OGH 7Ob134/22i

OGH7Ob134/22i9.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* N*, vertreten durch Mag. Gerald Kellner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Mag. Erik Focke, Rechtsanwalt in Wien, wegen 15.094,16 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 8.269 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Mai 2022, GZ 1 R 33/22p‑44, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 20. Dezember 2021, GZ 27 Cg 50/19m‑38, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00134.22I.1109.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] Am 29. Jänner 2019 kam es zu einem Brand in der Wohnung der Klägerin, der das gesamte Inventar zerstörte.

[2] Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht eine Haushaltsversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH, Fassung 2005) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

6.5 FÄLLIGKEIT FESTGESTELLTER ENTSCHÄDIGUNGEN

[... ]

Der Versicherungsnehmer erwirbt den Anspruch auf Zahlung des die Zeitwertentschädigung übersteigenden Teiles der Entschädigung nur insoweit, als die Verwendung der Entschädigung zur Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung von Gegenständen des Wohnungsinhalts innerhalb eines Jahres nach dem Schadenfall sichergestellt ist.

[...]“

[3] Da die Klägerin in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[4] 1.1. Art 6.5 ABH 2005enthält eine sogenannte „strenge Wiederherstellungsklausel“. Ihr Zweck ist die Begrenzung des subjektiven Risikos, das entstünde, wenn der Versicherungsnehmer die Entschädigungssumme für frei bestimmbare Zwecke verwenden könnte (RS0120711 [T2, T4]). Die strenge Wiederherstellungsklausel stellt eine Risikobegrenzung dar (RS0081840) und bedeutet, dass zunächst im Versicherungsfall nur ein Anspruch auf den Zeitwert entsteht und der Restanspruch auf den Neuwert von der Wiederherstellung oder deren (fristgerechter) Sicherung abhängt (RS0120710). Ist die Wiederbeschaffung einmal ausreichend sichergestellt, wird der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Bezahlung des Neuwerts fällig. Dieser fällig gewordene Anspruch besteht auch dann, wenn sich später herausstellen sollte, dass trotz Sicherstellung in der Folge die Wiederbeschaffung unterbleibt (RS0121821). Der Zweck von Ausschlussfristen in Versicherungsbedingungen liegt in der Herstellung von möglichst rascher Rechtssicherheit und Rechtsfrieden, also unter anderem darin, eine alsbaldige Klärung der Ansprüche herbeizuführen (RS0082216 [T1, T6]; 7 Ob 48/22t).

[5] 1.2. Der erkennende Senat hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass jedem Versicherungsnehmer das Wissen zugemutet werden muss, dass einem Versicherungsvertrag gewisse Begrenzungsnormen zugrunde liegen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat daher grundsätzlich mit Risikoausschlüssen und ‑einschränkungen zu rechnen (7 Ob 169/17d mwN; vgl auch RS0016777). Sie sind insoweit grundsätzlich weder ungewöhnlich gemäß § 864a ABGB noch iSd § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligend (7 Ob 70/21a; 7 Ob 184/21s). In diesem Sinn sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass Wiederherstellungsklauseln im Rahmen von Sachversicherungen zulässig und üblich sind (7 Ob 169/03h; vgl auch 7 Ob 262/05p zur einjährigen Ausschlussfrist gemäß Art 6.1.2 ABH) und dass sich eine Einstufung von Wiederherstellungsklauseln als intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG oder als gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB schon im Hinblick auf § 97 VersVG verbietet (7 Ob 167/14f; 7 Ob 45/15s).

[6] 1.3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die einjährige Frist des Art 6.5 ABH 2005 verstoße weder gegen § 864a ABGB noch gegen § 879 Abs 3 ABGB, ist angesichts der dargestellten Rechtsprechung nicht korrekturbedürftig, zumaldie Frist für die Anschaffung von Wohnungsinventar und Fahrnissen ausreichend bemessen ist und mit dem – nicht zweifelhaften – Schadensereignis zu laufen beginnt, sodass dem Versicherungsnehmer bzw Versicherten die Ausübung seiner Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert wird (vgl 7 Ob 148/21x Rz 28). Der Versicherer kann auch entgegen der Ansicht der Klägerin die Auszahlung der Zeitwertentschädigung nicht willkürlich verzögern, entsteht diese doch mit Eintritt des Versicherungsfalls.

[7] 2.1. Wann die Verwendung im Sinn von Art 6.5 ABH 2005 gesichert ist, hat das Gericht nach Treu und Glauben zu entscheiden (RS0081868 [T2]) und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0119959). Grundsätzlich kann eine 100%‑ige Sicherheit nicht verlangt werden, sondern es muss ausreichen, wenn angesichts der getroffenen Vorkehrungen keine vernünftigen Zweifel an der Durchführung der Wiederherstellung bestehen (RS0112327; RS0119959). Die Vorlage von Kostenvoranschlägen, Absichtserklärungen des Versicherungsnehmers, die bloße Planung, eine behelfsmäßige Reparatur oder ein noch nicht angenommenes Angebot sind für die Sicherung der Wiederherstellung nicht ausreichend (RS0112327 [T5]).

[8] 2.2. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die von der Klägerin abgegebene Erklärung, sie werde der Beklagten nicht binnen Jahresfrist durch Vorlage von Rechnungen dokumentierte Beträge zurückzuzahlen, keine Sicherstellung im Sinn von Art 6.5 ABH 2005 begründe, steht im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung, weil damit die Wiederherstellung nicht gesichert ist.

[9] 3. Da die Beklagte auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, gebührt ihr kein Kostenersatz für die Revisionsbeantwortung (vgl RS0112296).

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