European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00228.22V.1122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Das Verfahren befindet sich nach den vorangegangenen Entscheidungen 1 Ob 217/18w und 1 Ob 158/20x im dritten Rechtsgang.
[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Inanspruchnahme der Liegenschaft der Klägerin durch den Kanal der beklagten Gemeinde nur in unerheblichem Ausmaß und damit im Rahmen der „kleinen Dienstbarkeit“ nach § 111 Abs 4 WRG erfolgt oder nicht.
[3] Das Erstgericht wies das Beseitigungsbegehren ab. Es beurteilte die festgestellten Nachteile als sehr gering und erachtete das Grundstück der Klägerin nach Art und Intensität der Beeinträchtigungen bloß in unerheblichem Ausmaß in Anspruch genommen.
[4] Das Berufungsgericht gab über Berufung der Klägerin dem Beseitigungsbegehren statt. Rechtlich führte es zusammengefasst aus, dass die festgestellten Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit nicht nur ein bloß unerhebliches Ausmaß im Sinn des § 111 Abs 4 WRG hätten.
[5] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO für zulässig, weil zur Frage „ob bei der Beurteilung der Beeinträchtigung nur die in Anspruch genommene unterirdische Fläche oder das Volumen der Wasserrechtsanlage an sich zu berücksichtigen ist, bzw ob nur die konkrete oder ganz allgemein jede mögliche Beeinträchtigung für die Beurteilung des Ausmaßes der Inanspruchnahme entscheidend ist, bisher – soweitersichtlich – noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht“.
[6] Bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Revision ist der Oberste Gerichtshof an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Zurückweisung der gegen das zweitinstanzliche Urteil erhobenen Revision der Beklagten wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
Rechtliche Beurteilung
[7] 1. Die gesetzliche Fiktion des § 111 Abs 4 WRG („... ist … als eingeräumt anzusehen ...“) setzt für die Begründung einer Dienstbarkeit voraus, dass der fremde Grund in einem bloß unerheblichen Ausmaß in Anspruch genommen wird. Dabei ist nicht die Bedeutung des Wasserbauvorhabens maßgeblich, sondern Art und Intensität des dadurch bewirkten Rechtseingriffs (1 Ob 226/16s mwN; vgl RS0082243), wobei in diese Prüfung alle Anlageteile, die das Grundstück in Anspruch nehmen, einzubeziehen sind (1 Ob 158/20x mwN). Dabei kann jedoch nicht pauschal festgelegt werden, wann eine geringfügige Grundinanspruchnahme vorliegt, vielmehr sind für die Beurteilung immer die Umstände des Einzelfalls heranzuziehen (Berger in Oberleitner/Berger, WRG‑ON4.01 § 111 Rz 21).
[8] 2. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde eine Kaimauer auf einer Länge von rund 160 m mit einer Lände zur Verheftung von Wasserfahrzeugen und Schwimmkörpern als keine geringfügige Inanspruchnahme qualifiziert (1 Ob 199/13s). Ebenso nicht geringfügig ist die Verlegung einer Druckleitung mit einer Länge von 250 m durch ein Grundstück (1 Ob 13/94). Von einer bloß geringfügigen Beeinträchtigung des Eigentums kann auch bei der mit der Verlegung von Wasserrohrleitungen verbundenen vollständigen Querung von zwei Grundstücken nicht ausgegangen werden (1 Ob 115/14i).
[9] 3. In der im zweiten Rechtsgang ergangenen Entscheidung zu 1 Ob 158/20x sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass § 111 Abs 4 WRG darauf abstelle, ob die „bewilligte Anlage“ (in ihrer Gesamtheit) fremden Grund eines bestimmten Eigentümers in bloß unerheblichem Ausmaß in Anspruch nehme (RS0082243 [T2]). Auch auf der strittigen Teilstrecke der Ortskanalisation zwischen den Kanalpunkten 120 und 121 auf der Liegenschaft der Klägerin könne sich ein Recht der Beklagten nur aus dieser Bestimmung ergeben. Damit komme es aber auf die Belastung an, die vom gesamten, auf der Liegenschaft tatsächlich errichteten Kanalstrang ausgehe.
[10] Nach den ergänzend getroffenen Feststellungen des Erstgerichts verläuft der Kanal in einer Länge von 60,44 m über das Grundstück der Klägerin. Er nimmt inklusive Bettung auf ihrem Grundstück eine Fläche von 65,88 m² in Anspruch. Die Klägerin wusste über die geänderte Trassenführung des Kanals auf ihrer Liegenschaft nicht Bescheid. Sie betreibt auf ihrem Grundstück eine wasserrechtlich bewilligte Grundwasserwärmepumpe zur Heizung des Mehrfamilienwohnhauses. Den dafür erforderlichen Schluckbrunnen (= Rückgabebauwerk bzw Sickerbauwerk) ließ sie zeitlich nach der Verlegung des Kanals in der nordwestlichen Ecke ihres Grundstücks im Jahr 1999 errichten. Dabei wurde der Schluckbrunnen genau an der Stelle errichtet, wo unterirdisch der Kanal durch ihr Grundstück verläuft, sodass der Schluckbrunnen den Kanal durchbohrte.
[11] Das Berufungsgericht ging bei der Beurteilung des gesamten, auf der Liegenschaft errichteten Kanalstrangs von der Beeinträchtigung der Liegenschaft der Klägerin in nicht unerheblichem Ausmaß aus. Durch den Kanal stehe der Klägerin – sie ist nach den Feststellungen nur mit der Kanalführung in der Dammkrone (in bestimmtem Abstand zu einem vorbeiführenden Bach) einverstanden – eine Fläche von 31,24 m² nicht mehr für Schluck‑ bzw Entnahmebrunnenoder Tiefenbohrungen (für den Betrieb der Grundwasserwärmepumpe) zur Verfügung. Auch die (zwei auf der Liegenschaft befindlichen) Schächte brächten – abgesehen von den nicht begrünbaren Kanaldeckeln – Nachteile mit sich, weil sie im Fall der Errichtung von Flächenkollektoren mit den dafür erforderlichen Rohrleitungen umfahren werden müssten und deshalb pro Schacht eine Fläche von 1,06 m² nicht nutzbar sei. An der Beurteilung der „Erheblichkeit“ der Beeinträchtigung könnten die Umstände, dass das Grundstück anderweitig ausreichend Flächen zur Errichtung von Schluck- bzw Entnahmebrunnen, Tiefenbohrungen, Flächenkollektoren bzw allgemein gesprochen zur Errichtung unter‑ und/oder oberirdischer Ein‑ bzw Aufbauten biete und die Liegenschaft im Zeitpunkt der Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung und auch jetzt deswegen nicht weniger wert sei, nichts ändern.
[12] 4. Die Beurteilung, dass der Ortswasserkanal den Grund der Klägerin nicht in unerheblichem Ausmaß in Anspruch nimmt, beruht auf den Umständen des Einzelfalls, steht mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang und ist nicht korrekturbedürftig.
[13] Die Beklagte selbst verweist zutreffend darauf, dass die von der Kanaltrasse beanspruchten Flächen für die Errichtung einer Wärmepumpe, die Schluck‑ und Entnahmebrunnen oder Tiefenbohrungen erfordert, nicht zur Verfügung stehen. Wenn sie eine „konkrete und objektive Beeinträchtigung“ für maßgebend hält und diese in Abrede stellt, übergeht sie die Feststellung, dass anlässlich der Errichtung der wasserrechtlich bewilligten Grundwasserwärmepumpe der Klägerin ein Schluckbrunnen den Kanal bereits durchbohrte. Auch wenn dieser Schluckbrunnen funktionsfähig und in Betrieb ist, zeigt sich daraus doch eine konkrete Beeinträchtigung der Nutzung der Liegenschaft durch den in der nordwestlichen Ecke des Grundstücks bestehenden Kanal, dessen Verlauf sie nicht zustimmte. Von der ca 266 m² großen, als Grünland/sonstige, ausgewiesenen Teilfläche nimmt der unterirdische Kanal immerhin 65,88 m² in Anspruch. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen eine bloß geringfügige Inanspruchnahme verneint, liegt darin kein Überschreiten seines von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilungsspielraums.
[14] 5. Mangelhaft soll das Berufungsverfahren nach Ansicht der Beklagten sein, weil das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung ergänzende Feststellungen zu (nicht näher genannten) „Beeinträchtigungen“ infolge der Wartung des Kanals getroffen habe. Das Berufungsgericht hat sich dazu auf die allgemeine Lebenserfahrung und § 269 ZPO berufen, wobei es offenbar davon ausgeht, offenkundige Tatsachen dürfe es auch ohne Beweisaufnahme ergänzend seiner Entscheidung zugrunde legen (vgl RS0040219). Das Berufungsgericht legt aber nicht dar, welche konkreten Beeinträchtigungen mit der Wartung des Kanals verbunden sein sollen (die Revision verweist dagegen auf die Wartung des Schmutzwasserkanals nahezu ausschließlich von innen), zudem hat sich die Klägerin auf eine allfällige Beeinträchtigung durch die Wartung gar nicht berufen, sodass eine sogenannte „überschießende“ Feststellung vorliegt, die nicht zu berücksichtigen ist (vgl RS0037972 [T14, T18]; RS0040318). Da es aber dieser ergänzenden Feststellung des Berufungsgerichts aus rechtlichen Gründen nicht bedarf, ist der darin angeblich liegende Verfahrensmangel nicht relevant (RS0116273).
[15] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)