European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100NC00028.22G.1108.000
Spruch:
I. Die Ablehnung aller Richter des Oberlandesgerichts Graz wird zurückgewiesen.
II. Der Antrag der klagenden Partei „auf Delegierung an den OLG‑Sprengel Linz“ wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz zu AZ *, von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt die Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension.
[2] Mit Beschluss vom 13. Oktober 2022, AZ *, wies der Ablehnungssenat des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz den Ablehnungsantrag ab, wogegen die Klägerin am 28. Oktober 2022 Rekurs erhob.
[3] Mit – unmittelbar beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem – Schriftsatz vom 28. Oktober 2022 beantragt die Klägerin wie aus dem Spruch ersichtlich. Entgegen dem Schriftsatz vom 23. September 2022 sei eine Verhandlung abgeführt und der Vorname der Klägerin unrichtig in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen worden. Der aufgenommene Vorname gleiche demjenigen einer Schuldnerin, die die Vertreterin der Klägerin in einem Konkursverfahren vertrete, in dem die Vertreterin der Klägerin Korruption aufgedeckt habe, woraufhin der Landesgerichtshofpräsident und Vizepräsident eine Anzeige bei der Rechtsanwaltskammer gegen sie erstattet hätten. Auch der Vorsitzende des Ablehnungssenats des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz habe die Vertreterin der Klägerin mehrfach zur Anzeige gebracht. Nachdem nunmehr auch der Präsident des Oberlandesgerichts Graz (bzw sein Vertreter) eine Anzeige gegen die Vertreterin der Klägerin erstattet habe, sei klar und deutlich belegt, dass der Sprengel des Oberlandesgerichts Graz nicht mehr objektiv und unparteilich gegenüber der Vertreterin der Klägerin sei.
Rechtliche Beurteilung
[4] I. Die (erkennbare) Ablehnung sämtlicher Richter des Oberlandesgerichts Graz ist zurückzuweisen.
[5] I.1. Wird ein Gerichtshof durch eine Ablehnung beschlussunfähig, so entscheidet über diese Ablehnung nach § 23 JN der zunächst übergeordnete Gerichtshof. Im vorliegenden Fall wurde das Oberlandesgericht Graz durch die erkennbare Ablehnung (auch) aller seiner Richter beschlussunfähig. Zur Entscheidung über die Ablehnung ist daher insoweit der Oberste Gerichtshof berufen (RIS‑Justiz RS0109137 [T2]).
[6] I.2.1. Nach § 19 Z 2 JN kann ein Richter in bürgerlichen Rechtssachen abgelehnt werden, wenn nach objektiver Prüfung und Beurteilung ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Die sachliche Erledigung einer Ablehnungserklärung setzt gemäß § 22 Abs 1 JN voraus, dass sämtliche die Ablehnung begründenden Umstände in dem Schriftsatz, mit dem die Ablehnung erklärt wird, genau angegeben sind (RS0045983 [T20]). Die Ablehnung eines ganzen Gerichts ist grundsätzlich nur bei Ablehnung jedes einzelnen seiner Richter unter Angabe konkreter Ablehnungsgründe möglich (RS0045983 [T6]; RS0046005 [T1]). Eine Anführung der individuellen Befangenheitsgründe bei jedem einzelnen einer Mehrheit von abgelehnten Richtern ist nur dann nicht zu verlangen, wenn die dargelegten Gründe offenkundig auf sämtliche Abgelehnten gleichermaßen zutreffen, es sich bei diesen Gründen um solche handelt, die den Anschein einer persönlichen, auf den jeweiligen Richter bezogenen Befangenheit (Voreingenommenheit) begründen und deren Tatsachengehalt zumindest eine Überprüfung auf ihre sachliche Berechtigung zulässt (RS0045983 [T23]; RS0046005 [T25]). Dasselbe gilt für die pauschale Ablehnung sämtlicher Richter eines ganzen Oberlandesgerichtssprengels (RS0045983 [T4]; RS0046005 [T18, T20]).
[7] I.2.2. Konkretes Vorbringen, warum bei sämtlichen Richtern des Oberlandesgerichts Graz Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit vorliegen sollen, liegt nicht vor. Der von der Klägerin angeführte Umstand, dass der Präsident des Oberlandesgerichts Graz (bzw ein Vertreter) eine Anzeige gegen ihre Vertreterin erstattet habe, stellt mangels Darstellung eines konkreten Sachverhalts dazu schon keinen Grund dar, die volle Unbefangenheit des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz oder des genannten Vertreters in Zweifel zu ziehen. Umso weniger ist ersichtlich, warum diese Ablehnungsgründe auch auf die darüber hinaus pauschal abgelehnten Richter des Oberlandesgerichts zutreffen sollen.
[8] I.3. Da die Ablehnungserklärung nicht ausreichend substantiiert ist, bedarf es keiner Äußerung der abgelehnten Richter (RS0045983 [T14]) und auch keiner Anhörung der Gegenseite (vgl RS0126587). Die Ablehnung der Richter des Oberlandesgerichts Graz ist daher zurückzuweisen. Dadurch ist dieses Gericht nun in der Lage, über die (zum Teil ebenfalls pauschale) Ablehnung der weiters im Schriftsatz genannten Richter zu entscheiden.
[9] II. Der Delegierungsantrag, in dem im Übrigen das Gericht, an das delegiert werden soll, genau zu bezeichnen gewesen wäre (RS0118473), ist nicht berechtigt.
[10] II.1. Ein Antrag auf Delegierung gemäß § 31 JN kann nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Ablehnungsgründe, das Vorliegen von ungünstigen oder unrichtigen Entscheidungen oder auf Verfahrensverstöße des bisher zuständigen Gerichts gestützt werden (RS0114309; RS0073042; RS0046074). Die Beurteilung einer Delegierung nach § 31 JN hat sich auf die Frage der Zweckmäßigkeit aus den Gesichtspunkten der Verfahrensbeschleunigung, Kostenverringerung und Erleichterung des Gerichtszugangs für die Beteiligten sowie der Amtstätigkeit zu beschränken (RS0046333). Derartige Zweckmäßigkeitsgründe werden von der Klägerin nicht behauptet. Die Einholung einer Äußerung der Beklagten war daher nicht erforderlich, weil der Antrag keiner weiteren Aufklärung iSd § 31 Abs 3 JN bedurfte (RS0113776 [T2]).
[11] II.2. Auch eine amtswegige Delegation nach § 30 JN kommt nicht in Betracht, weil eine solche nur zulässig ist, wenn tatsächlich so viele Richter ausgeschlossen oder befangen sind, dass eine vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts nicht mehr möglich ist (RS0046091 [T1]; RS0046126 [T4]). Über Befangenheiten von Richtern und ihre Ablehnung ist jedoch allein auf dem in § 23 JN vorgeschriebenen Weg zu entscheiden. Erst nach erfolgreicher Ablehnung aller Richter des Oberlandesgerichts Graz hätte der Oberste Gerichtshof über eine Delegierung an ein außerhalb des Oberlandesgerichtssprengels gelegenes Gericht zu entscheiden.
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