OGH 14Os14/22y

OGH14Os14/22y29.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wagner in der Strafsache gegen * C* und einen anderen Angeklagten wegen „des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG“ und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 63 Hv 107/21x des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des genannten Gerichts vom 22. September 2021 (ON 40) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, und des Verteidigers des Angeklagten C* Dr. Mamuzic zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00014.22Y.0329.000

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 63 Hv 107/21x des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt das Urteil vom 22. September 2021 (ON 40)

I./ im Schuldspruch des * C* zu A./I./ und des * P* zu B./I./ § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall SMG, § 28a Abs 2 Z 2 SMG und § 28a Abs 4 Z 3 SMG,

II./ im Schuldspruch des C* zu A./II./ und des P* zu B./II./ hinsichtlich der Unterstellung der Tat unter § 132 Abs 2 erster Fall StGB diese Bestimmung und

III./ im C* betreffenden Ausspruch über die Konfiskation eines Notizbuchs § 19a Abs 1 StGB.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird hinsichtlich C* im Schuldspruch zu A./I./ und in der Unterstellung der zu A./II./ beschriebenen Tat unter § 132 Abs 2 erster Fall StGB, hinsichtlich P* im Schuldspruch zu B./I./ und in der Unterstellung der zu B./II./ beschriebenen Tat unter § 132 Abs 2 erster Fall StGB sowie im C* betreffenden Konfiskationserkenntnis, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) beider Angeklagten und im C* betreffenden Ausspruch über die Einziehung sowie hinsichtlich beider Angeklagten im Ausspruch über den Verfall, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil vom 22. September 2021 (ON 40) erkannte das Landesgericht für Strafsachen Wien * C* und * P* jeweils „des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG“ (A./I./ und B./I./) sowie des Vergehens der Entziehung von Energie nach § 132 Abs 1 und 2 erster Fall (A./II./ und B./II./) schuldig und verurteilte sie zu Freiheitsstrafen.

[2] Danach haben in W* teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) und zu A./ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, der neben den Genannten zumindest ein weiterer unbekannter Täter angehörte,

A./ C*

I./ von 20. Februar 2020 bis 5. April 2021 Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich zumindest 25,7 Kilogramm getrocknetes Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 16,89 % THCA und 1,29 % Delta‑9‑THC, „erzeugt und anderen überlassen, indem er in der Wohnung in * W*, [richtig:] M* zumindest vier Cannabisplantagen betrieb“;

II./ von 20. Februar 2020 bis 14. April 2021 mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, aus einer Anlage, die der Gewinnung, Umformung, Zuführung oder Speicherung von Energie diente, Energie im Wert von 14.835,24 Euro, sohin in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert entzogen, indem er den Stromzähler der unter I./ genannten Wohnung manipulierte und den Zählerkasten umging;

B./ P*

I./ von 16. Oktober 2020 bis 5. April 2021 Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich zumindest 13 Kilogramm getrocknetes Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 16,89 % THCA und 1,29 % Delta‑9‑THC, „erzeugt und anderen überlassen, indem sie in der Wohnung in * W*, [richtig:] M* zwei Cannabisplantagen betrieben“;

II./ von 16. Oktober 2020 bis 14. April 2021 mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, aus einer Anlage, die der Gewinnung, Umformung, Zuführung oder Speicherung von Energie diente, Energie in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert entzogen, indem er den von C* manipulierten Stromzähler der Wohnung „zur Aufzucht weiter benützte, wodurch der von ihm zu verantwortende Schaden 7.417,62... Euro beträgt“.

[3] Während die Angeklagten auf Rechtsmittel verzichteten (ON 39 S 9), erhob die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten C* Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe [ON 42, 49]), über die das Oberlandesgericht Wien (AZ 19 Bs 312/21b) noch nicht entschieden hat.

[4] Das Erstgericht traf zum Tathergang folgende Feststellungen (US 6 f):

[5] Insgesamt erzeugte C* im Zeitraum von 20. Februar 2020 bis 5. April 2021 – teilweise gemeinsam mit P* – 25,7 Kilogramm getrocknetes Cannabiskraut, welches die Wirkstoffe Delta‑9‑THC und THCA mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 16,89 % THCA und 1,29 % Delta‑9‑THC beinhaltete, wobei P* nur bei den zwei letzten von insgesamt vier Ernten im Ausmaß von cirka [offensichtlich gemeint] 13 „mitwirkte“, und überließen dieses zumindest einer anderen Person als Zwischenhändler, die das Cannabis weiterverteilte.

[6] Es war den Angeklagten bewusst und sie fanden sich damit ab, dass sie durch das Abschneiden der Blütenstände „ein Suchtgift erzeugen“.

[7] Sie rechneten ernstlich damit, dass die Blütenstände bei der Ernte ein Gewicht und einen Reinheitsgrad haben würden, der die Grenzmenge von 20 Gramm Delta‑9‑THC und 40 Gramm THCA übersteigen wird und entschlossen sich dessen ungeachtet, die Blütenstände zu ernten und sie einer weiteren Person als Zwischenverkäufer – samt nachfolgender Weiterleitung an „Unterabnehmer“ – zu überlassen, wobei „sie mit den anderen Personen eine kriminelle Vereinigung gebildet haben, sohin sich an einer auf längere Zeit angelegten Verbindung von zumindest drei Personen, die sich mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, dass von einem oder mehreren Mitgliedern ein oder mehrere Verbrechen begangen“ werden.

[8] C* manipulierte in der Wohnung in der M* den Zählerkasten und umging so die richtige Messung sowie Abrechnung des Stromverbrauchs. Damit „bereicherte er sich und“ P* unrechtmäßig und entzog dem Unternehmen „W*“ Energie.

[9] P* benutzte den von C* manipulierten Stromzähler der Wohnung zur Aufzucht weiter, bereicherte sich solcherart durch den nicht verrechneten Strombezug unrechtmäßig und entzog dem Unternehmen „W*“ (weiter) Energie, „wobei er – gemeinsam mit C* – für 7.417,62 Euro ... verantwortlich ist“.

[10] Beiden Angeklagten war bewusst und sie fanden sich damit ab, dass sie mit dem manipulierten Stromzähler „W*“ Strom entzogen und sich dadurch unrechtmäßig bereicherten.

[11] Dieses Urteil verletzt – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – mehrfach das Gesetz.

I./ Zu den Schuldsprüchen A./I./ und B./I./

Rechtliche Beurteilung

[12] 1./ Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 SMG setzt (unter anderem) einen auf die Vorschriftswidrigkeit des (hier) Erzeugens und Überlassens von Suchtgift gerichteten Vorsatz (§ 7 Abs 1 iVm § 5 Abs 1 StGB) des Täters voraus (RIS‑Justiz RS0087860 [T2, T3]; Hinterhofer in Hinterhofer, SMG² § 28a Rz 44; vgl Schwaighofer in WK² SMG § 27 Rz 95). Solche Sachverhaltsannahmen sind dem Urteil jedoch nicht zu entnehmen.

[13] 2./ Die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG hat die Begehung der Straftat nach § 28a Abs 1 SMG als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zur Voraussetzung. Unter einer solchen ist ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zu verstehen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern der Vereinigung ein oder mehrere in § 278 Abs 2 StGB aufgezählte Vereinigungsdelikte ausgeführt werden. Da § 28a Abs 2 Z 2 SMG dem Umstand Rechnung trägt, dass das Unrecht der konkreten Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich gesteigert ist, wenn hinter der Tat eine darauf spezialisierte Tätergruppe steht (vgl zu § 130 StGB idgF Stricker in WK² StGB § 130 Rz 53; zu § 130 StGB idF vor BGBl I 2015/112 Salimi, SbgK § 130 Rz 49; zu § 143 StGB Eder-Rieder in WK² StGB § 143 Rz 4; siehe auch Plöchl in WK² StGB § 278 Rz 56), muss die Vereinigung (auch) auf die Begehung (zumindest – vgl RS0088067 [T9]) einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG gerichtet sein (vgl Schwaighofer in WK² StGB § 27 Rz 80 f).

[14] Die rechtliche Annahme einer derartigen Ausrichtung erfordert die sachverhaltsmäßige Umschreibung des Vereinigungsziels und einen diese Tatumstände erfassenden Vorsatz. Ein solches Tatsachensubstrat geht aus den Urteilskonstatierungen, wonach die Begehung von Verbrechen Zweck der Vereinigung war und sich der Vorsatz der Angeklagten darauf bezog (US 6), aber nicht hervor.

[15] 3./ Die Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG erfordert in subjektiver Hinsicht, dass der Vorsatz des Täters das Überschreiten der fünfundzwangzigfachen Grenzmenge umfasst. Die Feststellung, wonach er bei beiden Angeklagten insgesamt auf das Überschreiten der Grenzmenge (§ 28b SMG) gerichtet war (US 6), erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal nicht.

[16] Im Übrigen normiert § 28a Abs 4 Z 3 SMG (wie § 28a Abs 2 Z 3 SMG) im Unterschied zu § 28a Abs 1 SMG eine mit § 29 StGB vergleichbare, besondere Art von Zusammenrechnungsgrundsatz für die Grenzmenge jeweils übersteigende Suchtgiftquanten, wobei sich der Begriff „Straftat“ auch auf eine Mehrzahl von Taten nach § 28a Abs 1 SMG bezieht (RIS‑Justiz RS0117464 [T1, T10]).

[17] Zur rechtlichen Annahme dieser Qualifikation durch die Zusammenrechnung mehrerer jeweils § 28a Abs 1 SMG subsumierbarer Taten genügt es, dass der Vorsatz des Täters – wie bei der Zusammenrechnung nach § 29 StGB – die mengenmäßig bestimmte Größe der einzelnen manipulierten Suchtgiftquanten (deren Addition eine die fünfundzwangzigfache Grenzmenge übersteigende Summe ergibt) erfasst (vgl RIS‑Justiz RS0132778). Die Aufnahme (sukzessiver) tatbestandsmäßiger Manipulation von (gegebenenfalls) mehreren, für sich allein die Grenzmenge des § 28a Abs 1 SMG nicht (sondern erst in Summe mit anderen) übersteigenden Suchtgiftquanten in eine Subsumtionseinheit nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG (oder § 28a Abs 2 Z 3 SMG) erfordert hingegen, dass die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von Anfang an vom Vorsatz des Täters umfasst waren (11 Os 93/21t, vgl auch 14 Os 84/21s).

[18] Aus den Entscheidungsgründen gehen aber die für die Beurteilung des Vorliegens mehrerer (im obigen Sinn nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG zusammenzufassender) Taten (allenfalls mehrerer tatbestandlicher Handlungseinheiten – vgl zu diesem Begriff RIS‑Justiz RS0088096 [T11, T12, T14, T16, T17]; allgemein RS0122006) oder bloß einer einzigen (allenfalls aus mehreren Teilakten einer tatbestandlichen Handlungseinheit bestehenden) Tat notwendigen Sachverhaltsannahmen nicht hervor (vgl auch RIS‑Justiz RS0132322, RS0133289).

[19] 4./ § 28a Abs 1 SMG stellt in den in Rede stehenden Begehungsweisen ein kumulatives Mischdelikt dar. Erzeugen und Überlassen von Suchtgift begründen demnach verschiedene strafbare Handlungen, die miteinander echt konkurrieren (RIS‑Justiz RS0116676 [T7]; Hinterhofer in Hinterhofer, SMG² § 28a Rz 96; vgl zu § 27 Abs 1 SMG Schwaighofer in WK² SMG § 27 Rz 102). Daher ist der Schuldspruch zu A./I./ und B./I./ wegen jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG verfehlt (US 4).

II./ Zu den Schuldsprüchen A./II./ und B./II./

[20] Die Wertqualifikation nach § 132 Abs 2 erster Fall StGB setzt einen auf das Übersteigen der Wertgrenze von 5.000 Euro gerichteten Vorsatz des Täters voraus (Rebisant in WK² StGB § 132 Rz 38). Das Urteil enthält hinsichtlich beider Angeklagter keine derartigen Feststellungen.

III./ Zur Konfiskation

[21] Gegenstände können unter anderem dann konfisziert werden, wenn sie der Täter zur Begehung der Straftat verwendet hat (§ 19a Abs 1 erster Fall StGB). Vorliegend wird die Voraussetzung einer Verwendung der Gegenstände zur Begehung der abgeurteilten Straftaten ohne nähere Beschreibung des inkriminierten Verhaltens, mithin ohne Sachverhaltsbezug, schlicht angenommen (US 10). Ein eindeutiger Feststellungswille (vgl RIS‑Justiz RS0117228) ist hier auch deshalb nicht auszumachen, weil schon die Beschreibung des konfiszierten Gegenstands (Notizbuch) eine Eignung zur tatspezifischen Verwendung nicht erkennen lässt (vgl 14 Os 115/21z).

[22] Aufgrund nachteiliger Auswirkungen der zu I./1./ bis I./3./, II./ und III./ aufgezeigten Gesetzesverletzungen für die Angeklagten sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Hinsichtlich beider Angeklagten war das Verfallserkenntnis aufzuheben, weil es sich auf die Schuldsprüche zu A./I./ und B./I./ stützt; gleiches gilt für den C* betreffenden Ausspruch über die Einziehung von Marihuana, zumal das Urteil keine ausreichenden Feststellungen zu einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem SMG enthält (vgl RIS‑Justiz RS0088115 [T3]).

[23] Die den Angeklagten C* betreffende Berufung der Staatsanwaltschaft ist zufolge Aufhebung des Strafausspruchs gegenstandslos.

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