OGH 5Ob115/22f

OGH5Ob115/22f8.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. D*, und 2. Dkfm. S*, beide vertreten durch Mag. Michael Medwed, Mag. Johann Sparowitz, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Hafner & Bergthaler Rechtsanwälte in Altmünster, und deren Nebenintervenient S* eU, *, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Unterlassung, über die außerordentlichen Revisionen der beklagten Partei und deren Nebenintervenienten gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 21. März 2022, GZ 5 R 142/21w‑25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 23. Juni 2021, GZ 220 C 5/21s‑15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00115.22F.1108.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, es in Hinkunft zu unterlassen, die beiden Wohnungseigentumsobjekte * zum Betrieb eines Restaurants, insbesondere eines thailändischen Restaurants, zu verwenden, abgewiesen wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 8.571,37 EUR (darin 925,31 EUR USt und 3.019,50 EUR Barauslagen) und deren Nebenintervenienten die mit 5.273,29 EUR (darin 375,63 EUR USt und 3.019,50 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger sind seit dem Jahr 2002 zu je 79/6130 Anteilen Miteigentümer an der Liegenschaft EZ *KG *, an der Wohnungseigentum begründet ist. Mit den Anteilen der Kläger ist Wohnungseigentum am Objekt W * untrennbar verbunden. Der Beklagte erwarb über Vermittlung des Nebenintervenienten im Jahr 2018 an dieser Liegenschaft 38/3065 und 110/3065 Anteile, mit denen Wohnungseigentum an den jeweils im Erdgeschoß liegenden Objekten W I und W II untrennbar verbunden ist. Im Wohnungseigentumsvertrag aus dem Jahr 1972 ist zu den im Eigentum des Beklagten stehenden Objekten festgehalten: „G I 38,24 [m²] 1 Geschäftslokal, 1 WC, 1 Abstellraum, 1 Kellerabteil; G II 111,38 [m²] 1 Geschäftslokal, 2 Büros, 1 Vorraum, 2 WC, 1 Kellerabteil.“

[2] Im Wohnungseigentumsobjekt W I (= „G I“) wurde ursprünglich eine Putzerei betrieben. Im Geschäftslokal W II (= „G II“) befand sich schon seit etwa 1968 eine Konditorei. Im Jahr 1991 legte der damalige Eigentümer diese beiden Wohnungseigentumsobjekte zusammen (verband sie durch einen Durchbruch) und führte dort seit dem Jahr 1995 eine Konditorei/Bäckerei, die von 9:00 Uhr morgens bis 20:00 Uhr abends geöffnet war. In der Backstube wurden täglich zwischen 5:00 und 9:00 Uhr morgens Backwaren und Mehlspeisen für die Konditorei, aber auch für ein (vom Eigentümer geführtes) Hotel zubereitet. In der Konditorei konnte man Kuchen und Kaffee zu sich nehmen. Es wurden auch kleinere Speisen wie Toast, Würstel und Gulasch serviert. Dass die beiden Wohnungseigentumsobjekte W I und W II miteinander verbunden waren, war für jedermann und damit auch für sämtliche Wohnungseigentümer ersichtlich. Im Jahr 2004 übernahm die Tochter des damaligen Eigentümers der beiden Objekte das Lokal und führte es als Kaffeehaus weiter. Zusätzlich zum bisherigen Angebot wurden auch Suppen verkauft. Im Jahr 2008 veräußerte sie beide Wohnungseigentumseinheiten und der neue Eigentümer betrieb darin ein Cafe‑Pub (Café K*), in dem ab 10:00 Uhr morgens Getränke ausgeschenkt wurden; Speisen wurden nicht angeboten. Obwohl der Betrieb einer gastgewerblichen Betriebsanlage seit Oktober 2010 jeweils von Montag bis Sonntag von 7:00 Uhr morgens bis 22:00 Uhr abends bewilligt war, war das Pub nie länger als bis 19:00 Uhr geöffnet. Nach der Schließung des Pubs im Jahr 2015 fand bis 2017 in den beiden Wohnungseigentumsobjekten kein Geschäftsbetrieb statt; die anstelle des Pubs geplante Bar wurde nie eröffnet.

[3] Nach dem Kauf der Objekte im Mai 2018 eröffnete der Beklagte mit seiner Lebensgefährtin in den Wohnungseigentumsobjekten eine Café-Konditorei (Café L*), in der auch Mittagsmenüs (Suppe und kleine Gerichte mit Fisch und Fleisch) angeboten wurden. Das im März 2019 eröffnete und abends bis 19:00 Uhr geöffnete Lokal stellte seinen Betrieb Ende August 2019 wieder ein. In der Folge verpachtete der Beklagte die beiden zusammengelegten Objekte W I und W II an eine dritte Person, die darin seit 1. September 2019 ein Thai-Restaurant mit warmer Küche führt. Das Lokal ist von 11:00 Uhr bis 22:00 Uhr geöffnet. Eine Zustimmung sämtlicher Mit- und Wohnungseigentümer zum Betrieb eines Restaurants (insbesondere eines Thai-Restaurants) holte der Beklagte nicht ein.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Kläger begehrten, den Beklagten zu verbieten die beiden Wohnungseigentumsobjekte „als gastgewerbliches Lokal, insbesondere zur Führung eines thailändischen Restaurants“ zu verwenden. Die Zusammenlegung der beiden Objekte sei den Klägern zuvor nicht bekannt gewesen; für das Restaurant liege keine Berechtigung der Baubehörde vor und auch keine gewerberechtliche Bewilligung. Das zuvor dort betriebene Café-Pub habe geschlossen werden müssen, weil Aufträge und Auflagen der Behörde nicht eingehalten worden seien. Eine von den Betreibern neu installierte Lüftungsanlage schränke die Geruchsbelästigung nicht ein; sie sei ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer errichtet worden.

[5] Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, schon im Wohnungseigentumsvertrag seien die beiden Geschäftslokale nicht spezifisch gewidmet; infolge der tatsächlichen Nutzung der Objekte in Form verschiedener gastgewerblicher Betriebe seit 1968, die den Wohnungseigentümern bekannt gewesen und von diesen nicht beeinsprucht worden sei, sei außerdem eine konkludente Zustimmung zu diesen Änderungen anzunehmen. Die Verwendung als Restaurant bedürfe daher keiner Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer. Mit Bescheid der Stadt Graz vom Oktober 2010 sei für die gastgewerbliche Betriebsanlage eine Genehmigung erteilt worden, die unverändert aufrecht sei; auch die Lüftungsanlage sei nach wie vor dieselbe.

[6] Das Erstgericht gab dem Begehren auf Unterlassung der Verwendung der Objekte „zum Betrieb eines Restaurants, insbesondere eines thailändischen Restaurants“ statt und wies das darüber hinausgehende Begehren „zum Betrieb eines gastgewerblichen Lokals jeglicher Art“ ab.

[7] Durch den jahrzehntelangen Betrieb eines Cafés bzw einer Konditorei sei es zu einer konkludenten Widmungsänderung der beiden Wohnungseigentumsobjekte gekommen, weil sich keiner der Mit‑ und Wohnungseigentümer dieser Nutzung widersetzt habe; an diese Genehmigung seien auch die Kläger als Rechtsnachfolger gebunden. Der Betrieb eines Cafés bzw einer Konditorei unterscheide sich vom Betrieb eines Restaurants in wesentlichen Punkten; der Beklagte habe aber keine Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer oder des Gerichts eingeholt.

[8] Das Berufungsgericht gab den dagegen vom Beklagten sowie vom – erst im Berufungsverfahren auf Seiten des Beklagten beigetretenen – Nebenintervenienten erhobenen Berufungen nicht Folge.

[9] Die Rechtsansicht des Erstgerichts, nach der es zu einer konkludenten Genehmigung einer Widmungsänderung (erkennbar gemeint: im Bezug auf die im Wohnungseigentumsvertrag genannte Widmung des „G II“ als „2 Büros“) gekommen sei, werde im Berufungsstadium nicht in Frage gestellt. Vom Streitrichter sei nur die Genehmigungsbedürftigkeit einer Widmungsänderung zu prüfen, nicht hingegen ihre Genehmigungsfähigkeit. Da die Änderungen im Betrieb zumindest eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnten, sei von einer genehmigungsbedürftigen Widmungsänderung auszugehen.

[10] In seiner außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung der Entscheidung dahin, dass das gesamte Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[11] Der Nebenintervenient begehrt in seiner außerordentlichen Revision ebenfalls die Klageabweisung und hilfsweise die Aufhebung der Entscheidung.

[12] Die Kläger beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revisionen zurückzuweisen, hilfsweise, ihnen nicht Folge zu geben.

[13] Die außerordentlichen Revisionen des Beklagten und seines Nebeintervenienten sind zulässig und berechtigt.

[14] 1.1 Gegen einen Wohnungseigentümer, der ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer Änderungen einschließlich Widmungsänderungen im Sinn des § 16 Abs 2 WEG vornimmt, kann nach ständiger Rechtsprechung jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg mit Klage nach § 523 ABGB vorgehen. Der Streitrichter hat in einem solchen Fall die Genehmigungsbedürftigkeit und Eigenmacht der Änderung als Vorfrage für die Berechtigung eines Unterlassungs‑ und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen; die Genehmigungsfähigkeit ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens (RIS‑Justiz RS0083156 [T20]).

[15] 1.2 Der in § 16 Abs 2 WEG verwendete Begriff „Änderungen“ ist weit auszulegen; jede Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte (wofür also schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung genügt), bedarf der Zustimmung aller Mitglieder der Eigentümergemeinschaft oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG (vgl RS0083156 [T16]).

[16] 1.3 Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob eine genehmigungsbedürftige Änderung im Sinn des § 16 Abs 2 WEG vorliegt, ist der vertragliche Konsens der Mit‑ und Wohnungseigentümer. Nur solche Maßnahmen, die vom ursprünglichen Konsens nicht erfasst sind, fallen unter § 16 Abs 2 WEG. Hingegen ist die baubehördliche Bewilligung einer (eigenmächtigen) Änderung an Wohnungseigentumsobjekten für die Beurteilung des zivilrechtlichen Untersagungsrechts ohne Bedeutung (RS0083330). Wenn keine spezielle Geschäftsraumwidmung zwischen den Mit- und Wohnungseigentümern vereinbart wurde, ist die Umwandlung des Gegenstands und der Betriebsform des im Wohnungseigentumsobjekt geführten Unternehmens erst dann eine genehmigungsbedürftige Änderung, wenn dabei die Grenzen des Verkehrsüblichen überschritten werden (vgl RS0119528). Für die Beurteilung der (eigenmächtigen) Widmungsänderung ist die gültige Widmung des betreffenden Objekts der beabsichtigten bzw tatsächlichen Verwendung gegenüberzustellen (RS0101800 [T4, T8]).

[17] 1.4 Für die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts besteht kein Formerfordernis, sie kann daher grundsätzlich auch auf einer bloßen konkludent zustande gekommenen Willenseinigung der Miteigentümer beruhen, die sich gemäß § 863 ABGB etwa an lang geübten Nutzungen oder dem Baukonsens bei einvernehmlich vorgenommenen Um‑ und Ausbauten festmachen lässt (5 Ob 100/14p mwN). Maßgeblich ist der objektive Erklärungswert einer Willensäußerung, was auch für konkludente Erklärungen gilt (vgl RS0014160 [T51]).

[18] 2.1 In dem für das Haus der Streitteile maßgeblichen Wohnungseigentumsvertrag haben die Parteien für die beiden Objekte W I und W II eine unspezifizierte Geschäftsraumwidmung („Geschäftslokal“, „Kellerabteil“) vereinbart. Die im Jahr 1991 vom damaligen Wohnungseigentümer vorgenommene Zusammenlegung der beiden Objekte war „für jedermann erkennbar“ und blieb seither von allen Miteigentümern unwidersprochen; die Änderung der Widmung eines Teils des größeren der beiden Objekte von „Büro“ auf „Geschäftslokal“ im Sinn eines Gastronomiebetriebs zog im Rechtsmittelverfahren niemand in Zweifel.

[19] 2.2 Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen kann allein aus der langjährigen Verwendung dieser beiden zusammengelegten Objekte zum Betrieb einer Konditorei oder eines Caféhauses keine stillschweigende Widmungsänderung dahin angenommen werden, dass die Nutzungsbefugnisse des Wohnungseigentümers für diese – unspezifiziert als Geschäftslokal gewidmeten – Räumlichkeiten nun auf den Betrieb (nur) einer Konditorei oder eines Caféhauses eingeschränkt worden wären. Dies würde ein konkludentes Angebot an die übrigen Mit‑ und Wohnungseigentümer zu einer derartigen erheblichen Nutzungseinschränkung voraussetzen, das selbst die Kläger nicht behaupteten und für das sich im Verfahren kein Anhaltspunkt ergeben hat.

[20] 2.3 Ausgehend von der unspezifizierten Widmung der Objekte des Beklagten als „Geschäftslokal“ und der schon bisher seit vielen Jahren geübten gewerblichen Nutzung als Gastronomiebetrieb in unterschiedlichen Ausgestaltungen ist die nun von den Klägern beanstandete Verwendung zum Betrieb des thailändischen Restaurants mit den festgestellten Öffnungszeiten nicht als eine genehmigungsbedürftige Widmungsänderung anzusehen.

[21] 3. Soweit die Kläger argumentieren, es sei eine „eklatante Widmungsänderung“ darin zu sehen, dass bisher nur ein „Tagescafé“ betrieben worden sei und nun erstmals ein Restaurant mit Öffnungszeiten bis 22:00 Uhr, übersehen sie, dass bereits seit Oktober 2010 – und auch für den Betrieb des (tatsächlich dann nur bis 19:00 Uhr geöffneten) Pubs – eine gastgewerbliche Bewilligung für ein Offenhalten des Lokals bis 22:00 Uhr vorlag. Insoweit erfolgte daher durch die nunmehrige Verwendung die den Rahmen des Verkehrsüblichen nicht überschreitet, keine Änderung. Belästigungen der übrigen Wohnungseigentümer durch Lärm und Alkoholkonsum wegen „Festivitäten und Feierlichkeiten“, wie sie die Revisionsbeantwortung anführt, gehen aus dem Sachverhalt nicht hervor. Von einer genehmigungsbedürftigen Widmungsänderung durch den Betrieb des Restaurants ist daher im konkreten Fall nicht auszugehen.

[22] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben dem Beklagten die ihm für das erstinstanzliche Verfahren (2.748,40 EUR netto), für die Berufung (1.113,98 EUR netto und 1.340,90 EUR Pauschalgebühr) sowie für die Revision (764,18 EUR netto und 1.678,60 EUR Pauschalgebühr) entstandenen Kosten zu ersetzen. Dem auf Seiten des Beklagten beigetretenen Nebenintervenienten sind Kosten seiner Berufung (1.113,98 EUR netto und 1.340,90 EUR Pauschalgebühr) sowie seiner Revision (764,18 EUR netto und 1.678,60 EUR Pauschalgebühr) entstanden. Nach der neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Ra 2016/16/0095) hat auch der Nebenintervenient für sein Rechtsmittel eine Pauschalgebühr zu entrichten, weshalb die frühere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach diese nur einmal anfiel (RS0111757), überholt ist (s dazu auch 1 Ob 241/21d [65]).

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