European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00046.23T.0418.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Datenschutzrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die gefährdete Partei ist schuldig, der Gegnerin der gefährdeten Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die klagende und gefährdete Partei (im Folgenden kurz: der Gefährdete) ist Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Liechtenstein und Wohnsitz in Österreich. Er nutzt den von der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei (im Folgenden kurz: Gegnerin) betriebenen Dienst „*-Unternehmensprofile“, in dessen Rahmen auch Bewertungen jedes mit einem Nutzernamen (samt Angabe der E-Mail-Adresse) registrierten Nutzers durch 1 bis 5 Sterne samt optionalem Kommentar zugelassen sind.
[2] Über den Gefährdeten wurden sieben Rezensionen abgegeben (Gesamtbewertung: 3,9 Sterne). Er strebt mit der Klage die Löschung von zwei (jeweils) „Ein-Stern-Bewertungen“ an, und zwar jener der vor einem Jahr unter dem Nutzernamen „s*“ mit der abgegebenen Bemerkung „Kritisch: Professionalität“ und jener von „T*“ (nach dem Vorbringen des Gefährdeten handelt es sich dabei um einen Klarnamen) mit dem Text: „Ich kann jedem nur den Rat geben, sich die Person [des Gefährdeten] einmal genauer anzuschauen, bevor man hier ein Mandat erteilt. Einfach einmal nach Herrn [Gefährdeten] googeln“.
[3] Gleichzeitig mit der Klage beantragte der Gefährdete, der Gegnerin die Veröffentlichung dieser beiden Bewertungen mittels einstweiliger Verfügung gestützt auf §§ 16, 20 und 1330 ABGB, Art 17 DSGVO und wegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen (Richtlinien) der Gegnerin zu untersagen.
[4] Die Vorinstanzen wiesen den Sicherungsantrag (auf Basis des von beiden Parteien in allen Instanzen angewendeten österreichischen Sachrechts) ab.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der von der Gegnerin beantwortete Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[6] 1. „Doxing“, ein aus den Wörtern „dox" (für „documents") und „dropping" zusammengesetzter Begriff, bezeichnet nach verbreiteter Auffassung die gezielte Recherche nach personenbezogenen Daten, die sodann ohne Erlaubnis im Internet veröffentlicht werden (Kubiciel/Großmann, Doxing als Testfall für das Datenschutzstrafrecht, NJW 2019, 1050; vgl auch Hoven/Witting, Das Beleidigungsunrecht im digitalen Zeitalter, NJW 2021, 2397 [2398]). Auf die Frage, ob der Gefährdete „doxing“ überhaupt angesprochen hat, wenn er ohne Tatsachensubstrat monierte, dass einer der Bewertenden über ihn „weitere unwahre, ehrverletzende, kreditschädigende und verleumdende Beiträge“ verbreitet habe, die aber nicht Gegenstand des Begehrens (oder Verfahrens) sind, muss nicht weiter eingegangen werden. Ein vom Gericht zweiter Instanz – hier unter Hinweis darauf, dass der Kläger im Sicherungsantrag konkret nur seine Einvernahme angeboten habe, weil mit der Abkürzung „wBv“, bloß weitere (aber nicht konkretisierte) Beweise „vorbehalten“ worden seien – verneinter Verfahrensmangel (hier: „Nicht-in-Augenschein-Nahme“ des Inhalts von bestimmten Websitesin Bezug auf das angebliche, vom Erstgericht nicht als bescheinigt angenommene „doxing“) kann nämlich im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (RS0043405 [T25]; RS0042963 [T49]; zum Provisorialverfahren zuletzt 4 Ob 77/22k). Die Behauptung, das Rekursgericht sei dabei „aktenwidrig“ vorgegangen, beschäftigt sich gar nicht mit dessen Differenzierung zwischen dem Verweis auf das Vorbringen und dem zum Beweisanbot (in Ansehung des in „I. Klage“ und „II. Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung“ unterteilten Schriftsatzes), womit eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens vom Gefährdeten nicht aufgezeigt wird.
[7] 2. Ebenso geht die Kritik des Gefährdeten, er habe die unterbliebene Aufnahme dieser Beweise auch zum Gegenstand eines Feststellungsmangels gemacht, ins Leere. Diesen hat das Rekursgericht ohne Fehlbeurteilung als nicht berechtigt erkannt. Wenn es sein Vorbringen zum Inhalt bestimmter Websites als gegen das Neuerungsverbot verstoßend ansah, liegt darin keine erhebliche Rechtsfrage, waren doch dem mit der Klage verbundenen Sicherungsantrag insoweit keinerlei überprüfbare Tatsachen zu entnehmen. Vielmehr hat er dazu ohne Tatsachensubstrat unüberprüfbare und allgemein gehaltene Rechtsfolgenbehauptungen aufgestellt („unwahre, kreditschädigende und verleumdende Beiträge“).
[8] 3. Der Gefährdete hat sich durch seine Nutzung des von der Gegnerin als Host-Provider betriebenen Dienstes selbst als Unternehmer der Bewertung durch andere gestellt. Weder nahm das Erstgericht „doxing“ als bescheinigt an noch konnte bescheinigt werden, „ob bzw wann“ der Gefährdete die Gegnerin (vor Zustellung der Klage) aufgefordert hatte, die Bewertungen zu löschen.
[9] Die vom Gefährdeten in Kritik gezogenen beiden „Ein-Stern-Bewertungen“ samt ihrem beigefügten Text sind – wie die Vorinstanzen ohne Fehlbeurteilung erkannten – rein subjektive, nicht überprüfbare Werturteile (vgl dazu bloß RS0032688, RS0032262, RS0032280), die nur je nach der persönlichen Überzeugung des Bewertenden falsch oder richtig sein können und damit auch bloß die erkennbar subjektive Meinung des Äußernden wiedergeben. Allenfalls kann Professionalität zwar im Kernbereich Fachkenntnisse widerspiegeln; schon das Rekursgericht hat aber insoweit erläutert, dass dazu schlicht auch das äußere Auftreten, Benehmen, und dergleichen zählen können.
[10] 4. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach geäußert, dass der Schutz der Persönlichkeitsrechte nicht überspannt werden darf, weil dies zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen würde. Es bedarf vielmehr stets einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (vgl RS0008990). Mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch im Wege anonymer Bewertungen hat sich der Fachsenat beim Obersten Gerichtshof bereits eingehend befasst (6 Ob 129/21w jusIT 2022, 73 [Bierbauer] = ZIIR 2022, 154 [Thiele] = Newsletter Menschenrechte NL 2022, 196 = JBl 2022, 453 [Grasl] = ecolex 2022, 280 [Hafner‑Thomic]; 6 Ob 198/21t Newsletter Menschenrechte NL 2022, 486 = jusIT 2022, 238 [Thiele] = JMG 2022, 280 [Streit/Koukal] = MR 2022, 220 [Kezer/Knotzer]).
[11] Eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht anlässlich des von ihm vertretenen Standpunkts, es sei die Meinungsäußerung auch jenen Personen zuzugestehen, die sich bei anderer Gelegenheit als im Wege der Erteilung eines (eigenen) Mandats ein Bild vom Gefährdeten als Dienstleister gemacht haben konnten, kann der Gefährdete nicht aufzeigen, zumal die Bewertenden ihre subjektiven Werturteile hier ohne verbale (und schon für sich beleidigende) Entgleisungen äußerten.
[12] 5. Im Verfahren erster Instanz stützte sich der Gefährdete zu der von ihm behaupteten Rechtswidrigkeit dieser Werturteile als gegen die Nutzungsbedingungen der Gefährdenden verstoßend, weil sie „nicht auf tatsächlichen Erfahrungen basier[t]en“, darauf, dass beide Bewertenden (von denen eine[r] unter Verwendung eines offenkundig nicht dem Klarnamen entsprechenden Nutzernamens auftrat) keine Mandanten von ihm gewesen seien bzw „keine Mandatsverhältnisse mit der Kanzlei des Klägers bestanden“ hätten.
[13] Damit hat sich das Rekursgericht eingehend befasst. Es kam zusammengefasst zum Ergebnis, der Rat, sich den Gefährdeten „genauer anzusehen“, sei nicht rechtswidrig; es sei nach den Bedingungen des in Anspruch genommenen Dienstes nicht gefordert, dass nur Mandanten Bewertungen abgeben dürften; die Bewertungen hätten auch nicht den Eindruck erweckt, der Äußernde sei Mandant des Gefährdeten (gewesen); Bewertungen durch Personen, die nicht Mandanten (gewesen) seien, seien im Sinne des Schutzes der verfassungs- und europarechtlich garantierten Meinungsfreiheit nicht unzulässig, zumal Anwälte durchaus in verschiedenster Form öffentlich aufträten, sodass sich vielerlei Berührungspunkte oder Beobachtungsmöglichkeiten ergeben könnten.
[14] Diese Beurteilung bedarf weder einer Korrektur im Einzelfall noch steht ihr die zu 6 Ob 143/21d ergangene Entscheidung entgegen, betraf diese doch einen anderen Sachverhalt (eine auf unvollständiger Wiedergabe beruhende und daher unrichtige Tatsachenbehauptung). Zudem wurde damals ausdrücklich festgehalten, der Umstand, dass auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, bilde keine erhebliche Rechtsfrage.
[15] 6. Zur Verpflichtung nach § 16 Abs 1 Z 2 ECG hat der Oberste Gerichtshof bereits erläutert, dass ein Host‑Provider – im jeweils nach den konkreten Umständen zu beurteilenden Einzelfall – verpflichtet ist, Beiträge offensichtlich rechtswidrigen Inhalts (6 Ob 178/04a unter Rückgriff auf 1 Ob 36/89; bestätigt in 6 Ob 188/16i und 6 Ob 116/17b), bei denen die Rechtsverletzung nach „konkreter Information“ (vgl dazu 6 Ob 195/19y ecolex 2021, 24 [Zankl] = jusIT 2021, 113 [Thiele] = ecolex 2021, 656 [Hofmarcher]) auch für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig ist (6 Ob 188/14m jusIT 2015/22 [Staudegger] = ZIR 2015, 169 [Thiele] = ecolex 2015/198 [Zemann]; 6 Ob 145/14p; vgl auch RS0114374; 6 Ob 244/16z; 6 Ob 116/17b), zu entfernen.
[16] Die vom Rekursgericht als erheblich iSd § 528 Abs 1 ZPO angesehene Frage, ob ein Host-Provider „nach entsprechender Beanstandung“ zur Überprüfung verpflichtet ist, ob einer online-Bewertung tatsächliche Erfahrungen mit dem Bewerteten zugrunde liegen, läuft in einem ersten Schritt auf die abstrakte Klärung der Frage hinaus, was für den Host‑Provider als ausreichend „konkrete Information“ für die Beurteilung einer Bewertung als offensichtlich rechtswidrig anzusehen wäre. Diese Beurteilung hängt aber maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab (etwa von den jeweiligen Nutzungsbedingungen, von der Präzisierung der Beanstandung und allenfalls auch vom [etwa schon verbal exzessiven] Inhalt der Äußerung).
[17] Die im konkreten Fall dazu vorgenommene Auslegung des Rekursgerichts, es habe der Host-Provider aufgrund des vom Gefährdeten gegenüber der Gegnerin (erst) mit der (mit dem Sicherungsantrag verbundenen) Klage erhobenen Vorwurfs, die beiden Bewertenden seien keine Mandanten von ihm (gewesen), nicht davon ausgehen müssen, die Bewertungen seien (offenkundig) rechtswidrig, entspricht den bereits durch Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorgezeichneten Leitlinien, zumal die Richtlinien der Gegnerin (bloß) verlangen, dass Beiträge einem „tatsächlichen Erlebnis entsprechen“ (bzw auf realen Erlebnissen basieren), nicht aber, wie der Gefährdete unterstellt, dass Bewertungen nur von Mandanten abgegeben werden dürften.
[18] Einer Befassung des Obersten Gerichtshofs mit dem hier zu beurteilenden Einzelfall bedarf es nicht. Daran vermag auch der Hinweis des Revisionsrekurses auf eine Entscheidung des (deutschen) Bundesgerichtshofs (vom 9. 8. 2022, VI ZR 1244/20) nichts zu ändern, in welchem Fall anlässlich der Interessenabwägung der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile der Äußerungen als ins Gewicht fallend beurteilt wurde und dem andere Nutzungsbedingungen zugrunde gelegt waren (es durften Leistungen nur dann bewertet werden, wenn sie auch in Anspruch genommen worden waren, wobei das Berufungsgericht festgestellt hatte, dass der Host-Provider der vom Bundesgerichtshof angenommenen Prüfpflicht nicht nachgekommen war).
[19] 7. Es trifft zwar zu, dass die Gegnerin als Verantwortliche iSdß Art 4 Z 7 DSGVO zu qualifizieren ist (6 Ob 129/21w; 6 Ob 198/21t); dennoch kann der Gefährdete auch mit seinen weiteren Ausführungen keine erhebliche Rechtsfrage zu § 20 ABGB oder den Bestimmungen der DSGVO ansprechen, zumal die Gegnerin mit dem Betrieb ihres – auch vom Kläger genutzten – Dienstes und der damit verbundenen Verarbeitung der personenbezogenen Daten insoweit berechtigte Nutzerinteressen wahrnahm, als sie Nutzern dadurch die von Art 10 EMRK und Art 11 GRC geschützte Abgabe und Verbreitung einer Meinung ermöglichte und anderen die – ebenfalls von Art 11 GRC erfasste – Möglichkeit verschaffte, davon Kenntnis zu nehmen (vgl 6 Ob 198/21t [ErwGr 4.2.] unter Hinweis auf die Rechtfertigung nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO). Anders als der Gefährdete meint (und wie ihm bereits das Rekursgericht erläutert hat), hätte es überdies auch für eine erfolgversprechende Inanspruchnahme eines Host-Providers gestützt auf § 20 ABGB nach dessen Abs 3 Satz 2 einer klaren (vgl RS0129808) Abmahnung bedurft (vgl zu dieser Voraussetzung bei Unterlassungsansprüchen ErläutRV 481 BlgNR 27. GP 8 f).
[20] 8. Die Kostenentscheidung gründet auf § 393 Abs 1 und §§ 402, 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Gegnerin hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
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