OGH 13Os21/08z (13Os22/08x)

OGH13Os21/08z (13Os22/08x)11.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juni 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Just als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Herwig E***** wegen der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB und der Kreditschädigung nach § 152 Abs 1 StGB, AZ 11 U 494/04p des Bezirksgerichts Baden, über die von der Generalprokuratur gegen den Vorgang, dass das Bezirksgericht Baden nicht seine Unzuständigkeit erklärte, sowie gegen die Urteile des Bezirksgerichts Baden vom 17. November 2005, GZ 11 U 494/04p-11, und des Landesgerichts Wr. Neustadt als Berufungsgericht vom 21. Juni 2007, AZ 14 Bl 68/06p (= ON 30 im Akt des Bezirksgerichts Baden), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, seines Verteidigers Dr. Riedl, des Privatklägers Michael G***** sowie des Privatanklagevertreters Dr. Rainer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 11 U 494/04p des Bezirksgerichts Baden verletzen

1. der Vorgang, dass das Bezirksgericht Baden nicht seine sachliche Unzuständigkeit aussprach, sondern die Hauptverhandlung anberaumte, § 450 erster Satz StPO iVm § 41 Abs 2 MedienG;

2. das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 17. November 2005, GZ 11 U 494/04p-11, §§ 261, 458 Abs 5 StPO iVm § 41 Abs 2 MedienG;

3. das Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt als Berufungsgericht vom 21. Juni 2007, AZ 14 Bl 68/06p (= ON 30 im genannten Akt des Bezirksgerichts Baden), § 477 Abs 1 zweiter Satz StPO aF.

Die bezeichneten Urteile des Bezirksgerichts Baden und des Landesgerichts Wr. Neustadt werden aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

Dr. Herwig E***** wird vom Vorwurf, er habe am 23. September 2004 in Traiskirchen einem Journalisten der Wochenzeitung "Furche" gegenüber geäußert, Michael G***** habe in einem Asylakt einen Aktenvermerk gefälscht, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Dem Privatankläger wird der Ersatz aller infolge seines Einschreitens aufgelaufenen Kosten aufgetragen.

Text

Gründe:

I. Michael G***** brachte am 30. September 2004 beim Bezirksgericht Baden Privatanklage gegen Dr. Herwig E***** ein. Dieser habe in einem Gespräch mit dem Journalisten Mag. Wolfgang M***** den Privatankläger der Verfälschung eines Aktenvermerks während eines Asylverfahrens geziehen, worauf diese Äußerung in der Ausgabe der Wochenzeitschrift "Die Furche" vom 23. September 2004 veröffentlicht worden sei. Dem Beschuldigten sei aufgrund der Journalisteneigenschaft seines Gesprächspartners die spätere mediale Verbreitung klar gewesen (Punkt 3.5 der Privatanklage). Aufgrund dieses Sachverhalts werde die Bestrafung nach § 111 Abs 1 und Abs 2 und § 152 Abs 1 StGB beantragt.

Das Bezirksgericht Baden führte über die Privatanklage im Verfahren AZ 11 U 494/04p am 3. Mai 2005 und neuerlich (§ 276a StPO) am 25. Oktober 2005 und am 17. November 2005 die Hauptverhandlung durch.

Mit Urteil vom 17. November 2005 (ON 11) sprach es den Beschuldigten des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig. Danach hat dieser "am 23. September 2004 in Traiskirchen durch die einem Journalisten der Wochenzeitung ‚Furche' gegenüber abgegebene Äußerung, Michael G***** habe in einem Asylakt einen Aktenvermerk gefälscht, diesen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, Michael G***** in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, wobei er die Tat in einem Druckwerk begangen hat, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde". Zugleich fällte das Bezirksgericht - in Verkennung dessen, dass Schuld- und Freispruch hinsichtlich ein und derselben Tat einander ausschließen (Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 523; Fabrizy StPO10 § 259 Rz 16) - einen Freispruch des Beschuldigten "von der Anklage", er habe durch dieselben Tatsachenbehauptungen, die dem Schuldspruch nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB zu Grunde liegen, "den Kredit, den Erwerb oder das berufliche Fortkommen des Michael G***** gefährdet".

Das Landesgericht Wiener Neustadt als Berufungsgericht wies mit Urteil vom 21. Juni 2007, AZ 14 Bl 68/06p (ON 30), die Berufung des Angeklagten "wegen Nichtigkeit" zurück und gab jener "wegen Schuld" keine Folge, während es der Berufung des Privatanklägers "wegen Nichtigkeit und Schuld" Folge gab und das angefochtene Urteil in seinem freisprechenden Teil sowie im Strafausspruch aufhob und die Sache in diesem Umfang zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies.

Eine vom Bezirksgericht Baden für 10. Jänner 2008 anberaumte Hauptverhandlung wurde nach Zurückziehung der Privatanklage abgesetzt (ON 33).

Rechtliche Beurteilung

II. Im genannten Strafverfahren wurde, wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu Recht geltend macht, das Gesetz in mehrfacher Hinsicht verletzt:

1. Das Bezirksgericht Baden hätte aufgrund des Gegenstands der Privatanklage angesichts dessen, dass die rechtliche Beurteilung des inkriminierten Sachverhalts ein Medieninhaltsdelikt (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG) und damit die sachliche Zuständigkeit des Landesgerichts ergab (§ 41 Abs 2 erster Satz MedienG), seine sachliche Unzuständigkeit aussprechen müssen, und zwar vor der Hauptverhandlung mit Beschluss gemäß § 450 StPO aF, weil dies jedoch unterblieb, in der Hauptverhandlung mit Urteil (§§ 261, 458 Abs 5 StPO).

2. Das Landesgericht Wr. Neustadt als Berufungsgericht hätte dem Umstand, dass nach § 46 Abs 1 StPO aF eine Privatanklage bei sonst eintretendem Verfolgungshindernis innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag, an dem dem Privatankläger die (gemeint:) Straftat und ein der Tat hinlänglich Verdächtiger bekannt geworden sind, bei dem nach Maßgabe der in der Anklage aufgestellten Tatsachenbehauptungen (RIS-Justiz RS0096229) örtlich und sachlich zuständigen Gericht einzubringen war, amtswegig zugunsten des Angeklagten Rechnung tragen müssen (RIS-Justiz RS0096916).

Zwar sah § 477 Abs 1 zweiter Satz StPO - nicht anders als seit 1. Jänner 2008 §§ 471, 290 Abs 1 zweiter SatzStPO - für das Berufungsgericht nur in Hinsicht auf den Urteilsinhalt eine Überprüfungspflicht, darüber hinaus aber nur ein Überprüfungsrecht vor (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 17).

Nach dem Inhalt des Berufungsurteils (S 11 f) hatte sich das Landesgericht Wr. Neustadt jedoch von der sachlichen Unzuständigkeit des Bezirksgerichts Baden ohnehin überzeugt. Da für das Erstgericht die sechs Wochen im Urteilszeitpunkt bei weitem übersteigende Dauer des Verfahrens notorisch war, war das Überschreiten der im § 46 Abs 1 StPO aF enthaltenen Frist anhand des der Beweiswürdigung - zugunsten des Angeklagten jedenfalls - zugänglichen Beweismaterials indiziert (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600, 463) und solcherart ein das Verfolgungshindernis betreffender Feststellungsmangel gegeben, der (arg "hat") das Berufungsgericht zur Urteilsaufhebung infolge Nichtigkeit aus dem Grund des § 468 Abs 1 Z 4 (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b) StPO und - (rechtslogisch) nach Urteilsaufhebung in der Sache selbst erkennend - zum Freispruch des Angeklagten hätte veranlassen müssen.

Da die Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verbinden.

Die Kostenersatzpflicht des Privatanklägers beruht auf § 390 Abs 1 zweiter Satz StPO. Kosten des Verfahrens über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sind davon nicht betroffen.

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