European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00108.22Z.1115.000
Spruch:
Im Verfahren AZ 48 Hv 19/22i des Landesgerichts Wiener Neustadt verletzen
1./ das Urteil vom 30. Juni 2022 (ON 26) im Schuldspruch zu I./ § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall SMG und § 28a Abs 4 Z 3 SMG;
2./ die Aufnahme des Ausspruchs auf Anordnung der Bewährungshilfe in den Urteilsspruch § 494 Abs 1 StPO.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch zu I./, demzufolge auch in den Aussprüchen auf Verhängung einer Freiheitsstrafe, auf Anordnung der Bewährungshilfe und über den Verfall aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Gründe:
[1] Mit Urteil vom 30. Juni 2022, GZ 48 Hv 19/22i‑26, erkannte das Landesgericht Wiener Neustadt * G* des Verbrechens „des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG“ (I./; vgl bereits die Anklage ON 17.1) jeweils mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG (II./A./) und nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./B./) sowie eines Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG (III./) schuldig.
[2] Danach hat er – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von Relevanz –
I./ den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich Cannabiskraut, beinhaltend 0,97 % Delta‑9-THC und zumindest 12,64 % THCA, in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge
A./ erzeugt, und zwar in einem nicht mehr feststellbaren Zeitraum von Sommer 2019 bis 15. Jänner 2022 in * insgesamt zumindest 4.660 Gramm brutto, „sohin 44,99 Gramm Delta-9-THC (die 2,25-fache Grenzmenge) und 588,9 Gramm THCA (die 14,72-fache Grenzmenge)“, indem er – zusammengefasst – in mehreren Angriffen eine entsprechende Anzahl von Cannabispflanzen bis zur Erntereife aufzog und sodann aberntete;
B./ anderen überlassen, und zwar in einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitraum von Anfang des Jahres 2020 bis Anfang des Jahres 2022 in * * M* in mehreren Angriffen insgesamt zumindest 2.500 Gramm brutto, „sohin 24,14 Gramm Delta-9-THC (die 1,21-fache Grenzmenge) und 315,93 Gramm THCA (die 7,9‑fache Grenzmenge)“,
„wobei er die Straftat nach § 28a Abs 1 SMG in Bezug auf Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge“ beging (US 1 f).
[3] Den Entscheidungsgründen zufolge teilte sich die zu I./A./ inkriminierte Erzeugung des Suchtgifts in mehrere Zyklen, bei denen der Angeklagte zunächst vier bis fünf Mal durchschnittlich vier bis sechs Cannabispflanzen und später in drei weiteren Anbauzyklen jeweils 35 bis 40 Cannabispflanzen aufzog und aberntete. Der Verkauf des solcherart erzeugten Suchtgifts fand zu I./B./ in mehreren Tranchen von je 250 bis 500 Gramm statt und umfasste damit – ausgehend vom erkennbar konstatierten Reinheitsgehalt von 0,97 % Delta-9-THC und 12,64 % THCA (US 1, 4 f) – auch die Grenzmenge nach § 28b SMG unterschreitende Suchtgiftübergaben (US 4).
[4] Nach den auf die betreffenden Suchtgiftmengen bezogenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite hielt es der Angeklagte „für möglich und fand sich damit ab, dass es sich beim Anbau und Verkauf der Cannabispflanzen um eine das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigende Menge handelt, und nahm dies billigend in Kauf“ (US 4 ff). Feststellungen, wonach der Vorsatz des Angeklagten von Anfang an auch die kontinuierliche Tatbegehung und den daran geknüpften Additionseffekt umfasst hätte, enthält das Urteil jedoch nicht.
[5] Anlässlich der Verurteilung ordnete das Landesgericht Wiener Neustadt gemäß § 50 StGB die Bewährungshilfe an; dies jedoch nicht mittels gesondertem Beschluss, sondern mit einem in das Urteil aufgenommenen Ausspruch (US 3).
[6] Gegen dieses Urteil erhob der Angeklagte Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 27, 29). Das betreffende Berufungsverfahren ist derzeit beim Oberlandesgericht Wien zu AZ 32 Bs 324/22i anhängig (ON 31).
Rechtliche Beurteilung
[7] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, verletzt das erwähnte Urteil mehrfach das Gesetz:
[8] 1./ § 28a Abs 1 SMG stellt in den in Rede stehenden Begehungsweisen ein kumulatives Mischdelikt dar, sodass Erzeugen und Überlassen von Suchtgift verschiedene strafbare Handlungen, die miteinander echt konkurrieren, begründen. Suchtgiftmengen, die sich auf verschiedene Tatbestände dieses kumulativen Mischdelikts beziehen, dürfen daher nicht in Beziehung zur Grenzmenge nach § 28b SMG gesetzt und diese Prozentanteile nicht zwecks Bestimmung einer die Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmenge (oder einer Übermenge im Sinn des § 28a Abs 4 Z 3 SMG) addiert werden (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0116676&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [T7; auch T8, T9]; 14 Os 14/22y [19]; Hinterhofer in Hinterhofer, SMG² § 28a Rz 57 und 96; Matzka/Zeder/Rüdisser, SMG³ § 28a Rz 7 und § 27 Rz 57 und 60; vgl zu § 27 Abs 1 SMG Schwaighofer in WK² SMG § 27 Rz 102).
[9] Der Schuldspruch zu I./ ist daher schon in dieser Hinsicht sowohl in der zusammenfassenden Unterstellung unter ein Verbrechen nach „§ 28a Abs 1 erster und fünfter Fall SMG“ als auch – weil sich weder die nach dem ersten Fall noch jene nach dem fünften Fall des § 28a Abs 1 SMG zu beurteilenden Tathandlungen jeweils für sich auf das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge nach § 28b SMG überschreitende Suchtgiftmengen beziehen – in der rechtlichen Annahme der Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 3 SMG verfehlt.
[10] Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass die Grenzmenge (§ 28b SMG) betreffend THCA gerade nicht – wie vom Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung angeführt – ebenso wie bei Delta-9-THC 20 Gramm beträgt (US 5), sondern vielmehr 40 Gramm (vgl Anhang zur SGV Pkt 4./).
[11] Zur rechtlichen Annahme einer auf die Überschreitung einer bestimmten Suchtgiftmenge abstellenden Qualifikation des § 28a SMG durch die Zusammenrechnung mehrerer, jeweils derselben strafbaren Handlung (siehe oben) des § 28a Abs 1 SMG subsumierbarer Taten genügt es, dass der Vorsatz des Täters – wie bei der Zusammenrechnung nach § 29 StGB – die mengenmäßig bestimmte Größe der einzelnen manipulierten Suchtgiftquanten (deren Addition eine die fünfzehn‑ oder fünfundzwangzigfache Grenzmenge übersteigende Summe ergibt) erfasst (vgl RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0132778&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ). Die Aufnahme (sukzessiver) tatbestandsmäßiger Manipulation von (gegebenenfalls) mehreren, für sich allein die Grenzmenge des § 28b SMG nicht (sondern erst in Summe mit anderen) übersteigenden Suchtgiftquanten in eine Subsumtionseinheit nach § 28a Abs 1 (bzw daran anknüpfend nach Abs 4 Z 3 [oder Abs 2 Z 3]) SMG erfordert hingegen, dass die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von Anfang an vom Vorsatz des Täters umfasst waren (14 Os 14/22y [17]; https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=11Os93/21t&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True [22], vgl auch https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&GZ=14Os84/21s&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True [9]; RIS‑Justiz RS0112225; Hinterhofer in Hinterhofer, SMG² § 28a Rz 57).
[12] Indem das vorliegende Urteil – obwohl der Sachverhalt erkennbar auch die Grenzmenge nach § 28b SMG im Einzelnen unterschreitende Teilhandlungen umfasst – in Bezug auf den Schuldspruch zu I./ die erforderlichen Feststellungen zum Additionsvorsatz jedoch vermissen lässt, verletzt es auch in dieser Hinsicht § 28a Abs 1 und Abs 4 Z 3 SMG.
[13] 2./ Gemäß § 494 Abs 1 StPO hat das Gericht über die Erteilung einer Weisung oder die Anordnung von Bewährungshilfe nach §§ 50 f StGB mit Beschluss zu entscheiden; dieser ist gesondert zu verkünden und auszufertigen (RIS‑Justiz RS0120887 [T3], RS0101841 [T1], RS0126528; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 18/3 und Rz 50; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 39; Schroll/Oshidari in WK² StGB § 50 Rz 16; Jerabek/Ropper, WK‑StPO § 494 Rz 1). Die Aufnahme des Ausspruchs auf Anordnung der Bewährungshilfe in den Urteilsspruch verletzt damit § 494 Abs 1 StPO (12 Os 36/13f).
[14] Die zu 1./ aufgezeigten Gesetzesverletzungen wirken sich zum Nachteil des Angeklagten aus, sodass ihre Feststellung im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang mit konkreter Wirkung zu verbindenwar (§ 292 letzter Satz StPO).
[15] Die Berufung des Angeklagten ist durch diese Entscheidung gegenstandslos (vgl RIS‑Justiz RS0133326).
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