OGH 2Ob3/23i

OGH2Ob3/23i21.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Sacha Katzensteiner Blauensteiner Rechtsanwälte GmbH in Krems an der Donau, gegen die beklagte Partei Dr. G*, vertreten durch Mag. Nikolaus Bauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 206.643,75 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Oktober 2022, GZ 11 R 161/22k‑20, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. Juni 2022, GZ 8 Cg 129/21f‑14, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00003.23I.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es wie folgt lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 206.643,75 EUR samt 4 % Zinsen seit 6. Mai 2021 zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 28.287,76 EUR (darin enthalten 2.043,46 EUR USt und 16.027 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die 2019 verstorbene Erblasserin beauftragte den beklagten Rechtsanwalt im Jahr 2008 mit der Errichtung eines fremdhändigen Testaments, in dem sie die Mutter des Klägers zur Alleinerbin einsetzte und diverse Legate verfügte. Nach der mit Datum versehenen Unterschrift der Erblasserin unterfertigten der beklagte Testamentserrichter sowie zwei Mitarbeiterinnen jeweils übereinem maschinell vorgedruckten Zusatz, der aufgrund eines Versehens wie folgt lautete: „als ersuchte Testamentserben“.

[2] Im Verlassenschaftsverfahren nach der Erblasserin belehrte der Gerichtskommissär die Mutter des Klägers, dass die Verfügung mangels eines korrekten Zeugenzusatzes iSd § 579 ABGB aF nicht gültig sei. Auf diese Rechtsauskunft vertrauend gab sie – auch mangels Anerkennung der Verfügung durch die gesetzlichen Erben – keine Erbantrittserklärung ab, sodass der Nachlass diesen eingeantwortet wurde.

[3] Der Kläger begehrt als Alleinerbe seiner 2020 verstorbenen Mutter vom Beklagten gestützt auf die Verletzung von Sorgfaltspflichten als Testamentserrichter 206.643,75 EUR sA. Das vom Beklagten errichtete Testament weise keinen korrekten Zeugenzusatz auf und sei daher ungültig. Hätte er ein formgültiges Testament errichtet, hätte seine Mutter eine Erbantrittserklärung abgegeben und die Erbschaft erlangt.

[4] Der Beklagte wendet im Wesentlichen ein, das Testament sei aufgrund des Vorliegens eines ausreichenden Zeugenzusatzes gültig. Es handle sich um einen bloßen Schreibfehler. Die Zeugeneigenschaft der mitunterfertigenden Personen sei dennoch eindeutig erkennbar. Die Mutter des Klägershabe bloß deshalb keine Erbschaft erhalten, weil sie keine Erbantrittserklärung abgegeben habe.

[5] Das Erstgericht bejahte eine Haftung des Beklagten, weil er mangels eines korrekten Zeugenzusatzes kein den Formvorschriften des § 579 ABGB aF entsprechendes Testament errichtet habe, und sprach mit Zwischenurteil aus, die Klageforderung bestehe dem Grunde nach zu Recht.

[6] Das Berufungsgericht schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an und gab einer Berufung des Beklagten nicht Folge. Die ordentliche Revision ließ es zur Frage zu, ob ein Versehen in Gestalt eines Schreibfehlers geeignet sei, den von § 579 dritter Satz ABGB aF geforderten Zusatz unwirksam zu machen.

[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Abänderungsantrag, die Klage vollinhaltlich abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht im Zusammenhang mit den Anforderungen an den Zeugenzusatz nach § 579 dritter Satz ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist auch berechtigt.

[10] 1. Der Beklagte, der im Revisionsverfahren seine Haftung für den Fall der Ungültigkeit des Testaments nicht (mehr) in Zweifel zieht, argumentiert, dem Zweck der Formvorschrift, Verwechslungen mit der Unterschrift des Erblassers zu vermeiden und es Testamentsfälschern zu erschweren, Zeugenunterschriften herauszulocken, werde auch mit dem vorliegenden Zusatz entsprochen. Es liege ein bloßer Schreibfehler vor, der keine Zweifel an der Zeugeneigenschaft aufkommen lasse.

[11] 2. Aufgrund des Errichtungszeitpunkts der zu beurteilenden letztwilligen Verfügung ist die Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 5 ABGB).

[12] 3. § 579 dritter Satz ABGB aF verlangt, dass die „Zeugen […] auf der Urkunde selbst [...] mit einem auf ihre Eigenschaft als Zeugen hinweisenden Zusatz unterschreiben“ müssen, wobei es nicht erforderlich ist, dass die Zeugen den Hinweis auf ihre Zeugeneigenschaft eigenhändig schreiben; er kann auch von fremder Hand oder mittels einer Schreibmaschine beigesetzt werden (RS0015437; anders zur neuen Rechtslage: 2 Ob 35/20s).

[13] 4. Der Zeugenzusatz stellt ein zwingendes Gültigkeitserfordernis dar (2 Ob 508/95; Tschugguel in Klang³ § 579 ABGB Rz 9; Welser, Erbrechts-Kommentar § 579 ABGB Rz 10). Der Zweck der Formvorschrift liegt einerseits darin, eine Verwechslung mit der Unterschrift des Erblassers zu vermeiden, und es anderseits Testamentsfälschern zu erschweren, Personen Unterschriften herauszulocken, die sie als Zeugenunterschriften ausgeben könnten (3 Ob 174/11a Pkt 1. mwN).

[14] 5. Erforderlich ist (daher) eine textliche Ergänzung der Unterschrift um den Zusatz. Das Fehlen jedes textlichen Zusatzes erfüllt die Gültigkeitsvoraussetzungen nicht (RS0012472 [T1]). Es muss aber nicht jeder Zeuge mit dem Beisatz „als Zeuge“ bzw „als Testamentszeuge“ unterschreiben. Der Vorschrift des dritten Satzes des § 579 ABGB aF ist auch dann Genüge getan, wenn von den drei Testamentszeugen einer seinen Namen mit dem Beisatz „als Zeuge“ unterschreibt und unter dessen Unterschrift die beiden anderen Zeugen ihre Unterschrift setzen (RS0015432). Auch ist die Verwendung des Wortes „Zeuge“ oder „Testamentszeuge“ nicht unbedingt erforderlich. So wurde bereits der Zusatz: „Die tieferstehenden Mitunterzeichneten bestätigen, daß Herr N.N. (Erblasser) diese Schrift als seinen letzten Willen ausdrücklich deklariert und vor ihnen unterzeichnet hat“ als ausreichender Zusatz angesehen, zumal nach den Vorgängen bei Errichtung des letzten Willens kein Zweifel bestand, dass diese Personen die Urkunde als Testamentszeugen unterfertigten (RS0012472 = 8 Ob 515/77).

[15] Zu 1 Ob 41/01p und 2 Ob 58/19x (Pkt 2.4. [„drei mitgefertigten Testamentszeugen“]) wurde jeweils sogar eine Textpassage im Testament als ein ausreichender, auf die Zeugeneigenschaft hinweisender Zusatz gedeutet, durch den unmissverständlich klargestellt wurde, dass die weiteren Unterschriften diejenigen der Zeugen sind (kritisch insoweit Tschugguel aaO, der argumentiert, durch einen bloß im Urkundentext enthaltenen Zeugenhinweis sei dessen Zweck, das Zeugenbewusstsein zu dokumentieren, nicht sichergestellt).

[16] Nicht ausreichend wurde hingegen die Bezeichnung als „Schreiber“ des letzten Willens erachtet, weil der Schreiber eines Testaments auch Zeuge sein könne und er nicht die von den Zeugen geforderten Eigenschaften erfüllen müsse (2 Ob 562/27 = SZ 9/152 = RS0015430; Weiß in Klang² III, 314; aA OLG Wien 5 R 270/50 = EvBl 1951/108).

[17] 6. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, ist von einem gültigen Zeugenzusatz auszugehen. Es liegt eine selbstständige textliche Ergänzung der einzelnen Unterschriften vor. Mag der Zusatz die unterhalb der Erblasserin mitunterfertigenden Personen auch als „ersuchte Testamentserben“ bezeichnen, geht schon aus dem typischerweise im Zusammenhang mit Testamentszeugen verwendeten Wort „ersuchte“ und dem Umstand, dass diese Personen in der Verfügung selbst in keiner Weise genannt oder bedacht werden, unmissverständlich hervor, dass die weiteren Unterschriften diejenigen der Zeugen sind. Eine andere vernünftige Deutungsmöglichkeit des – offenkundig bloß versehentlich falsch formulierten – Zusatzes ist nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – eine Interpretation als Erbeinsetzung im Hinblick auf den sonstigen Inhalt der Verfügung und die Positionierung der Unterschriften unterhalb jener der Erblasserin aus.

[18] Es liegt daher trotz der (offenkundig) versehentlichen Bezeichnung der Testamentszeugen als „ersuchte Testamentserben“ mangels anderer vernünftiger Deutungsmöglichkeiten des Zusatzes ein gültiger Zeugenzusatz vor, der auch die Formzwecke wahrt. Durch die textliche Ergänzung der Unterschriften wird eine Verwechslung mit der Unterschrift der Erblasserin vermieden sowie das Zeugenbewusstsein dokumentiert und damit die Gefahr einer Herauslockung von Zeugenunterschriften hintangehalten. Da kein (alleiniger) Hinweis auf die Zeugeneigenschaft der mitunterfertigenden Personen im Text der Verfügung vorliegt, muss auf die insoweit geäußerte Kritik Tschugguells (aaO) im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden.

[19] 7. Mangels Vorliegens eines wegen eines fehlerhaften Zeugenzusatzes ungültigen Testaments geht der vom Kläger aus diesem Grund gegen den Beklagten geltend gemachte Schadenersatzanspruch ins Leere.

[20] 8. Bei stattgebender Erledigung eines Rechtsmittels gegen ein bejahendes Zwischenurteil hat das Rechtsmittelgericht an dessen Stelle ein abweisendes Endurteil zu setzen (RS0040791).

[21] 9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Ein ERV‑Zuschlag gemäß § 23a erster Satz RATG in Höhe von 4,10 EUR gebührt aber nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze, unter denen auch alle Rechtsmittelschriftsätze zu verstehen sind (RS0126594).

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