European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00112.22T.1205.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Medienrecht
Spruch:
Im Verfahren AZ 6 U 109/21i des Bezirksgerichts Mödling verletzen
1./ der Vorgang, dass das Bezirksgericht Mödling nicht seine sachliche Unzuständigkeit aussprach, sondern die Hauptverhandlung anberaumte, § 450 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG;
2./ das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 13. September 2021, GZ 6 U 109/21i‑11, § 261 Abs 1 iVm § 458 zweiter Satz StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG sowie § 259 Z 3 iVm § 447 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG.
Dieses Urteil wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:
Das Bezirksgericht Mödling ist zur Führung des Verfahrens des Privatanklägers Dr. * L* gegen die Angeklagte * P* wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung sachlich unzuständig.
Gründe:
[1] Mit einem beim Bezirksgericht Mödling am 14. Juni 2021 eingebrachten (verbesserten) Schriftsatz (ON 4) erhob Dr. * L* Privatanklage gegen * P*, weil sie im April 2021 in B* dadurch, dass sie auf der Online‑Internetplattform Google (www.google.at ) unter dem Google‑Link „Herr Dr. * L*“ eine Rezension mit dem Inhalt „Finger weg!!!! Vor diesem Arzt kann man nur warnen!!!! Völlig überteuert verkauft er Angstpatienten qualitativ miserable Lösungen, von denen er selbst offenbar null Ahnung hat, die von unerfahrenen Gehilfen ausgeführt werden! Er macht nichts anderes als die Menschen überrumpeln mit teuersten Angeboten, Narkose verpassen und sich dann, wenn es Probleme gibt, die Finger abputzen! Echt schäbiges Verhalten!“ geschrieben und hochgeladen habe,
I./ Dr. L* in einer für andere Internet‑User, sohin in einer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung geziehen oder eines unehrenhaften Verhaltens oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt habe, das geeignet gewesen sei, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, sowie
II./ unrichtige Tatsachen behauptet und dadurch den Kredit, den Erwerb oder das berufliche Fortkommen von Dr. L* und/oder der mit ihm als Begründer der sogenannten „3‑Termine‑Therapie“ damit in Verbindung gebrachten Unternehmen geschädigt oder gefährdet habe.
[2] Aufgrund dieses Sachverhalts wurde die Bestrafung der Angeklagten nach § 111 Abs 1 und 2 (I./) und nach § 152 Abs 1 StGB (II./) beantragt.
[3] Das Bezirksgericht Mödling ordnete am 15. Juni 2021 eine Hauptverhandlung an (ON 1 S 1) und führte diese am 13. September 2021 durch (ON 9). Mit Urteil vom selben Tag sprach es die Angeklagte wegen des oben wiedergegebenen Verhaltens des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB schuldig und vom „weiteren Vorwurf“, sie habe unrichtige Tatsachen behauptet und dadurch den Kredit, den Erwerb oder das berufliche Fortkommen von Dr. L* und/oder der mit ihm als Begründer der sogenannten „3‑Termine‑Therapie“ damit in Verbindung gebrachten Unternehmen geschädigt oder gefährdet, gemäß § 259 Z 3 StPO frei (ON 9 S 10 und ON 11).
[4] Während die Angeklagte das Urteil unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ließ, erhob der Privatankläger das Rechtsmittel der Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 12, 13).
[5] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant hob das Landesgericht Wiener Neustadt als Berufungsgericht mit Urteil vom 12. August 2022, AZ 14 Bl 59/21m, 60/21h in Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit „das Urteil hinsichtlich des Freispruchs zu Punkt II./ demgemäß auch im Strafausspruch“ auf und verwies die Strafsache (gemeint: in diesem Umfang) an das Erstgericht (ON 20). Dabei überzeugte es sich von der – ohne entsprechender Rechtsmittelvorbringen nicht aufgreifbaren (§ 471 iVm § 290 StPO; 14 Os 95/87 [14 Os 96/87]) – sachlichen Unzuständigkeit des Bezirksgerichts Mödling, worauf es das Erstgericht in Bezug auf den – aufgrund der Berufungsentscheidung noch offenen – „Vorwurf der Kreditschädigung nach § 152 Abs 1 StGB“ hinwies (ON 20 S 9 f).
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, verletzt das Vorgehen des Bezirksgerichts Mödling und das am 13. September 2021 gefällte Urteil dieses Gerichts das Gesetz:
Rechtliche Beurteilung
[6] 1./ Eine durch den Inhalt eines Mediums (§ 1 Abs 1 Z 1 MedienG) begangene, mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die in einer an einen größeren Personenkreis gerichteten Mitteilung oder Darbietung besteht, ist ein Medieninhaltsdelikt (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG).
[7] Strafverfahren wegen eines Medieninhaltsdelikts sind in jenen Fällen, in denen sonst nach Art und Höhe der angedrohten Strafe das Bezirksgericht zuständig wäre, durch den Einzelrichter des Landesgerichts zu führen (§ 41 Abs 3 MedienG).
[8] Da Gegenstand der Privatanklage eine in einem periodischen elektronischen Medium (§ 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG) erfolgte Veröffentlichung, somit ein Medieninhaltsdelikt war, hätte das Bezirksgericht Mödling gemäß § 450 StPO vor Anordnung der Hauptverhandlung mit Beschluss seine sachliche Unzuständigkeit auszusprechen gehabt. Das Unterbleiben eines solchen Beschlusses verletzt daher § 450 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG (vgl RIS‑Justiz RS0067130, RS0106263).
[9] 2./ Unterbleibt eine gemäß § 450 StPO gebotene Beschlussfassung, kann die sachliche Unzuständigkeit auch in einem Urteil ausgesprochen werden (§ 261 Abs 1 iVm § 458 zweiter Satz StPO). Indem das Bezirksgericht anstelle eines Formalurteils eine meritorische Entscheidung gefällt hat, verletzt das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 13. September 2021 § 261 Abs 1 iVm § 458 zweiter Satz StPO (vgl 13 Os 21/08z).
[10] Schuld- und Freispruch beziehen sich auf eine Tat im materiellen Sinn, also das unter Anklage gestellte historische Geschehen, nicht auf eine rechtliche Kategorie (strafbare Handlung). Der Wegfall bloß einer rechtlichen Unterstellung der Tat (Idealkonkurrenz) führt daher nicht zu einem Freispruch von der irrig angenommenen strafbaren Handlung sondern zum Unterbleiben derSubsumtion nach einer weiteren strafbaren Handlung (RIS‑Justiz RS0115553, RS0120128, RS0091051; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 523, 633; derselbe in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 20).
[11] Das angefochtene Urteil verletzt daher im ergangenen Freispruch § 259 Z 3 iVm § 447 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG.
[12] Bleibt anzumerken, dass auch das Berufungsgericht den oben dargestellten Grundsätzen hätte Rechnung tragen müssen, indem es das angefochtene Urteil des Bezirksgerichts unter Hinweis auf diese Rechtslage (bloß) im Unterbleiben der rechtlichen Unterstellung des inkriminierten Sachverhalts auch unter § 152 Abs 1 StGB aufzuheben gehabt hätte.
[13] Es ist nicht auszuschließen, dass die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zu 1./ und 2./ im Umfang des Unterbleibens der Fällung eines Unzuständigkeitsurteils zum Nachteil der Privatangeklagten wirken. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichermaßen als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).
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