OGH 7Ob184/21s

OGH7Ob184/21s26.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M* D*, vertreten durch die Kopp – Wittek Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch die MUSEY rechtsanwalt gmbh in Salzburg, wegen 141.334,82 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichtvom 26. August 2021, GZ 3 R 103/21v‑50, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 1. Juni 2021, GZ 10 Cg 91/19v‑46, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00184.21S.0126.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.481,30 EUR (darin 413,55 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Über Antrag des Ehegatten der Klägerin kam mit der Beklagten im April 2017 ein Unfallversicherungsvertrag zustande, dem die Allgemeinen Bedingungen für den Unfallschutz (AUVB 2016) zugrunde liegen. Im Zuge des Vertragsschlusses erhielt er die Versicherungspolizze samt den Versicherungsbedingungen.

[2] Die AUVB 2016 lauten auszugsweise:

§ 14

Was ist zur Wahrung des Versicherungsschutzes zu beachten?

Welche Folgen hat ein e Nichtbeachtung dieser Vorschriften?

1. Obliegenheit vor Eintritt des Versicherungsfalles

Um dem Eintritt des Versicherungsfalls oder einer Erhöhung des Umfangs der Versicherungsleistung vorzubeugen, ist folgende Obliegenheit einzuhalten:

Die versicherte Person besitzt als Lenker eines Kraftfahrzeuges die jeweilige kraftfahrrechtliche Berechtigung nach österreichischem Recht, die zum Lenken dieses Kraftfahrzeuges vorgeschrieben ist; dies gilt auch dann, wenn dieses Fahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr gelenkt wird. […]

Wird diese Obliegenheit zumindest leicht fahrlässig verletzt, sind wir insoweit leistungsfrei, als die Verletzung einen Einfluss auf die Höhe der Versicherungsleistung oder den Eintritt des Versicherungsfalles gehabt hat.“

[3] Der Ehegatte der Klägerin verstarb bei einem Motorradunfall im Iran. Bezugsberechtigt für die Versicherungsleistung im Todesfall in Höhe des Klagsbetrags ist die Klägerin.

[4] Der Verstorbene verfügte im Unfallzeitpunkt zwar über einen gültigen Führerschein der Republik Österreich für die Fahrzeugklasse B, nicht jedoch für die Fahrzeugklasse A1. Es war auch weder der „Code 111“ in seinem Führerschein eingetragen noch hatte er eine praktische Ausbildung im Lenken von Krafträdern der Klasse A1 absolviert.

[5] Der konkrete Unfallhergang kann nicht festgestellt werden.

[6] Die Klägerin begehrte Zahlung von 141.334,82 EUR und brachte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – vor, der Verstorbene habe über eine gültige Lenkerberechtigung in dem Land verfügt, in dem sich der Unfall ereignet habe. Nach österreichischem Recht sei es zulässig, ein Fahrzeug in einem anderen Land zu Lenken, wenn man in diesem dazu berechtigt sei, sodass keine Obliegenheitsverletzung vorliege. Im Übrigenverstoße die in § 14 AUVB 2016 vorgesehene Obliegenheit gegen § 864a ABGB, weil sie von den Versicherungsbedingungen anderer Versicherer abweiche und in den Versicherungsbedingungen versteckt sei; darüber hinaus sei sie gröblich benachteiligend und intransparent.

[7] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung, und wendete – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, es bestehe Leistungsfreiheit aufgrund einer Obliegenheitsverletzung, weil der Verstorbene das Unfallfahrzeug nach österreichischem Recht nicht hätte lenken dürfen.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab und führte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – aus, die Klausel habe keinen ungewöhnlichen Inhalt. Es entstehe dadurch kein Ungleichgewicht der Rechtspositionen. Vielmehr stelle die Anknüpfung an die österreichische Rechtslage in Bezug auf das Lenken von Kraftfahrzeugen ein nachvollziehbares Interesse des Versicherers zur EingrenzungseinesRisikos dar. Die Klausel sei auch nicht intransparent im Sinne des KSchG, weil sie klar formuliert und leicht auffindbar sei. Das Unfallfahrzeug hätte nach österreichischer Rechtslage nur mit der Lenkerberechtigung Klasse A1 (§ 2 Abs 1 Z 2 FSG) oder bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 5 lit c FSG gelenkt werden dürfen. Da diese Voraussetzungen im Unfallzeitpunkt nicht vorgelegen hätten, sei die Beklagte aufgrund der Obliegenheitsverletzung leistungsfrei.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Klausel sei weder versteckt noch von der Beklagten „untergeschoben“ worden. Es sei auch weder ungewöhnlich noch gröblich benachteiligend, dass ein österreichischer Unfallversicherer im Rahmen der freiwilligen Unfallversicherung auf eine kraftfahrrechtliche Berechtigung nach österreichischem Recht abstelle.

[10] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1.1. Nach der der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vorgehenden Geltungskontrolle gemäß § 864a ABGB (RS0037089) ist eine Klausel objektiv ungewöhnlich, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Der Klausel muss ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnen (RS0014646). Entscheidend ist, ob die Klausel beim entsprechenden Geschäftstyp üblich ist und ob sie den redlichen Verkehrsgewohnheiten entspricht (RS0105643 [T3]). Gegen die für die Art des Rechtsgeschäfts typischen Vertragsbestimmungen kann auch ein unerfahrener Vertragspartner nicht ins Treffen führen, er sei von ihnen überrascht worden (RS0014610). Die Ungewöhnlichkeit eines Inhalts ist nach dem Gesetzestext objektiv zu verstehen. Die Subsumtion hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren. Ein Abstellen auf die subjektiven Erwartungen gerade für den anderen Teil ist daher ausgeschlossen (RS0014627).

[14] 1.2. Gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914). Im Versicherungsvertragsrecht liegt gröbliche Benachteiligung nicht nur dann vor, wenn der Vertragszweck geradezu vereitelt oder ausgehöhlt wird, sondern bereits dann, wenn die zu prüfende Klausel eine wesentliche Einschränkung gegenüber dem Standard bringt, den der Versicherungsnehmer von einer Versicherung dieser Art erwarten kann (RS0128209 [insb T2]).

[15] 1.3. Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Es soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sicherstellen, um zu verhindern, dass der Verbraucher durch ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird (RS0115217 [T3]; vgl auch RS0037107 [T6], RS0115219 [T14]).

[16] 2. Gemäß § 14.1. AUVB 2016 muss die versicherte Person als Lenker eines Kraftfahrzeugs die jeweilige kraftfahrrechtliche Berechtigung nach österreichischem Recht besitzen, die zum Lenken dieses Kraftfahrzeugs vorgeschrieben ist.

[17] 2.1. Mit § 14.1. AUVB 2016 vergleichbare – als „Führerscheinklauseln“ bezeichnete – Bedingungen wurden vom Obersten Gerichtshof bereits mehrfach als Obliegenheiten qualifiziert (etwa 7 Ob 43/11s zu Art 9.2.1 AKHB 1995; 7 Ob 159/18k zu Art 24.1 UB00). Die Führerscheinklauseln zielen darauf ab, den Versicherer nicht dem höheren Risiko durch unerfahrene und ungeschulte Lenker auszusetzen. Sie stellen daher darauf ab, ob der Lenker eine (allgemeine) Fahrberechtigung und damit eine gewisse Fahrsicherheit hat. Das fahrerische Können soll bereits vor Antritt der Fahrt in der vom Gesetz formalisierten Weise durch Erhebungen der Behörde und die Fahrprüfung dargetan sein (7 Ob 159/18k mwN).

[18] 2.2. Der erkennende Senat hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass jedem Versicherungsnehmer das Wissen zugemutet werden muss, dass einem (Unfall-)Versicherungsvertrag gewisse Begrenzungsnormen zugrunde liegen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat daher grundsätzlich mit Risikoausschlüssen und ‑einschränkungen zu rechnen (vgl RS0016777). Sie sind insoweit grundsätzlich weder ungewöhnlich gemäß § 864a ABGB noch im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligend (7 Ob 169/17d; 7 Ob 70/21a).

[19] 2.3. Die vorliegende Führerscheinklausel stellt auf die jeweilige kraftfahrrechtliche Berechtigung nach österreichischem Recht ab. Dass ein Versicherer mit Sitz in Österreich bei einem in Österreich wohnhaften Versicherungsnehmer unter dem Gesichtspunkt der Kalkulierbarkeit des Risikos bei der Frage der Lenkerberechtigung auf österreichisches Recht abstellt, ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass die kraftfahrrechtlichen Bestimmungen von Staaten außerhalb der Europäischen Union (wie hier: Iran) maßgeblich von der nationalen Rechtslage abweichen und auch schwer ermittelbar sein können, aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers weder ungewöhnlich noch unerwartet. Der Umstand allein, dass andere Versicherer nicht auf die österreichische Rechtslage abstellen, macht die Klausel ebenfalls nicht ungewöhnlich (aM ohne Begründung Maitz, AUVB Art 21, S 288 f), hat doch die bloße Verbreitung einer Klausel grundsätzlich keinen Einfluss darauf, ob sie als im redlichen Verkehr üblich anzusehen ist (RS0014646 [T10]). Vor dem dargestellten Zweck der Führerscheinklausel, ein erhöhtes Risiko durch unerfahrene und ungeschulte Lenker zu berücksichtigen, bewirkt die Klausel auch keine wesentliche Einschränkung gegenüber dem Standard, den der in Österreich lebende Versicherungsnehmer von einer Unfallversicherung erwarten kann.

[20] 2.4. Das Vorbringen der Revisionswerberin, die Klausel habe erst am Ende der langjährigen Vertragsbeziehung zwischen dem Verstorbenen und der Beklagten ihren Weg in die Versicherungsbedingungen gefunden und sei deshalb ungewöhnlich, verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich.

[21] 2.5. Die klare und leicht auffindbare Klausel ist somit zusammengefasst weder überraschend nach § 864a ABGB noch gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB noch intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG.

[22] 3. Das Berufungsgericht ist auch nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen. Die von der Klägerin diesbezüglich herangezogene Entscheidung 7 Ob 162/07k ist nämlich nicht einschlägig, forderte doch die dortige Bedingungslage gerade keine für den Lenker des Fahrzeugs in Österreich vorgeschriebene Lenkerberechtigung.

[23] 4. Darüber hinaus ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil die Klägerin einerseits nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht und sich andererseits nicht mit den Argumenten des Berufungsgerichts auseinandersetzt (vgl RS0043603 [insb T1, T8, T9, T12]).

[24] 5. Die Revision ist daher erfolglos.

[25] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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