OGH 6Ob195/19y

OGH6Ob195/19y15.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr.in E*****, c/o *****, vertreten durch Dr.in Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei F***** Limited, *****, Irland, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 2.500 EUR sA, Unterlassung, Veröffentlichung und Herausgabe (Streitwert im Provisorialverfahren 35.000 EUR), über die Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 26. April 2017, GZ 5 R 5/17t‑23, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 7. Dezember 2016, GZ 11 Cg 65/16w‑17, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00195.19Y.0915.000

 

Spruch:

I. Das mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 25. 10. 2017 (AZ 6 Ob 116/17b) ausgesetzte Verfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs der Beklagten wird nicht Folge gegeben.

Dem Revisionsrekurs der Klägerin wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Klägerin hat ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig, die Beklagte ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Klägerin war Abgeordnete zum Nationalrat, Klubobfrau der ***** im Parlament und Bundessprecherin der *****. Die Beklagte ist eine in Irland registrierte Gesellschaft mit Sitz in Dublin und ein Tochterunternehmen der US-amerikanischen F***** Inc. Sie betreibt unter www.f*****.com ein soziales Netzwerk, das es Benutzern ermöglicht, private Profil-Seiten zu erstellen und Kommentare zu veröffentlichen.

Ein unter der Bezeichnung „Michaela Jaskova“ registrierter privater Nutzer veröffentlichte am 3. 4. 2016 auf seiner F*****-Profil-Seite einen von der Seite „o*****.at“ stammenden Artikel – bestehend aus einem Lichtbild der Klägerin und dem Begleittext „Grüne: Mindestsicherung für Flüchtlinge soll bleiben“ sowie „Gegen blauschwarze Pläne: 'Wir werden alles daran setzen, das auch rechtlich zu bekämpfen'“ – und postete dazu folgenden Kommentar: „miese Volksverräterin. Dieser korrupte Trampel hat in ihrem ganzen Leben noch keinen einzigen Cent mit ehrlicher Arbeit verdient, aber unser Steuergeld diesen eingeschleusten Invasoren in den Allerwertesten blasen. Verbietet doch endlich diese grüne Faschistenpartei.“ Dieser Beitrag konnte von jedem F*****-Nutzer abgerufen werden.

Mit Schreiben vom 7. 7. 2016 forderte die Klägerin die Beklagte auf, das Posting zu löschen und den wahren Namen sowie die Daten des Nutzers „Michaela Jaskova“ bekannt zu geben. Beiden Aufforderungen hat die Beklagte zunächst nicht entsprochen. Erst nach Zustellung der einstweiligen Verfügung des Erstgerichts vom 7. 12. 2016 entfernte die Beklagte das Posting innerhalb der geografischen Grenzen Österreichs.

Die Klägerin beantragte zur Sicherung ihres inhaltsgleichen – auf § 78 UrhG gestützten – Unterlassungsbegehrens die Erlassung der einstweiligen Verfügung, die Beklagte sei schuldig, die Veröffentlichung und/oder die Verbreitung von die Klägerin zeigenden Lichtbildern zu unterlassen, wenn im Begleittext die wörtlichen und/oder sinngleichen Behauptungen, die Klägerin sei eine „miese Volksverräterin“ und/oder ein „korrupter Trampel“ und/oder Mitglied einer „Faschistenpartei“ verbreitet werden. Die Veröffentlichung verletze die Klägerin in ihrem Bildnisschutz gemäß § 78 UrhG; die Beschimpfungen und Herabsetzungen ihrer Person in dem Posting beeinträchtigten ihre berechtigten Interessen, weil sie grob kreditschädigend und ehrenbeleidigend im Sinne des § 1330 Abs 1 und 2 ABGB seien. Der Vorwurf, korrupt zu sein, unterstelle ihr ein strafrechtlich relevantes Verhalten; da er frei erfunden sei, könne er als unwahre Tatsachenbehauptung durch das Recht auf freie Meinungsäußerung keinesfalls gerechtfertigt sein. Die Veröffentlichung ziele ausschließlich darauf ab, die Klägerin in der Öffentlichkeit herabzusetzen, zu verunglimpfen und sogar zu kriminalisieren. Dadurch könne sowohl ihre gegenwärtige als auch ihre zukünftige berufliche, politische und/oder wirtschaftliche Lage negativ betroffen sein. Dies hätte die Beklagte nach einer groben Prüfung problemlos erkennen können; sie wäre deshalb verpflichtet gewesen, den inkriminierten Beitrag zu löschen. Da sie die Löschung nicht veranlasst habe, könne sie sich auch nicht auf das Haftungsprivileg für Host-Provider nach § 16 ECG berufen.

Die Beklagte entgegnete, dass sie nur als Host-Provider im Sinn des E‑Commerce‑Gesetzes tätig geworden sei. Als solcher sei sie nicht verpflichtet, die von den Nutzern gespeicherten, übermittelten oder zugänglich gemachten Informationen zu überwachen oder von sich aus nach Umständen zu forschen, die auf rechtswidrige Tätigkeiten hinweisen. Nach § 16 ECG müsse sie erst dann reagieren, wenn sie Kenntnis von einer rechtswidrigen Tätigkeit oder Information erlange und die Rechtswidrigkeit für einen juristischen Laien erkennbar sei. Dies treffe auf die drei vermeintlich rechtswidrigen Aussagen im inkriminierten Posting („miese Volksverräterin“, „korrupter Trampel“ und „Faschistenpartei“) nicht zu. Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des ausschließlich aus Werturteilen bestehenden Postings sei vorrangig zu berücksichtigen, dass es im Rahmen einer politischen Debatte im Zusammenhang mit dem in Österreich und anderen europäischen Staaten seit Monaten kontrovers diskutierten Thema der Flüchtlingskrise veröffentlicht worden sei. Vor dem Hintergrund des Rechts auf freie Meinungsäußerung hätten die Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik an einer Politikerin im Zusammenhang mit einer politischen Debatte nicht offensichtlich überschritten. Gerade im politischen Meinungsaustausch sei auch eine polemisch übersteigerte, verletzende und sogar schockierende Kritik hinzunehmen. In der tagespolitischen Auseinandersetzung seien verbale Provokationen üblich. Das Begehren der Klägerin, der Beklagten auch die Veröffentlichung und/oder Verbreitung sinngleicher Behauptungen zu untersagen, sei im Übrigen überschießend, würde dies doch auf eine allgemeine ex-ante-Prüfpflicht hinauslaufen, die für Host-Provider gerade nicht bestehe.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung, das Rekursgericht trug der Beklagten auf, es ab sofort bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens über die Unterlassungsklage zu unterlassen, die Klägerin zeigende Lichtbilder zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten, wenn im Begleittext die wörtlichen und/oder der Beklagten von der Klägerin oder von dritter Seite zur Kenntnis gebrachte oder sonst zur Kenntnis gelangte sinngleiche Behauptungen, die Klägerin sei eine „miese Volksverräterin“ und/oder ein „korrupter Trampel“ und/oder Mitglied einer „Faschistenpartei“, verbreitet werden; das Mehrbegehren der Klägerin, der Beklagten auch die Veröffentlichung und/oder Verbreitung von die Klägerin zeigenden Lichtbildern ganz allgemein zu untersagen, wenn im Begleittext sinngleiche Behauptungen, die Klägerin sei eine „miese Volksverräterin“ und/oder ein „korrupter Trampel“ und/oder Mitglied einer „Faschistenpartei“, verbreitet werden, wies das Rekursgericht ab. Das Rekursgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob das Unterlassungsgebot bei einem Host-Provider, der ein soziales Netzwerk mit einer großen Zahl an täglichen Nutzern betreibt, auch auf ihm nicht zur Kenntnis gelangte wörtliche und/oder sinngleiche Äußerungen bzw Bildbegleittexte ausgedehnt werden kann.

In der Sache selbst verwiesen beide Vorinstanzen auf § 78 UrhG und § 1330 ABGB und vertraten die Auffassung, das Hass‑Posting enthalte Äußerungen, die exzessiv ehrkränkend seien und im Übrigen der Klägerin strafrechtlich relevantes Verhalten unterstellten, ohne dass hiefür auch nur der Beweis angetreten worden wäre. Eine Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung sei auch bei Äußerungen gegenüber einem Politiker unzulässig, wenn kein Konnex zu einer politischen bzw im allgemeinen Interesse liegenden Debatte bestehe; bewusst ehrverletzende Äußerungen, bei denen nicht die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, würden nicht geschützt. Da die Beklagte über Aufforderung das Posting nicht unverzüglich gelöscht habe, die Rechtsverletzungen aber auch für einen juristischen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig gewesen wären, hafte die Beklagte als Gehilfin des Nutzers „Michaela Jaskova“. Zum Umfang der Unterlassungsverpflichtung der Beklagten verwies das Rekursgericht auf § 18 Abs 1 ECG und die dazu ergangene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach den beklagten Host-Provider eine weitergehende Kontrollpflicht treffe, wenn dieser bereits einmal seine Kontrollpflicht verletzt habe, indem er nach Bekanntwerden eines Rechtsverstoßes einen Eintrag nicht unverzüglich löschte. Auch der Beklagten sei es unter Einsatz technischer Hilfsmittel wie etwa eines automationsunterstützten Filtersystems möglich, Veröffentlichungen von Bildnissen der Klägerin mit wortidentem Begleittext herauszufiltern und zu löschen. Hinsichtlich sinngleicher Äußerungen würde der Beklagten jedoch beinahe Unmögliches abverlangt, nutzten doch regelmäßig rund 1,1 Millionen Nutzer die F*****-Seiten, wobei eine automationsunterstützte Kontrolle von Einträgen insoweit nicht zu bewerkstelligen sei. Hier sei es vielmehr der Klägerin, die auf derartige sinngleiche Postings regelmäßig von dritter Seite aufmerksam gemacht werde, zumutbar, deren Entfernung von der Beklagten zu verlangen.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionsrekurse sind aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig. Der Revisionsrekurs der Klägerin ist auch berechtigt, jener der Beklagten ist hingegen nicht berechtigt.

1. Der erkennende Senat hat bereits in der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidung 6 Ob 116/17b (jusIT 2018/2 [Thiele] = ecolex 2018/151 [Hofmarcher] = MMR 2018, 145 [Hoeren] = MR 2018, 64 [Klicka, MR 2019, 270]) ausführlich begründet klargestellt, dass die inkriminierten Äußerungen, die klar erkennbar auf die im kommentierten Bildbericht abgebildete Klägerin Bezug nehmen, in Ermangelung eines konkreten Verhaltensvorwurfs mit überprüfbarem Tatsachenkern beleidigende Werturteile im Sinn des § 1330 Abs 1 ABGB darstellen. Die inkriminierten Äußerungen zielten alle darauf ab, die Klägerin in ihrer Ehre zu beleidigen, sie zu beschimpfen und zu diffamieren. Da die Leser aber bei keinem der verwendeten Schimpfwörter erkennen werden, welcher der jeweils möglichen Bedeutungsinhalte konkret gemeint ist, und ihnen das Posting daher keine genaue Vorstellung eines bestimmten gegen die Klägerin gerichteten Verhaltensvorwurfs vermitteln wird, schließe das eine Beurteilung als konkludente Tatsachenbehauptung aus. Die Klägerin begehre deshalb zu Recht die Unterlassung der Veröffentlichung und/oder Verbreitung von die Klägerin zeigenden Lichtbildern im Zusammenhang mit den inkriminierten Äußerungen.

2. Mit der Entscheidung 6 Ob 116/17b legte der erkennende Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art 267 AEUV mehrere Fragen im Zusammenhang mit Art 15 Abs 1 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) vor, die dieser mit Urteil vom 3. 10. 2019 (Rs C‑18/18 [Glawischnig-Piesczek/Facebook Ireland] EU:C:2019:821) wie folgt beantwortete:

Die genannte Richtlinie, insbesondere ihr Art 15 Abs 1, ist dahin auszulegen, dass sie es einem Gericht eines Mitgliedstaats nicht verwehrt, einem Hosting‑Anbieter aufzugeben,

Dass es sich bei der Beklagten, die eine Online-Plattform in Form eines sozialen Netzwerks betreibt, um einen Host-Service-Provider im Sinn des Art 15 Abs 1 der Richtlinie bzw des § 16 ECG ist, unterliegt keinem Zweifel (so auch ausdrücklich 4 Ob 36/20b).

3. In einem – ebenfalls gegen die Beklagte gerichteten – Verfahren des Österreichischen Rundfunks war dessen Provisorialantrag, mit dem ein inhaltsgleiches, auf § 81 UrhG und § 1330 ABGB gestütztes Unterlassungsbegehren gesichert werden sollte, zu beurteilen, wonach der Beklagten bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils verboten werden sollte,

es Dritten, insbesondere den Betreibern der beanstandeten F*****-Seiten zu ermöglichen, das klagsgegenständliche Foto, an dem dem Kläger die ausschließlichen Werknutzungsrechte zustehen, und/oder Bearbeitungen davon ohne Zustimmung des Klägers über die Website „f*****.com“ zur Verfügung zu stellen, insbesondere wenn dies mit dem Bildbegleittext „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF.“ geschieht;

die Behauptung, der Kläger mache Lügen zu Nachrichten, und/oder gleichsinnige Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten.

 

Der Oberste Gerichtshof nahm in diesem Verfahren in der bereits erwähnten Entscheidung 4 Ob 36/20b ausführlich zu den auch im vorliegenden Verfahren erhobenen Einwendungen der Beklagten, die in beiden Verfahren von derselben Rechtsanwaltskanzlei rechtsfreundlich vertreten wird, ausführlich Stellung, wobei er sich maßgeblich auf die Darlegungen des EuGH in dessen Urteil Rs C‑18/18 (Glawischnig‑Piesczek/Facebook Ireland) EU:C:2019:821 stützte. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen vollinhaltlich an:

4.1. Allgemeine Überwachung:

[2.1] Richtig ist, dass die Mitgliedstaaten bzw deren Behörden nach Art 15 Abs 1 der EC‑Richtlinie 2000/31/EG keine Maßnahmen erlassen dürfen, die einen Host-Provider verpflichten, von ihm gespeicherte Informationen allgemein zu überwachen (EuGH C‑70/10 , Scarlet Extended, Rn 35; C‑360/10 , SABAM, Rn 33).

In der Entscheidung zu C‑18/18 , Glawischnig, hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) dazu ausgesprochen, dass Art 15 Abs 1 der EC‑Richtlinie den Mitgliedstaaten zwar verbiete, Host-Providern eine allgemeine Verpflichtung aufzuerlegen, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Wie aus ErwGr 47 der Richtlinie hervorgeht, gilt dies aber nicht für Überwachungspflichten „in spezifischen Fällen“ (Rn 34 und 42). Ein solcher „spezifischer Fall“ kann unter anderem in einer konkreten Information begründet sein, die vom Host-Provider im Auftrag eines bestimmten Nutzers gespeichert wurde, und deren Inhalt von einem zuständigen Gericht analysiert und beurteilt wurde, das diese Information nach Abschluss seiner Würdigung für rechtswidrig erklärt hat (Rn 35).

[2.2] Es ergibt sich somit, dass nach Art 15 Abs 1 der EC‑Richtlinie (§ 18 Abs 1 ECG) für Access-Provider und für Host-Provider keine allgemeine Überwachungspflicht hinsichtlich der von ihnen übermittelten oder gespeicherten fremden Inhalte besteht. Sie dürfen nicht dazu verpflichtet werden, von sich aus aktiv nach rechtswidrigen Inhalten zu suchen. Die Anordnung zielgerichteter Überwachungsmaßnahmen der nationalen Behörden ist aber zulässig; dazu gehören insbesondere Unterlassungsanordnungen der Zivilgerichte (Brenn, ECG 303). Die Überwachungspflicht (Kontrollpflicht) des Providers wird dabei durch eine „konkrete Information“ (qualifizierter Hinweis oder Abmahnung nach § 81 Abs 1a UrhG) ausgelöst.

[2.3] In der Entscheidung C‑18/18 , Glawischnig, verweist der EuGH weiters auf die Pflicht der Mitgliedstaaten nach Art 18 Abs 1 der EC‑Richtlinie, effektive Klagsmöglichkeiten vorzusehen, die es ermöglichen, dass rasch Maßnahmen einschließlich vorläufige Maßnahmen getroffen werden können, um eine mutmaßliche Rechtsverletzung abzustellen (Rn 26), wobei sie in dieser Hinsicht über ein besonders großes Ermessen verfügen (Rn 29). Dadurch muss auch verhindert werden, dass als rechtswidrig beurteilte Inhalte zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Nutzer des jeweiligen Netzwerks wiedergegeben und geteilt werden (Rn 36).

[2.4] Daraus folgt, dass die Unterlassungsanordnung auch künftige Rechtsverletzungen, und zwar auch durch andere (dritte) Nutzer erfassen darf.

 

4.2. Wortgleiche Verstöße:

 

[3.1] In der Entscheidung zu C‑18/18 , Glawischnig, hat der EuGH dazu ausgesprochen, dass das Gericht zur Vermeidung jedes weiteren Schadens vom Host-Provider verlangen kann, den Zugang zu gespeicherten Informationen, deren Inhalt wortgleich mit dem zuvor für rechtswidrig erklärten Inhalt ist, zu sperren oder zu entfernen, ganz gleich, wer den Auftrag zur Speicherung dieser Informationen gegeben hat (Rn 37).

[3.2] Mit dem sich selbst erklärenden Begriff „wortgleich“ werden idente Verstöße erfasst, wobei aber auch in diesem Zusammenhang der weite Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen ist (Rn 29). Die Beurteilung hängt letztlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.

 

4.3. Sinngleiche Verstöße:

 

[4.1] In der Entscheidung zu C‑18/18 , Glawischnig, hat der EuGH dazu ausgesprochen, dass die EC‑Richtlinie, insbesondere deren Art 15 Abs 1, dem Gericht eines Mitgliedstaats nicht verwehrt, einem Host-Provider aufzugeben, die von ihm gespeicherten Informationen, die einen sinngleichen Inhalt haben wie jene Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt wurden, zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, sofern das Überwachen und das Nachforschen der von einer solchen Verfügung betroffenen Informationen auf solche Informationen beschränkt ist, die eine Aussage vermitteln, deren Inhalt im Vergleich zu dem Inhalt, der zur Feststellung der Rechtswidrigkeit geführt hat, im Wesentlichen unverändert geblieben ist, und sofern die Informationen die in der Verfügung genau bezeichneten Einzelheiten umfassen, und die Unterschiede in der Formulierung dieses sinngleichen Inhalts im Vergleich zur Formulierung, die die zuvor für rechtswidrig erklärte Information ausmacht, nicht so geartet sind, dass sie den Host-Provider zwingen, eine autonome Beurteilung dieses Inhalts vorzunehmen (in diesem Sinn Rn 53).

Dazu verweist der EuGH darauf, dass nach dem Grundsatz der nützlichen Zielerreichung verhindert werden muss, dass die Wirkungen einer Unterlassungsverfügung leicht umgangen werden, indem Aussagen gespeichert werden, die sich kaum von den zuvor für rechtswidrig erklärten Aussagen unterscheiden, was dazu führen könnte, dass die betroffene Person eine Vielzahl von Verfahren anstrengen muss, um das Abstellen des rechtswidrigen Verhaltens zu erwirken (Rn 41). Dazu lasse sich ErwGr 41 der EC‑Richtlinie entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen beteiligten Interessen schaffen wollte (Rn 43). Das Ziel einer Unterlassungsverfügung dürfe daher nicht durch eine übermäßige Verpflichtung des Host-Providers verfolgt werden (Rn 44). Unter diesen Umständen erscheine eine Unterlassungsverpflichtung, die sich auf Informationen sinngleichen Inhalts erstreckt, hinreichend wirksam, um den Schutz der betroffenen Personen sicherzustellen. Zum anderen wird dieser Schutz nicht durch eine übermäßige Verpflichtung des Host-Providers gewährleistet, sodass er auf automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung zurückgreifen kann (Rn 46).

[4.2] Ausgehend von diesen Überlegungen des EuGH sind sinngleiche Inhalte solche, die im Kern dem als rechtswidrig beurteilten Inhalt entsprechen (vgl dazu die Schlussanträge des Generalanwalts zu C‑18/18 , Rn 67). Im Rahmen dieser Beurteilung ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse des Klägers an einem effektiven Rechtsschutz und dem Interesse des Providers, keine unverhältnismäßigen Überwachungsmaßnahmen vornehmen zu müssen, herzustellen.

Der EuGH nimmt in Rn 46 zwar auf automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung des Inhalts Bezug. Der geforderte Interessenausgleich kann allerdings nicht auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit des Einsatzes solcher technischer Mittel beschränkt sein, weil auch in diesem Zusammenhang auf den weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten Bedacht zu nehmen ist (Rn 29). Außerdem betont der EuGH mehrfach, dass die Grenze der zulässigen Unterlassungsanordnung gegenüber einem Provider bis zur allgemeinen Verpflichtung reicht, aktiv nach Umständen zu forschen; nur diese Grenze darf nicht überschritten werden (Rn 42 und 47).

Aus diesen Erwägungen kann somit abgeleitet werden, dass eine Unterlassungsanordnung dann zulässig ist, wenn sich die „Kern-Übereinstimmung“ auf den ersten laienhaften Blick ergibt oder durch technische Mittel (zB Filtersoftware) festgestellt werden kann (vgl dazu Janisch, Anm zu EuGH C‑18/18 , jusIT 2019/82, 225 [228], die darauf hinweist, dass die Betreiber von Social-Media in gewissem Rahmen zur Beurteilung gezwungen werden können, welche Inhalte mit einer für rechtswidrig erkannten Ursprungsäußerung sinngleich und damit unzulässig sind). Zudem müssen die für das Rechtswidrigkeitsurteil maßgebenden Kriterien in der Unterlassungsverfügung ausreichend bestimmt angegeben werden.

[4.4] Für den Anlassfall folgt aus den dargelegten Grundsätzen, dass [die] einstweilige Verfügung das von der Beklagten zu unterlassende Verhalten (die Zurverfügungstellung des klagsgegenständlichen Lichtbilds und [Kern-]Bearbeitungen davon ohne Zustimmung des Klägers) konkret angibt und keine autonome Beurteilung der Beklagten verlangt. Sie ist daher ausreichend bestimmt und nicht überschießend und schafft keine unverhältnismäßige Verpflichtung für die Beklagte.

Die Ansicht der Beklagten, die Unterlassungsverfügung müsse angeben, ob alle Wörter und/oder Bilder abgedeckt seien, die das Bild überlagerten, würde jedes Unterlassungsgebot zunichte machen. Da es unzählige Möglichkeiten gibt, wie ein Lichtbild bearbeitet werden kann, ist es auch unmöglich, sämtliche vom Rechtswidrigkeitsurteil erfassten Bearbeitungsvarianten im Spruch zu erfassen. Aus diesem Grund gestattet der EuGH – im Einklang mit der österreichischen Rechtsprechung (vgl dazu RS0037733; RS0037607; 4 Ob 206/19a) – eine weitere Fassung des Unterlassungsgebots, das einen angemessenen Interessenausgleich schafft und leichtfertige Umgehungsmöglichkeiten verhindert. Die abschließende Beurteilung, ob eine nach Titelerlassung erfolgte angebliche Verletzungshandlung vom Unterlassungstitel gedeckt ist oder nicht, hat letztlich im Rahmen des Exekutionsverfahrens bzw in einem daran anknüpfenden allfälligen Impugnationsverfahren zu erfolgen (vgl 4 Ob 71/14s; vgl auch RS0114017).

Der Hinweis der Beklagten, dass derzeit verfügbare Technologien nur ein ganz bestimmtes Bild oder nur eine leicht modifizierte Version davon erfassen könnten, ist zufolge des Neuerungsverbots zudem unbeachtlich.

[4.5] [Der weitere] Spruchpunkt der einstweiligen Verfügung gibt die zu unterlassenden Äußerungen ebenfalls ausreichend bestimmt an. Untersagt sind Behauptungen, die den Kläger der Verbreitung von Lügen bezichtigen. Damit macht die Unterlassungsverfügung den Inhalt des Rechtswidrigkeitsurteils unmissverständlich deutlich, sodass für die Beklagte keine unverhältnismäßige Kontrollverpflichtung geschaffen wird. Auch dieses Unterlassungsgebot ist weder überschießend noch zu unbestimmt. Die Erweiterung des Unterlassungsbegehrens, in dem die Kriterien für das Rechtswidrigkeitsurteil deutlich angegeben werden, durch die Wendung „sinngleich“ ist zulässig. Die Frage, ob eine nach Titelerlassung erfolgte Verwendung einer bestimmten Formulierung in einer beanstandeten Äußerung auf den ersten laienhaften Blick den Vorwurf der Verbreitung einer Lüge ausdrückt, ist wiederum im Exekutionsverfahren zu klären.

Das Argument der Beklagten, es gebe keine automatisierte Technologie, die die im Unterlassungstitel verwendeten Begriffe und die Synonyme dazu genau identifizieren könne, verstößt auch hier gegen das Neuerungsverbot.

 

4.4. Auch im vorliegenden Verfahren gibt die beantragte einstweilige Verfügung das von der Beklagten zu unterlassende Verhalten (die Veröffentlichung und/oder Verbreitung von die Klägerin zeigenden Lichtbildern, wenn im Begleittext die wörtlichen und/oder sinngleichen Behauptungen verbreitet werden, die Klägerin sei eine „miese Volksverräterin“ und/oder ein „korrupter Trampel“ und/oder Mitglied einer „Faschistenpartei“) konkret an und verlangt keine autonome Beurteilung der Beklagten. Die Unterlassungsverfügung ist auch ausreichend bestimmt, macht den Inhalt des Rechtswidrigkeitsurteils unmissverständlich deutlich und ist nicht überschießend; sie schafft somit keine unverhältnismäßige Kontrollverpflichtung für die Beklagte.

4.5. Damit war aber aufgrund des ordentlichen Revisionsrekurses der Klägerin die erstinstanzliche Entscheidung jedenfalls insoweit wieder herzustellen, als diese vom Rekursgericht hinsichtlich sinngleicher Behauptungen dahin eingeschränkt worden war, dass das Unterlassungsgebot nur für der Beklagten „von der Klägerin oder dritter Seite zur Kenntnis gebrachte oder sonst zur Kenntnis gelangte“ sinngleiche Behauptungen gelten sollte. Dem ordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten war hingegen in diesem Zusammenhang ein Erfolg zu versagen.

5. Das Rekursgericht lehnte die von der Beklagten erstmals in ihrem Rekurs begehrte Einschränkung des Unterlassungsgebots auf Österreich ab, was – unter Berücksichtigung gewisser Kautelen – auch durchaus dem Standpunkt des EuGH (Rn 48 ff) in seinem Urteil Rs C‑18/18 (Glawischnig‑Piesczek/Facebook Ireland) EU:C:2019:821 entsprechen kann. Ob dem im vorliegenden Fall tatsächlich so ist, kann im Gegensatz zur Entscheidung 4 Ob 36/20b – in dem dieser zugrundeliegenden Verfahren war die Frage der weltweiten Geltung der einstweiligen Verfügung bereits Gegenstand des erst- und des zweitinstanzlichen Verfahrens – dahin gestellt bleiben, weil die Beklagte im Revisionsrekursverfahren darauf nicht mehr zurückkommt.

6. Damit war aber die erstinstanzliche Entscheidung zur Gänze wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich hinsichtlich der Klägerin auf § 393 EO und hinsichtlich der Beklagten auf §§ 40, 50 ZPO.

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