OGH 10ObS100/22m

OGH10ObS100/22m22.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Deimbacher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kostenersatz, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2022, GZ 8 Rs 60/22 k-45, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00100.22M.1122.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger leidet beidseits an einem Keratokonus, einer seltenen und fortschreitenden Erkrankung der Hornhaut, die unter anderem durch das Implantieren von zwei Halbringen in die Hornhaut behandelt werden kann. Diese Operation wird (nur) im AKH Wien – auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung – durchgeführt.

[2] Der Kläger entschied sich hingegen für eine Behandlung durch die CISIS-Methode in der Privatordination von Dr. D*. Dabei handelt es sich um eine neuartige, von Dr. D* entwickelte und in Österreich nur von ihm angewandte Operationstechnik, bei der nicht zwei Halbringe, sondern ein geschlossener Ring (MyoRing) in das Auge implantiert wird. Valide Studien, ob diese Methode bessere oder schlechtere Ergebnisse als das Implantieren von zwei Ringsegmenten liefert, liegen (noch) nicht vor. Der Eingriff an beiden Augen war beim Kläger aber medizinisch indiziert und erfolgreich.

[3] Für die Behandlungen durch Dr. D* der in keiner Vertragsbeziehung zur beklagten Österreichischen Gesundheitskasse steht, zahlte der Kläger 3.000 EUR pro Auge.

[4] Die Satzung der Beklagten enthält keinen Tarif für Kostenzuschüsse für operative Hornhautimplantationen. Auch in den Honorarordnungen für niedergelassene Ärzte gibt es dafür keinen konkreten Tarif. Es existieren allerdings Tarife für Operationen an den Augen, deren Höchstsatz 332 EUR pro Eingriff beträgt und für die durchgeführten Operationen auch anzuwenden wäre.

[5] Im Fall der Implantation von Ringsegmenten in einer landesfondsfinanzierten Krankenanstalt wären Kosten von 3.420,65 EUR pro Auge entstanden, von denen die Beklagte 1.356,63 EUR tragen hätte müssen. Die Beklagte gewährte dem Kläger einen Pflegekostenzuschuss je Auge von 266,87 EUR.

[6] Mit Bescheiden vom 26. 5. 2020 (rechtes Auge) und 6. 11. 2020 (linkes Auge) wies die Beklagte die Anträge des Klägers, ihm einen darüber hinausgehenden Kostenersatz zu gewähren, ab.

[7] Mit seinen gegen diese Bescheide gerichteten Klagen begehrt der Kläger eine Kostenerstattung von 2.733,13 EUR (3.000 EUR abzüglich 266,87 EUR) je Auge.

[8] Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren ab. Da in der Satzung der Beklagten eine einschlägige Regelung für die beim Kläger vorgenommenen Operationen fehle, sei in Anlehnung an die Tarife für vergleichbare Leistungen ein im Einzelfall angemessener Betrag zu bestimmen. Die tatsächlich vorgenommene Behandlung sei hinsichtlich ihres Zwecks und der Methode mit dem Implantieren von Ringsegmenten vergleichbar. Es stehe auch außer Streit, dass (dafür) der höchste OP-Tarif der Honorarordnung für niedergelassene Ärzte einschlägig sei. Angesichts dessen stünden dem Kläger nach den Bestimmungen der Satzung der Beklagten 80 % von 332 EUR je Operation zu, die die Beklagte schon geleistet habe.

Rechtliche Beurteilung

[9] In seineraußerordentlichen Revision macht der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO geltend.

[10] 1. Fehlt – wie hier – ein anwendbarer Tarif und besteht auch keine einschlägige Satzungsregelung, besteht trotzdem ein Anspruch auf Kostenzuschuss, dessen Höhe sich an den für vergleichbare Pflichtleistungen festgelegten Tarifen zu orientieren hat (RIS‑Justiz RS0113972 [T3]). Welche tariflich erfasste Pflichtleistung mit der im konkreten Fall erfolgten Behandlung vergleichbar ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und stellt in erster Linie eine Tatfrage dar. Dabei kann es einerseits auf die Art der Leistungen an sich, also auf ihre Methode und ihren Zweck, andererseits aber auch auf den im Einzelfall erforderlichen Sach- und Personalaufwand ankommen (RS0113972 [T6]).

[11] 2. Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen nicht abgewichen. Mit dem Argument, es widerspreche den Grundsätzen der §§ 131 ff ASVG, den Kostenzuschuss anhand vergleichbarer Tarife einer Satzung festzusetzen, obwohl diese keine konkret anwendbare Regelung enthalte, zeigt der Kläger keine Fehlbeurteilung der Vorinstanzen auf (vgl VfSlg 15.322/1998). Die Ansicht, mangels Vertragspartners der Beklagten sei auf jene Kosten abzustellen, die diese im Fall der (einzig sonst möglichen) Behandlung in einer landesfondsfinanzierten Krankenanstalt (Implantation von Ringsegmenten im AKH Wien) tragen hätte müssen, hat der Oberste Gerichtshof erst unlängst abgelehnt (10 ObS 23/22p).

[12] 3. Wenn der Kläger meint, das Abstellen auf eine „Auffangposition“ sei eine unerwünschte Pauschalhonorierung, ist ihm zu entgegnen, dass die gesetzliche Krankenversicherung dem Versicherten weder alle denkbaren und möglichen Leistungen als Sachleistungen erbringen muss noch verpflichtet ist, den Marktpreisen entsprechende Kostenzuschüsse vorzusehen (VfSlg 19.212/2010; RS0115258 [T4]).

[13] 4. Da die außerordentliche Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.

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