.
Text
Das Erstgericht stellte im Sinne des Klagebegehrens fest, daß ob der den Beklagten zu je einem Drittel gehörigen Parzelle Nr. 54, Wohnhaus Nr. 45 samt Hof, der Liegenschaft EZ. 75 KG. D. als dienender Liegenschaft eine Dienstbarkeit des Fahrtrechtes zugunsten der dem Kläger gehörigen Parzelle Nr. 53, Wohnhaus Nr. 46 samt Hof, der EZ. 76 KG. D. als herrschender Liegenschaft bestehe; die Beklagten seien daher zur ungeteilten Hand schuldig, in die grundbücherliche Einverleibung dieser Dienstbarkeit zu willigen.
Hiezu stellte es folgendes fest:
Alois S. sen. und Thekla S., die Eltern des Klägers und Großeltern der Beklagten, hätten im Jahre 1898 oder 1899 geheiratet und eine allgemeine Gütergemeinschaft unter Lebenden vereinbart. Hiedurch seien sie je zur Hälfte Eigentümer der von Alois S. sen. eingebrachten Liegenschaft EZ. 76 KG. D. und der von Thekla S. eingebrachten Liegenschaft EZ. 75 desselben Grundbuches geworden. Nach dem Tode ihres Gatten im Jahre 1945 sei Thekla S. Alleineigentümerin beider Liegenschaften geworden. Mit den Übergabsverträgen vom 2. und 4. April 1949 habe sie die Liegenschaft EZ. 76 dem Kläger und die Liegenschaft EZ. 75 seinem Bruder Franz S. übertragen. Nach dessen Tod am 21. Februar 1960 sei die Liegenschaft im Erbweg zu je einem Drittel auf die drei Beklagten übergegangen.
Zur Liegenschaft EZ. 76 gehöre u. a. die Parzelle Nr. 53, Wohnhaus Nr. 46 samt Hof. In diesem Hof habe Alois S. sen. etwa um das Jahr 1900 ein Werkstättengebäude errichtet, in dem er das Spenglergewerbe betrieb. Da er das Gewerbe im Jahr 1910 in ein anderes Haus verlegte, sei dieses Gebäude bis zum Jahr 1918 als Wohnung verwendet worden. Im Jahr 1918 oder 1919 habe Alois S. sen. in dem Gebäude eine Schlosserwerkstätte eingerichtet, das Schlossergewerbe etwa bis 1920 selbst ausgeübt und den Betrieb sodann bis zum Jahr 1928 oder 1929 an einen gewissen Johann Sch. verpachtet. Anschließend habe das Gebäude bis 1937 als Magazin für das Spenglergewerbe gedient. Im Jahr 1937 habe Alois S. sen. in dem Trakt eine Mechanikerwerkstätte eingerichtet, die seither - abgesehen von einer kriegsbedingten Unterbrechung in den Jahren 1941 bis 1947 - vom Kläger betrieben werde.
Bis zum Jahr 1918 oder 1919 sei die Zufahrt zum Werkstättengebäude nur durch die Toreinfahrt des davor befindlichen Hauses Nr. 46 möglich gewesen. Diese sei ungenügend, da der mit Brettern belegte Boden der Toreinfahrt 60 cm tiefer als das Straßenniveau liege und daher nur über eine steil abfallende Zufahrt erreichbar sei. Überdies sei die Toreinfahrt nur 1.87 m breit. Alois S. sen. habe daher in den Jahren 1918 oder 1919 eine andere Zufahrt zu dem Werkstättengebäude geschaffen. Diese führe zwischen den Häusern Nr. 45 und Nr. 43 nach rückwärts und sodann über die beiden voneinander nicht getrennten Höfe der Häuser Nr. 45 und 46. Zur Sicherung dieser Zufahrt seien an den straßenseitigen Ecken der Häuser Nr. 45 und Nr. 43 Randsteine angebracht, deren Abstand 2.10 m betrage. Später verbreitere sich die Zufahrt auf über 4 m. Die rückwärtige Ecke des Hauses Nr. 45, um die sich die Zufahrt nach links krümme, sei auf eine Höhe von 2.10 m und eine Breite von 80 cm abgeschrägt. Diese Zufahrt liege zur Gänze auf der zur EZ. 75 gehörigen Parzelle Nr. 54, die im Eigentum der Beklagten stehe.
Seit dem Jahr 1918 oder 1919 sei sowohl von Alois S. sen. und vom Kläger als auch von deren Kunden das Werkstättengebäude über diese Zufahrt erreicht worden. Nur ausnahmsweise würden einspurige Fahrzeuge durch die Toreinfahrt des Hauses Nr. 46 geschoben. Der Erstbeklagten und dem Zweitbeklagten sei bekannt gewesen, daß sich ihr Vater wiederholt über die Ausübung des Zufahrtrechtes durch den Kläger beklagt habe, ja daß er sogar wiederholt einen Drahtzaun aufgestellt habe, um dies zu verhindern, daß aber der Kläger diesen Zaun immer wieder entfernt habe und weitergefahren sei.
Der Kläger könne zwar ein Fahrtrecht über die EZ. 75 nicht ersessen haben, da er erst seit April 1949 Eigentümer der Liegenschaft EZ. 76 sei. Ein Rechtsvorgänger, dessen Ersitzungszeit er sich anrechnen könne, sei nicht vorhanden, da seine Mutter Eigentümerin beider Liegenschaften gewesen sei und ein Eigentümer eine Dienstbarkeit an seinem eigenen Grundstück nicht ersitzen könne. Daß ihm ein solches Recht vertraglich eingeräumt wurde, habe er selbst nicht behauptet und sei auch nicht hervorgekommen. Es müßten jedoch Ausnahmen vom Eintragungsgrundsatz anerkannt werden, wenn das Festhalten daran der Vernunft, der Treue im Verkehr sowie den im § 1295 Abs. 2 ABGB. enthaltenen Grundsätzen widerspreche. Dies treffe bei der Veräußerung zweier demselben Eigentümer gehöriger Grundstücke an verschiedene Personen zu, wenn das eine Grundstück durch eine vorhandene, offenkundige oder doch ersichtliche Anlage dem anderen Grundstück diene. In einem solchen Fall dürfe der Erwerber des dienenden Grundstückes nicht auf die Beseitigung der Anlage dringen, nur weil die Dienstbarkeit nicht im Grundbuch eingetragen sei; vielmehr müsse dem Erwerber des herrschenden Grundstückes das Recht eingeräumt werden, die grundbücherliche Eintragung der tatsächlichen Verhältnisse zu verlangen. Dies treffe hier zu.
Zufolge der von den Beklagten lediglich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung eingebrachten Berufung hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes mit Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es pflichtete der Rechtsansicht des Erstgerichtes mit folgenden Einschränkungen bei:
Gemäß § 480 ABGB könne eine Dienstbarkeit nur durch Vertrag, letztwillige Verfügung, Richterspruch oder Ersitzung entstehen. Im vorliegenden Fall komme nur eine Entstehung durch stillschweigenden Vertrag in Betracht. Das Erstgericht habe noch nicht alle Feststellungen getroffen, die den Schluß auf einen derartigen Vertragswillen der Parteien rechtfertigten, daß nämlich der Kläger auch nach dem Erwerb seines Alleineigentums am Haus Nr. 46 das Recht der Zufahrt über den Hof des Hauses Nr. 45 ausüben dürfe. Die tatsächliche Ausübung des Fahrtrechtes lasse - anders als die tatsächliche Ausübung des Wasserbezugsrechtes (in den den Entscheidungen GlU. 1322 und ZBl. 1920 Nr. 178 zugrunde liegenden Fällen) - nicht ohne weiteres einen solchen Schluß zu. Auch die Abschrägung der hinteren Ecke des Hauses Nr. 45 rechtfertige einen solchen Schluß nur, wenn sie ausschließlich zur Erleichterung der Zufahrt zum Hof des Hauses Nr. 46 und nicht auch zu dem des Hauses Nr. 45 vorgenommen wurde. Hiezu bedürfe es einer Ergänzung des Lokalaugenscheins. Außerdem habe der Erstrichter zu Unrecht die von den Beklagten darüber angebotenen Beweise nicht zugelassen, daß dem Kläger nach dem Parteiwillen ein Fahrtrecht nicht eingeräumt wurde und daß ein solches, wenn es eingeräumt werden sollte, in den Übergabsverträgen festgehalten worden wäre. Da sich der Anspruch des Klägers nur auf eine konkludente Parteienvereinbarung stütze, müßten die zu deren Widerlegung angebotenen Beweise aufgenommen werden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der Beklagten. Folge und hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Dem von den Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß ergriffenen Rekurs kommt - wenn auch nicht in dem von den Rechtsmittelwerbern vermeinten Sinn - Berechtigung zu.
Die österreichische Rechtsprechung (SZ. IX 137, ZBl. 1920 Nr. 178, GlU. 1322, GlU. 2071, GlU. 14427) und ihr zustimmend die Lehre (Klang 2. Aufl. II 551, Ehrenzweig 2. Aufl. I/2 S. 307) vertreten die Ansicht, daß bei Übertragung zweier demselben Eigentümer gehöriger Grundstücke, von denen eines offenkundig dem anderen dient, an zwei verschiedene Personen der Erwerber des dienenden Grundstückes nicht auf die Beseitigung der betreffenden Anlagen mit der Begründung dringen könne, daß die Dienstbarkeit nicht verbüchert sei. Der durch die Übertragungsakte geschaffene tatsächliche Zustand habe die Natur einer Servitut und berechtige den Erwerber des herrschenden Grundstückes, die Eintragung einer diesem Zustand entsprechenden Dienstbarkeit im Grundbuch zu verlangen.
Es handelt sich somit um eine unmittelbare Entstehung einer Dienstbarkeit durch den Übertragungsakt (Ehrenzweig a. a. O.) und nicht - wie das Berufungsgericht meint - um eine solche durch konkludenten Vertrag. Wohl ist, wie in der Entscheidung SZ. IX 137 dargelegt wurde, in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob anläßlich der Übertragung der dienenden Liegenschaft offenkundige oder doch ersichtliche Anlagen vorhanden waren, die diesen Zweck des Dienens erkennen ließen, es ist jedoch nicht erforderlich, daß der Veräußerer und der Erwerber der Liegenschaft konkludente Handlungen setzten, aus denen sich der Abschluß eines Servitutsbegründungsvertrages ergibt. Nicht notwendig ist auch, daß die vorhandenen Anlagen ausschließlich im Interesse des herrschenden Grundstückes geschaffen wurden. Auch in den bisher entschiedenen Fällen konnten die Kanalisationsanlage, die Dachrinne oder die Stützmauer auch Zwecken des dienenden Grundstückes förderlich sein.
Daß im vorliegenden Fall solche Anlagen vorhanden waren, nämlich die Randsteine an den beiden Häusern Nr. 45 und Nr. 43, die Abschrägung der hinteren Ecke des Hauses Nr. 45, und daß über den Hof des Hauses Nr. 45 gefahren wurde, als diese Liegenschaft im Jahr 1949 von Thekla S. an Franz S. übergeben wurde, ist unangefochten festgestellt. Die vom Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus für notwendig erachtete Prüfung des Parteiwillens ist daher entbehrlich.
Da es der vom Berufungsgericht für notwendig erachteten Verfahrensergänzung nicht bedarf, die Rechtssache vielmehr im Sinne der Bestätigung des Ersturteils spruchreif ist, mußte die angefochtene Entscheidung aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen werden, neuerlich zu entscheiden.
Daß damit faktisch gegen die Rekurswerber entschieden wird, steht dieser Entscheidung nicht entgegen, da der Grundsatz des Verbotes der reformatio in peius im Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluß nicht gilt. Denn durch die Behebung des Aufhebungsbeschlusses wird die Rechtslage der Parteien nicht verschlechtert, da es auch im Interesse der Rekurswerber liegt, daß Klarheit geschaffen und unnötiger Prozeßaufwand vermieden wird (EvBl. 1956 Nr. 155, SZ. XXII 186).
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