European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0230NS00001.23H.0209.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 10. November 2022, AZ D 18/16 (DV 12/18), wurden * und * – im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang siehe 25 Ds 3/20p) erneut – jeweils der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und zu einer Geldbuße verurteilt.
[2] Über ihre dagegen erhobenen Berufungen hat der Oberste Gerichtshof noch nicht entschieden.
[3] Mit (gemeinsam ausgeführtem) Schriftsatz vom 29. Dezember 2022 begehren die Disziplinarbeschuldigten – auch unter Verweis auf das Berufungsvorbringen – die Übertragung der „Disziplinarsache“ an einen anderen Disziplinarrat, „vorzugsweise an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Tirol oder Oberösterreich“.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gemäß § 25 Abs 1 erster Satz DSt kann die Durchführung des Disziplinarverfahrens wegen Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrats oder aus anderen wichtigen Gründen auf – innerhalb der Frist des Abs 2 der Bestimmung einzubringenden – Antrag des Beschuldigten oder des Kammeranwalts sowie des (an keine Frist gebundenen) Disziplinarrats selbst einem anderen Disziplinarrat übertragen werden.
[5] Nach Fällung eines – wenn auch nicht rechtskräftigen – Erkenntnisses ist eine Delegierung, die sich alleine auf die „Durchführung des Disziplinarverfahrens“ bezieht, ausgeschlossen. Denn sie setzt eine – jedenfalls bis zu einer allfälligen Entscheidung nach § 54 Abs 2 DSt durch den Obersten Gerichtshof als Berufungsgericht nicht vorliegende – konkret-aktuelle disziplinarrechtliche Kompetenz des Disziplinarrats zur Entscheidung in der Sache des Disziplinarbeschuldigten voraus (vgl RIS‑Justiz RS0133952; zu Ablehnungsanträgen auch RIS‑Justiz RS0097075, RS0097219 sowie § 26 Abs 5 DSt; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 26 DSt Rz 20 f).
[6] Nichts anderes gilt, wie der Vollständigkeit halber anzumerken bleibt, im gerichtlichen Strafverfahren, weil die – von den Disziplinarbeschuldigten missinterpretierte – Bestimmung des § 39 StPO mit der Formulierung „im Haupt- und Rechtsmittelverfahren“ die Delegierung (auch) des Rechtsmittelverfahrens, nicht aber jene des Hauptverfahrens nach Urteilsfällung zulässt.
[7] Ein von den Disziplinarbeschuldigten in ihrer Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur geortetes Rechtsschutzdefizit besteht nicht. Denn erst nach Fällung des Erkenntnisses (etwa aus Anlass dessen Ausfertigung) bekannt gewordene (angebliche) Gründe für die Befangenheit von Mitgliedern des erkennenden Senats können mit Berufung (wegen Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO) geltend gemacht werden (§ 26 Abs 5 DSt; vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohrergger/Vitek, RAO10 § 26 DSt Rz 20 f sowie 23 Ds 2/17x, 26 Ds 16/21h), was vorliegend ohnehin erfolgte. Betreffen nachträglich zur Kenntnis des Disziplinarbeschuldigten gelangte Befangenheitsgründe den gesamten Disziplinarrat oder so viele seiner Mitglieder, dass dieser nicht mehr beschlussfähig ist, steht im Fall der (teilweisen) Aufhebung des Erkenntnisses und Rückverweisung der Sache an den Disziplinarrat durch den Obersten Gerichtshof (§ 54 Abs 2 DSt) ein Antrag nach § 25 Abs 1 DSt offen, weil die vierwöchige Frist des § 25 Abs 2 zweiter Satz DSt – nach dem telos der Bestimmung – diesfalls erst mit der Kassationsentscheidung und der dadurch (wieder-)begründeten aktuellen disziplinarrechtlichen Kompetenz des Disziplinarrats zur Entscheidung in der Sache zu laufen beginnt.
[8] Die Ablehnung des Kammeranwalts, dessen Befangenheit die Disziplinarbeschuldigten im Zusammenhang mit dessen Teilnahme an der Berufungsverhandlung vage behaupten, ist im Übrigen gesetzlich nicht vorgesehen und daher nicht möglich (RIS-Justiz RS0056819; 21 Ns 1/19p; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohrergger/Vitek, RAO10 § 26 DSt Rz 26).
[9] Die Anträge waren daher zurückzuweisen.
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